Anammox


Anammox ist ein Akronym, das sich aus den Wörtern Anaerobe Ammonium-Oxidation zusammensetzt. Die anaerobe Ammonium-Oxidation ist ein biologischer Vorgang aus dem Bereich des Stickstoffkreislaufes.[1]

Wie die Bezeichnung schon andeutet, ist die Anamoxidation ein Oxidationsvorgang, der ohne Sauerstoff (anaerob) abläuft. Dabei wird Ammonium (NH4+) mit Nitrit (NO2) unter anaeroben Bedingungen zu molekularem Stickstoff (N2) umgesetzt:

NH4+ + NO2 → N2 + 2 H2O

Unter Standardbedingungen wird dabei je Mol oxidiertes Ammonium 357,8 kJ Energie frei (ΔG0' = -357,8 kJ).

Anammox-Organismen

Die Anammox-Reaktion wurde erstmals in den 1980ern in einer Abwasserreinigungsanlage in Delft in den Niederlanden beobachtet. Verantwortlich dafür ist das bisher wenig beachtete Bakterium Candidatus Brocadia anammoxidans. Anfang 2006 wurden von einem europäischen Forscherkonsortium Erkenntnisse zur Evolution und zum Stoffwechsel des erst seit wenigen Jahren bekannten Bakteriums gewonnen.[2] Neben Brocadia anammoxidans wurde der Anammox-Prozess auch bei den Bakterien Kuenenia stuttgartiensis und Scalindua sorokinii beobachtet; während erstere Süßwasserorganismen sind, lebt Scalindua im Meer.

Dem Erbgut nach zählt Candidatus Brocadia anammoxidans eindeutig zu den Bakterien, doch besitzen die Mikroben Organellen, wie es eigentlich nur bei den komplizierter aufgebauten Eukaryoten (Lebewesen mit Zellkern) üblich ist. Die Zellwand der purpurroten Bakterien ähnelt dagegen der von Archaeen. Brocadia anammoxidans nutzt die Anammox-Reaktion zur Energiegewinnung, wobei das giftige Zwischenprodukt Hydrazin entsteht. Das Schlüsselenzym der Reaktion, eine Hydroxylamin-Oxidoreduktase, befindet sich in einer speziellen Organelle, dem Anammoxosom. Leiterförmige Ketten aus Kohlenstoff-Ringen (Ladderane), die mit der Membran des Anammoxosoms über Etherbrücken verankert sind, bilden eine einzigartige Struktur und verhindern, dass das Hydrazin das Organell verlässt.

Bedeutung für die Abwasserreinigung

Der Anammox-Prozess ist nicht nur von akademischem Interesse, sondern bietet eine vielversprechende Alternative zu der klassischen Methode in Kläranlagen, Stickstoffverbindungen zu entfernen. Wohl aus diesem Grund wurden auch schon mehrere Patente in Zusammenhang mit dem Anammox-Prozess erteilt. Im Gegensatz zu den für biologische Klärstufen typischen Mikroben benötigt Brocadia anammoxidans keinen Sauerstoff und verbraucht noch dazu das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid. Die Kosten reduzieren sich auf ca. 10 % und gleichzeitig verringert sich der Ausstoß von Kohlenstoffdioxid um 88 %. Für die Entwicklung biologischer Verfahren legten die in den 90er Jahren durchgeführten Untersuchungen über die mikrobiologischen Zusammenhänge der Nitrifikation/Denitrifikation sowie insbesondere die zunehmende Kenntnis über Hemmmechanismen innerhalb der Stickstoffumsetzung die Grundlage zur Entwicklung angepasster Verfahren unter gezielter Verwendung dieser Mechanismen. Beispielhaft sind hier zu nennen die Untersuchungen in Wien (Nowak und Svardal, 1993; Nowak, 1996), Delft (van Niel et al., 1993; van Loosdrecht und Jetten, 1998) und Hannover (Abeling, 1994; Hippen, 1999). Die weltweit erste auf Anammox basierende großtechnische Anlage wurde im Rahmen eines durch das Land Nordrhein-Westfalen geförderten Forschungsprojektes im Jahre 2000 auf der Ruhrverbandsanlage Hattingen in Betrieb genommen. In Gelsenkirchen wird das Verfahren seit 2002 großtechnisch angewandt. Dieses wurde von der Universität Duisburg-Essen im Jahre 2004 nachgewiesen. In Rotterdam setzte man diese Erkenntnisse seit Anfang 2006 um. Zum jetzigen Zeitpunkt stehen eine Vielzahl verschiedener Verfahrenssysteme auf dem Markt zur Verfügung. Inwieweit sie jeweils die Anforderungen an einen wirtschaftlichen und betriebsstabilen Betrieb erfüllen, wird sich in den nächsten Jahren mit zunehmenden Erfahrungen von großtechnisch realisierten Anlagen zeigen.

Ökologische Bedeutung

Bisher nahm man an, dass die sogenannte Denitrifikation (stufenweise bakterielle Reduktion von Nitrat zu Stickstoffgas durch organische Stoffe bei Sauerstoffmangel) für die Freisetzung von Stickstoff allein verantwortlich ist. Die Entdeckung der bakteriellen anaeroben Ammonium-Oxidation hat somit weitreichende Konsequenzen für das wissenschaftliche Verständnis des Stickstoffkreislaufs. Eine besondere Bedeutung für den globalen Stickstoffkreislauf hat die Anammox in den Ozeanen.[3]

Die mathematischen Modelle, welche die globale Stickstoffbilanz beschreiben, müssen jetzt revidiert werden, denn diese neu entdeckte Nährstoff-Senke hat direkten Einfluss auf die Berechnung des Kohlenstoffkreislaufs und damit auf langfristige Klimaabschätzungen.

Quellen

  1. Der Vorgang der anaeroben Ammonium-Oxidation ist zurzeit (05/2006) noch in der Erforschung und noch nicht in allen Details geklärt. Für den Vorgang an sich könnte man die Kurzbezeichnung Anamoxidation verwenden.
  2. M. Strous et al.: Deciphering the evolution and metabolism of an anammox bacterium from a community genome. In: Nature. Bd. 440, Nr. 7085, 2006, S. 790-794. PMID 16598256
  3. Moritz Holtappels, Phyllis Lam, Marcel M. M. Kuypers: Der Stickstoffkreislauf im Ozean. In: Biospektrum. Bd. 15, Nr. 4, 2009, S. 368-373.

Literatur

  • M. S. Jetten et al.: 1994-2004: 10 years of research on the anaerobic oxidation of ammonium. In: Biochem. Soc. Trans. Bd. 33, 2005, S. 119-123. PMID 15667281.
  • M. S. Jetten et al.: Anaerobic ammonium oxidation by marine and freshwater planctomycete-like bacteria. In: Appl. Microbiol. Biotechnol. Bd. 63, 2003, S. 107-14. PMID 12955353.
  • M. S. Jetten et al.: Microbiology and application of the anaerobic ammonium oxidation ('anammox') process. In: Curr. Opin. Biotechnol. Bd. 12, 2001, S. 283-288. PMID 11404106.
  • M. S. Jetten et al.: The anaerobic oxidation of ammonium. In: FEMS Microbiological Reviews. Bd. 22, 1998, S. 421-437. PMID 9990725.
  • U. Abeling: Stickstoffelimination aus Industrieabwässern - Denitrifikation über Nitrit, In: Schriftenreihe des Institutes für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik der Universität Hannover. H. 86, 1994.
  • O. Nowak: Nitrifikation im Belebungsverfahren bei maßgebendem Industrieabwassereinfluß, In: Wiener Mitteilung. H. 135, 1996.
  • O. Nowak, K. Svardal: Observations on the kinetics of nitrification under inhibiting conditions caused by industrial wastewater compounds. In: Water Science and Technology. Bd. 28, 1993, S. 115-123.
  • A. A. van de Graaf, P. de Bruijn, A. Robertson, M. S. M. Jetten, J. G. Kuenen: Metabolic pathway of anaerobic ammonium oxidation on basis of 15N-studies in a fluidized bed reactor. In: Microbiology (UK). Bd. 143, 1997, S. 2415-2421.
  • M. C. M. van Loosdrecht, M. S. M. Jetten: Microbiological conversions in nitrogen removal. In: Wat. Sci. Tech. Bd. 38, 1998, S. 1-8.
  • E. W. J. van Niel, A. Robertson, J. G. Kuenen: A mathematical description of the behaviour of mixed chemostat cultures of an autotrophic nitrifier and a heterotrophic nitrifier / aerobic denitrifier; a comparison with experimental data. In: FEMS Microbiology Ecology, Bd. 102, 1993. S. 99 - 108.

Weblinks

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