Homo


Homo

„Der vitruvianische Mensch“, Zeichnung von Leonardo da Vinci aus dem Jahr 1492

Zeitliches Auftreten
Piacenzium (spätes Pliozän) bis Gegenwart
2,5 bis 0 Mio. Jahre
Fundorte
  • zunächst Ostafrika, später weltweit
Systematik
Unterordnung: Trockennasenaffen (Haplorhini)
Teilordnung: Altweltaffen (Catarrhini)
Überfamilie: Menschenartige (Hominoidea)
Familie: Menschenaffen (Hominidae)
Tribus: Hominini
Gattung: Homo
Wissenschaftlicher Name
Homo
Linnaeus, 1758
Arten

Homo (lat. hŏmō [ˈhɔmoː] „Mensch” zu lat. humus „Erde, Erdboden”, so dass von der ursprünglichen Bedeutung „der Irdische“ ausgegangen werden kann[1]) ist eine Gattung der Menschenaffen (Hominidae) in der Klasse der Säugetiere, zu welcher der Mensch (Homo sapiens) und seine nächsten ausgestorbenen Verwandten gehören. Eine genaue Abgrenzung der Gattung Homo von verwandten Gattungen innerhalb der Hominini ist schwierig. Häufig wird der Gebrauch von bearbeiteten Steinwerkzeugen (Geröllgerät) als Kriterium genannt.

Als ein wichtiges gemeinsames Merkmal (Synapomorphie) aller Arten der Gattung Homo gilt die Zahl der Höcker („Tubercula“) auf den hinteren Backenzähnen (Molaren): Bei Homo sind es sechs oder sieben Höcker, bei den Australopithecinen waren es weniger.[2]

Historisches

Die Gattung Homo wurde 1758 von Carl von Linné in der 10. Auflage von Systema Naturae eingeführt.[3] Zugeordnet wurden dieser Gattung zwei rezente Arten: zum einen Homo sylvestris – auf Java vorkommend, nachtaktiv und umgangssprachlich „Orang Outang“ genannt; zum anderen Homo sapiens – tagaktiv und in sechs Gruppen eingeteilt. Zwei dieser Gruppen – als „wild“ bzw. als „monströs“ charakterisiert – sind nach heutigem Wissensstand keine biologischen Entitäten; die vier anderen Gruppen korrelieren mit den vier Linné bekannten geographischen Regionen Afrika, Amerika, Asien und Europa.

Die erste fossile Art der Gattung Homo wurde 1864 durch den irischen Geologen William King benannt: Homo neanderthalensis;[4] bereits ein Jahr zuvor hatte King in einem Vortrag vor der Sektion für Geologie der British Association for the Advancement of Sciences nach Diskussion der Schädelform des Fossils Neandertal 1 und dessen Abweichungen vom modernen Menschen den Namen „Homo Neanderthalensis King“ verwendet.[5] Es folgte 1899 die von Georges Vacher de Lapouge vorgeschlagene Art Homo spelaeus („Höhlenmensch“), der als Typusexemplar das Fossil Cro-Magnon 1 zugeordnet wurde; alle Fossilien dieser Altersklasse („Cro-Magnon-Menschen“) werden heute zu Homo sapiens gezählt. Die dritte fossile Homo-Art wurde 1908 benannt, nachdem Otto Schoetensack sich entschlossen hatte, den korrekt als „präneandertaloid“ erkannten Unterkiefer von Mauer als Homo heidelbergensis zu bezeichnen.[6]

Durch die Einbeziehung des im Vergleich mit Homo sapiens, Homo spelaeus und selbst Homo neanderthalensis äußerst massiven, „primitiven“ Unterkiefers von Mauer in die Gattung Homo wurde deren morphologische Variationsbreite erheblich vergrößert. Diese Entwicklung setzte sich fort, als Arthur Smith Woodward 1921 die Art Homo rhodesiensis[7] und der niederländische Forscher Willem Oppennoorth 1932 Homo soloensis benannte.[8]

Die Fossilien von Homo soloensis („Mensch vom Solo-Fluss“ auf Java) werden heute zu Homo erectus gestellt: zu einem Taxon, dem ab 1950 auf Vorschlag von Ernst Mayr – im Konsens mit den damals führenden Paläoanthropologen – zahlreiche weitere, zunächst mit eigenem Artnamen belegte Fossilien von unterschiedlichen Fundorten zugeordnet wurden,[9] und was zur Folge hatte, dass die Variationsbreite der Homo-Morphologie noch weiter vergrößert wurde; zum Beispiel durch Atlanthropus mauritanicus, Pithecanthropus erectus, Sinanthropus pekinensis, Telanthropus capensis (inzwischen von einigen Paläoanthropologen wieder abgetrennt und als Homo ergaster bezeichnet) und Meganthropus palaeojavanicus (bei dem ungeklärt ist, ob er Homo oder Paranthropus zuzurechnen ist). Gemeinsames Merkmal aller Homo zugeschriebenen Fossilien blieb zunächst aber das 1950 von Mayr festgelegte Mindestvolumen von 900 Kubikzentimetern für das Schädelinnenvolumen sowie eine durch den aufrechten Gang geprägte Körperhaltung und Fortbewegungsweise.

Dieser Konsens wurde aber 1964 von Louis Leakey et al. aufgegeben, als Homo habilis erstmals beschrieben wurde:[10] Die Angehörigen dieser sehr frühen Homo-Art gingen zwar zumindest zeitweise aufrecht, hatten aber nur ein Gehirnvolumen von rund 600 bis 700 Kublikzentimetern.[11] Nunmehr galten 600 Kubikzentimeter als Untergrenze.

Schließlich wurden neben Homo habilis noch eine weitere frühe Art der Gattung Homo gestellt, genannt Homo rudolfensis. Deren Abgrenzung von Homo habilis ist bisher lückenhaft, weil kaum Skelettknochen von unterhalb des Kopfes zweifelsfrei Homo rudolfensis zugeordnet werden konnten. Abgrenzungsmerkmale sind beispielsweise die Zähne von Homo rudolfensis, die größer sind als bei den späteren Homo-Arten, das im Vergleich mit Homo habilis größere Schädelinnenvolumen von mindestens 750 Kublikzentimetern und das im Vergleich mit Homo habilis breitere, aus dickeren Knochen gebildete Gesicht.[12]

Merkmale

Taxon Körpergewicht
(in kg):
männliche
Individuen
Körpergewicht
(in kg):
weibliche
Individuen
Schimpansen [13] 60–90 30–47
Australopithecus afarensis [14] 45 29
Australopithecus africanus [14] 41 30
Homo rudolfensis [14] 60 51
Homo habilis [14] 37 32
Homo ergaster [14] 68 54
Homo erectus [14] 59 57
Homo heidelbergensis [14] 84 78
Neandertaler [14] 76 65
Homo sapiens [14] 68 57
Präzisionsgriff (opponierter Daumen – hier gegen Mittel- und Zeigefinger)

Bis heute fehlt eine präzise Bezugsgröße, anhand derer die potenzielle Zuordnung neu entdeckter Fossilien zur Gattung Homo gemessen werden könnte: Typusart der Gattung ist zwar Homo sapiens, aber anhand welcher Kriterien der deutliche morphologische Abstand des Homo sapiens und der Gattung Homo von einer verwandten Gattung begründet werden könnte, wurde nie festgelegt. So konnte 1964 in der Erstbeschreibung von Homo habilis die Definition der Gattung kurzerhand verändert werden, indem die Untergrenze des Hirnvolumens für Arten die Gattung Homo auf 600 cm³ herabgesetzt wurde, damit die der neuen Art zugeordneten Fossilien noch in der Gattung Homo Platz finden konnten.[10] Zugleich wurden einige weitere Kriterien für eine Zuordnung von Fossilien zur Gattung Homo genannt, unter anderem: der Bau des Beckens und der Beine sind angepasst an eine gewohnheitsmäßig aufgerichtete Körperhaltung und an den aufrechten Gang; die Arme sind kürzer als die Beine; der Daumen ist gut ausgebildet und vollständig opponierbar, die Hand ist sowohl zum Kraftgriff als auch zum Präzisionsgriff befähigt.

Laut Bernard Wood und Mark Collard wurde die Zuordnung von Arten zur Gattung Homo von anderen Autoren oft anhand von vier Kriterien vorgenommen:[15] Erstes Kriterium ist das Schädelinnenvolumen – also die Gehirngröße – von mindestens 600 Kubikzentimetern; zweites Kriterium ist die unterstellte Befähigung zum Sprechen, abgeleitet von Schädelausgüssen, anhand derer das Broca-Areal und das Wernicke-Zentrum als gut ausgebildet erkannt wurden; drittes Kriterium ist der Nachweis von Werkzeuggebrauch, und viertes Kriterium schließlich der opponierbare Daumen und der Präzisionsgriff der Hand. Wood und Collard erläutern hierzu, es sei leicht nachvollziehbar, dass diese Kriterien nur unzulänglich aus vielen der aufgefundenen Fossilien herausgelesen werden können. Zudem bleibe ohne genaue Kenntnis der Körpergröße der Zusammenhang von Gehirngröße und Verhalten ebenso unklar wie der Zusammenhang von sich entwickelnder Sprechfähigkeit mit bestimmten Merkmale der Großhirn-Oberfläche; ob Homo rudolfensis Werkzeuge benutzt habe, sei bisher unbelegt, wohl aber gebe es Hinweise, dass auch Vertreter der Gattung Australopithecus Werkzeuge benutzten; und die erwähnten Merkmale der Hand seien ebenfalls keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal der Gattung Homo sondern auch bei Arten anderer Gattungen nachgewiesen.

Wood und Collard argumentierten daher, statt einzelne Merkmale herauszustellen, müsse bei der Zuordnung einer Art zur Gattung Homo nachgewiesen werden, dass diese Art der Typusart Homo sapiens stärker ähnele als den Typusarten von Ardipithecus, Australopithecus, Kenyapithecus und Paranthropus. Insbesondere müsse belegt werden, dass der Körperbau (speziell der Kauapparat), die körperliche Entwicklung sowie die Art und Weise der Fortbewegung dem Typusexemplar der Gattung näher stehe als den älteren Gattungen der Hominini. Anhand dieser Maßstäbe kamen Wood und Collard zu dem Ergebnis, dass Homo habilis und Homo rudolfensis größere Ähnlichkeiten mit Australopithecus und Paranthropus aufweisen als mit Homo und daher der Gattung Australopithecus zuzuordnen seien; Homo erectus, Homo ergaster, Homo heidelbergensis und Homo neanderthalensis hingegen weisen Wood und Collard zufolge hinreichend große morphologische Nähe zu Homo sapiens auf.

Tim White wies 2003 darauf hin, dass Bezahnung und Skelett des modernen Menschen eine erhebliche Variabilität aufweisen; daher sei vor der Abgrenzung zusätzlicher Arten stets zu berücksichtigen, dass auch die Vorfahren des Menschen möglicherweise eine ähnlich große Variabilität aufwiesen.[16]

Literatur

  • Bernard Wood, Mark Collard: The Meaning of Homo. In: Ludus vitalis, Band 9, Nr. 15, 2001, S. 63–74, Volltext (PDF)
  • Jeffrey H. Schwartz und Ian Tattersall: Fossil evidence for the origin of Homo sapiens. In: American Journal of Physical Anthropology, Band 143, Supplement 51 (= Yearbook of Physical Anthropology), 2010, S. 94–121, doi:10.1002/ajpa.21443

Siehe auch

Weblinks

Commons: Homo – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • wissenschaft.de vom 30. April 2004: Urahn vom heimischen Herd: 790.000 Jahre alte Feuerstelle in Israel entdeckt.

Einzelnachweise

  1. Interessant an dieser allgemein akzeptierten sprachlichen Herleitung ist die Analogie zur Erschaffung des ersten Menschen im Alten Testament, dessen Name Adam im hebräischen auf dieselbe indogermanische Wurzel für „Erde, Erdboden” zurückgeht
  2. Friedemann Schrenk in: Spektrum der Wissenschaft, Nr. 9/2010, S. 69
  3. in Band 1, Seite 20; es ist die erste Tierart, die Linné in diesem Werk aufgelistet hat
  4. William King: The reputed fossil man of the Neanderthal. In: Quarterly Journal of Science, Band 1, 1864, S. 88-97
  5. William King: On the Neanderthal Skull, or Reasons for believing it to belong to the Clydian Period and to a species different from that represented by Man. In: British Association for the Advancement of Science, Notices and Abstracts for 1863, Part II, London, 1864, S. 81 f.
  6. Otto Schoetensack: Der Unterkiefer des Homo Heidelbergensis aus den Sanden von Mauer bei Heidelberg. Ein Beitrag zur Paläontologie des Menschen. Leipzig, 1908, Verlag von Wilhelm Engelmann, S. 40. – „Präneandertaloid“ bedeutet: ähnlich wie ein Neandertaler, aber älter als dieser.
  7. Arthur Smith Woodward: A New Cave Man from Rhodesia, South Africa. In: Nature, Band 108, 1921, S. 371–372, doi:10.1038/108371a0
  8. W. F. F. Oppennoorth: Homo (Javanthropus) soloensis: een plistocene mensch van Java. In: Wetenschappelijke medeligen Dienst van den Mijnbrouw in Nederlandsch-Indië, Band 20, 1932, S. 49 ff
  9. Ernst Mayr: Taxonomic categories in fossil hominids. Cold Spring Harbor Symposia on Quantitative Biology 15, 1950, S. 109–118; Exzerpt
  10. 10,0 10,1 Louis Leakey, Phillip Tobias und John Napier: A new species of the genus Homo from Olduvai Gorge. In: Nature, Band 202, 1964, S. 7–9; doi:10.1038/202007a0, Volltext (PDF)
  11. G. J. Sawyer, Viktor Deak: Der lange Weg zum Menschen. Lebensbilder aus 7 Millionen Jahren Evolution. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2008, S. 85
  12. Bernard Wood, Brian G. Richmond: Human evolution: taxonomy and paleobiology. In: Journal of Anatomy, Band 197, Nr. 1, 2000, S. 19–60, DOI:10.1046/j.1469-7580.2000.19710019.x, Volltext (PDF)
  13. http://www.g-o.de/dossier-detail-91-10.html scinexx]
  14. 14,0 14,1 14,2 14,3 14,4 14,5 14,6 14,7 14,8 Matthew M. Skinner und Bernard Wood: The evolution of modern human life history – a paleontological perspective. In: Kristen Hawkes und Richard R. Paine (Hrsg.): The Evolution of Modern Human Life History. School of American Research Press, Santa Fe 2006, S. 347, ISBN 978-1-930618-72-5. – Ausgewiesen ist jeweils das arithmetische Mittel.
  15. Bernard Wood, Mark Collard: The Meaning of Homo. In: Ludus vitalis, Band 9, Nr. 15, 2001, S. 63–74, Volltext (PDF)
  16. Tim White: Early Hominids – Diversity or Distortion? In: Science, Band 299, Nr. 5615, 2003, S. 1994–1997, doi:10.1126/science.1078294

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