Amitriptylin


Strukturformel
Struktur von Amitriptylin
Allgemeines
Freiname Amitriptylin
Andere Namen

3-(10,11-Dihydro-5H-dibenzo[a,d] cyclohepten-5-yliden)-N,N-dimethylpropylamin

Summenformel
  • C20H23N
  • C20H23N·HCl (Hydrochlorid)
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
  • 50-48-6
  • 549-18-8 (Hydrochlorid)
PubChem 2160
DrugBank DB00321
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Arzneistoffangaben
ATC-Code

N06AA09

Wirkstoffklasse

Antidepressivum

Eigenschaften
Molare Masse
  • 277,40 g·mol−1
  • 313,87 g·mol−1 (Hydrochlorid)
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [1]

Gefahr

H- und P-Sätze H: 301​‐​311​‐​315​‐​317​‐​319​‐​331​‐​334​‐​335​‐​361
P: 261​‐​280​‐​301+310​‐​305+351+338​‐​311 [1]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Amitriptylin ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der trizyklischen Antidepressiva, der in erster Linie zur Behandlung von Depressionen und zur langfristigen Schmerzbehandlung eingesetzt wird.

Geschichte

Amitriptylin wurde 1960 erstmals synthetisiert und 1962 vom Arzneimittelhersteller Lundbeck am Markt eingeführt. Es war lange Jahre – bis zum Aufkommen der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer – das meistverordnete Antidepressivum weltweit.

Klinische Angaben

Anwendungsgebiete (Indikationen)

Amitriptylin-Präparate sind zur Behandlung von Depressionen zugelassen. Sie werden gegen alle Formen depressiver Erkrankungen eingesetzt, bevorzugt gegen solche, die überwiegend mit Angst und Unruhegefühlen einhergehen. Ein weiteres zugelassenes Anwendungsgebiet ist die langfristige Schmerzbehandlung im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes.[3]

Auf Grund seiner nachgewiesenen migräneprophylaktischen Wirkung gilt Amitriptylin als Mittel der ersten oder zweiten Wahl bei der Prophylaxe der Migräne.[4][5] Auch zur vorbeugenden Behandlung des Spannungskopfschmerzes gilt Amitriptylin als der am besten untersuchte Arzneistoff.[6] Demgegenüber liegen für eine mögliche Anwendung zur Langzeitbehandlung der Trigeminusneuralgie kaum Daten vor.[7]

Außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete wird Amitriptylin häufig auch als Hypnotikum bei Schlafstörungen eingesetzt. Seine Wirksamkeit gilt jedoch als wenig belegt.[8] Wie andere trizyklische Antidepressiva ist es auch zur Behandlung des Reizdarmsyndroms[9] und der Fibromyalgie[10] wirksam. Darüber hinaus scheint Amitriptylin zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) geeignet zu sein.[11] Diese Anwendungsgebiete außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung stellen jedoch einen sogenannten Off-Label Use dar.

Gegenanzeigen (Kontraindikationen)

Neben einer bekannten Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff gelten die Anwendung in der unmittelbaren Genesungsphase nach einem Herzinfarkt, bei Erregungsleitungsstörungen im His-Bündel, bei akutem Harnverhalten, bei Pylorusstenose, bei Darmverschluss, bei unbehandeltem Engwinkelglaukom sowie nach akuter Alkohol-, Barbiturat- und / oder Opiatvergiftung als absolute Kontraindikationen.[3]

Auf Grund der Gefahr eines möglicherweise lebensbedrohlichen Serotonin-Syndroms darf Amitriptylin nicht gleichzeitig mit MAO-Hemmern angewendet werden. Bei einem Therapiewechsel ist ein zeitlicher Sicherheitsabstand zu beachten. Wegen der Gefahr unerwünschter Herzwirkungen, wie Arrhythmien und Leitungsübertragungsstörungen, ist die gleichzeitige Anwendung von Amitriptylin mit Arzneimitteln, die, wie beispielsweise Cisaprid, die QT-Zeit verlängern, kontraindiziert.[3]

Sonstige Schäden des Herz-Kreislaufsystems, Hyperthyreose, eingeschränkte Leberfunktion, Epilepsie, behandeltes Engwinkelglaukom, Harnverhalten, Prostatahyperplasie und paranoide oder prädelirante Zustandsbilder gelten, wie auch der Einsatz bei Patienten unter 18 Jahren, als relative Anwendungsbeschränkungen. Amitriptylin sollte in diesen Fällen nur mit Vorsicht und nach einer Nutzen-Risiko-Abwägung eingesetzt werden.[3]

Anwendung in der Schwangerschaft und Stillzeit

Zur Anwendung von Amitriptylin in der Schwangerschaft liegen keine ausreichenden Erfahrungen vor. Tierversuche lassen vermuten, dass es möglicherweise zu Schädigungen des Fötus kommen kann. Amitriptylin sollte in der Schwangerschaft nur verwendet werden, wenn es unbedingt erforderlich ist.[3]

Wirkung auf die Fahrtüchtigkeit und auf das Bedienen von Maschinen

Amitriptylin wirkt sedierend und kann damit einen ausgeprägten Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit haben und auf die Fähigkeit, Maschinen zu bedienen.[3] Dies gilt in besonderem Maße bei Behandlungsbeginn, bei Präparatewechsel sowie im Zusammenwirken mit anderen zentral wirkenden Arzneimittel (Schmerzmittel, Schlafmittel, Psychopharmaka). Dies gilt in verstärktem Maße bei gleichzeitiger Einnahme von Alkohol. Daher sollten das Führen von Fahrzeugen, die Bedienung von Maschinen oder sonstige gefahrvolle Tätigkeiten ganz unterlassen werden, zumindest jedoch während der ersten Tage der Behandlung unterbleiben. Die Entscheidung ist im Einzelfall durch den behandelnden Arzt unter Berücksichtigung der individuellen Dosierung und der jeweiligen Reaktion zu treffen.

Wechselwirkungen

Die Kombination von MAO-Hemmern (z.B. Tranylcypromin) mit Amitriptylin kann zu dem lebensbedrohlichen Serotoninsyndrom führen. Auf Grund seines insbesondere bei hoher Dosis zu beobachtenden Potenzials, Herz-Rhythmusstörungen mit QT-Zeit-Verlängerung, Torsade de pointes und Sinustachykardien zu verursachen, besteht bei einem gleichzeitigen Einsatz von Amitriptylin und Arzneimitteln mit einer Wirkung auf die QT-Zeit eine erhöhte Gefahr von Herzrhythmus-Störungen. Diese Gefahr besteht auch bei gleichzeitiger Anwendung von Arzneimitteln, die zu einer Hypokaliämie führen, oder Arzneimitteln, welche die Verstoffwechslung von Amitriptylin über den Cytochrom-P450-Enzymkomplex CYP3A4 in der Leber hemmen. Dem gegenüber können Arzneistoffe, die, wie beispielsweise Carbamazepin und Phenytoin, dieses Enzymsystem induzieren, den Amitriptylinabbau beschleunigen und zu einer unzureichenden Amitriptylinwirkung führen.[3]

Auf Grund seiner inhibitorischen Wirkung auf Acetylcholin- und Histaminrezeptoren können die Wirkungen und Nebenwirkungen von Anticholinergika und Antihistaminika bei gleichzeitiger Einnahme mit Amitriptylin verstärkt werden. Ebenso verstärkt Amitriptylin die Effekte direkter Sympathomimetika. Die Wirkung von Antihypertensiva, wie Guanethidin, wird hingegen abgeschwächt.[3]

Nebenwirkungen

Zu den häufigsten Nebenwirkungen (> 10 %) unter der Anwendung von Amitriptylin gehören zentralnervöse Störungen, wie Kopfschmerzen, Vertigo, Tremor und Schläfrigkeit, Störungen des Herz-Kreislauf-Systems, wie Palpitation, Tachykardie und orthostatische Hypotonie, gastrointestinale Störungen, wie Mundtrockenheit, Verstopfung und Übelkeit, sowie Gewichtszunahme, Akkommodationsstörungen und Schwitzen.[3]

Zu den weiteren zentralnervös bedingten Nebenwirkungen zählen Parästhesie, Ataxie, Müdigkeit (1 – 10 %) und gelegentlich (0,1-1 %) Konvulsionen. Die häufigsten psychischen Störungen (1–10 %) sind Verwirrtheit, Konzentrationsschwierigkeiten und Libidoverminderung, gefolgt (0,1 - 1 %) von Hypomanie, Manie, Ängstlichkeit, paradoxer Schlaflosigkeit und Albträumen sowie seltener (< 0,1 %) Appetitlosigkeit, Delirien bei älteren Patienten und Halluzinationen bei schizophrenen Patienten. Am Herzen können häufig (1–10 %) EKG-Veränderungen, AV-Block und Erregungsweiterleitungsstörungen beobachtet werden, die sich jedoch nur selten (< 0,1 %) in Arrhythmien äußern. Gelegentlich kann eine Hypotonie beobachtet werden. Eine bereits bestehende Herzinsuffizienz kann durch Amitriptylin verstärkt werden.[3]

Des Weiteren können unter anderem Geschmacksveränderung, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen, Harnverhalten und Impotenz auftreten.[3]

Pharmakologie

Pharmakodynamik

Amitriptylin wirkt im Zentralnervensystem als relativ unselektiver Hemmstoff der Monoamin-Rückaufnahme aus dem synaptischen Spalt in die Präsynapse. Auf diese Weise erhöht sich die Konzentration von Neurotransmittern (vor allem Serotonin und Noradrenalin) im synaptischen Spalt. Man nimmt heute an, dass die Reduktion depressiver Symptome durch eine modifizierte Empfindlichkeit der Rezeptoren für Monoamine erklärt werden kann. Die Empfindlichkeitssteigerung beruht dabei auf einer Down-Regulation bestimmter monoaminerger Rezeptoren aufgrund der veränderten Konzentrationsverhältnisse. Dies ist zudem die Begründung dafür, dass der stimmungsaufhellende Effekt in der Regel erst nach einer gewissen Einnahmedauer (etwa zwei bis drei Wochen) eintritt.

Daneben hat Amitriptylin Effekte auf weitere Übertragungsprozesse im Gehirn, beispielsweise wirkt es anticholinerg (etwa als Antagonist bestimmter Acetylcholin-Wirkungen) und leicht antihistaminisch. Daraus resultiert eine psychomotorisch eher dämpfende Gesamtwirkung; außerdem treten charakteristische Nebenwirkungen auf. Die sedierende Wirkkomponente vermindert sich meistens im Laufe der Anwendungsdauer. Amitriptylin wirkt zudem als FIASMA (funktioneller Hemmer der sauren Sphingomyelinase).[12]

Pharmakokinetik

Die Halbwertszeit im Körper beträgt 8–51 Stunden; die Halbwertzeit der Amitriptylin-Metaboliten 30 Stunden. Der Metabolit Nortriptylin ist ebenfalls wirkaktiv und wird selbst als Arzneimittel vertrieben.

Handelsnamen

Monopräparate

Saroten (D, A, CH), Tryptizol (A, CH), zahlreiche Generika

Kombinationspräparate

Limbitrol (A, CH): Amitriptylin + Chlordiazepoxid [13][14][15]

Es wird als Tablette, Dragee oder Lösung oral eingenommen, kann aber auch als Injektionslösung i. m. oder i. v. appliziert werden.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Datenblatt Amitriptylin bei Sigma-Aldrich (PDF).Vorlage:Sigma-Aldrich/Name nicht angegebenVorlage:Sigma-Aldrich/Abruf nicht angegeben
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 A. Kleemann, J. Engel, B. Kutscher, D. Reichert: Pharmaceutical Substances - Synthesis, Patents, Applications, 4. Auflage (2000), Thieme-Verlag Stuttgart, ISBN 978-1-58890-031-9.
  3. 3,00 3,01 3,02 3,03 3,04 3,05 3,06 3,07 3,08 3,09 3,10 Fachinformation des Arzneimittel-Kompendiums der Schweiz: Saroten retard; Stand: September 2006.
  4. Silberstein SD: Practice parameter: evidence-based guidelines for migraine headache (an evidence-based review): report of the Quality Standards Subcommittee of the American Academy of Neurology. In: Neurology. 55. Jahrgang, Nr. 6, September 2000, S. 754–762, PMID 10993991 (neurology.org).
  5. Evers S, May A, Fritsche G, Kropp P, Lampl C, Limmroth V, Malzacher V, Sandor S, Straube A, Diener HC: Akuttherapie und Prophylaxe der Migräne - Leitlinie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. In: Nervenheilkunde. 27. Jahrgang, Nr. 10, 2008, S. 933–949 (dmkg.de [PDF]).
  6. Bigal ME, Rapoport AM, Hargreaves R: Advances in the pharmacologic treatment of tension-type headache. In: Curr Pain Headache Rep. 12. Jahrgang, Nr. 6, Dezember 2008, S. 442–446, PMID 18973738.
  7. He L, Wu B, Zhou M: Non-antiepileptic drugs for trigeminal neuralgia. In: Cochrane Database Syst Rev. 3. Jahrgang, 2006, S. CD004029, doi:10.1002/14651858.CD004029.pub2, PMID 16856027.
  8. Becker PM: Pharmacologic and nonpharmacologic treatments of insomnia. In: Neurol Clin. 23. Jahrgang, Nr. 4, November 2005, S. 1149–1163, doi:10.1016/j.ncl.2005.05.002, PMID 16243620.
  9. Ford AC, Talley NJ, Schoenfeld PS, Quigley EM, Moayyedi P: Efficacy of antidepressants and psychological therapies in irritable bowel syndrome: systematic review and meta-analysis. In: Gut. 58. Jahrgang, Nr. 3, März 2009, S. 367–378, doi:10.1136/gut.2008.163162, PMID 19001059.
  10. Uçeyler N, Häuser W, Sommer C: A systematic review on the effectiveness of treatment with antidepressants in fibromyalgia syndrome. In: Arthritis Rheum. 59. Jahrgang, Nr. 9, September 2008, S. 1279–1298, doi:10.1002/art.24000, PMID 18759260.
  11. National Institute for Clinical Excellence. Post traumatic stress disorder: the management of PTSD in primary and secondary care, 2005.
  12. Kornhuber J, Muehlbacher M, Trapp S, Pechmann S, Friedl A, Reichel M, Mühle C, Terfloth L, Groemer T, Spitzer G, Liedl K, Gulbins E, Tripal P: Identification of Novel Functional Inhibitors of Acid Sphingomyelinase. In: PLoS ONE. 6. Jahrgang, Nr. 8, 2011, S. e23852, doi:10.1371/journal.pone.0023852.
  13. Rote Liste online, Stand: Juni 2010.
  14. AM-Komp. d. Schweiz, Stand: Juni 2010.
  15. AGES-PharmMed, Stand: Juni 2010.