Anilin


Strukturformel
Strukturformel von Anilin
Allgemeines
Name Anilin
Andere Namen
  • Aminobenzol
  • Aminobenzen
  • Benzenamin
  • Benzidam
  • Phenylamin
Summenformel C6H7N
Kurzbeschreibung

hellbraune Flüssigkeit mit aminartigem Geruch[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 62-53-3
PubChem 6115
Wikidata [[:d:Lua-Fehler in Modul:Wikidata, Zeile 865: attempt to index field 'wikibase' (a nil value)|Lua-Fehler in Modul:Wikidata, Zeile 865: attempt to index field 'wikibase' (a nil value)]]
Eigenschaften
Molare Masse 93,13 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

1,02 g·cm−3[1]

Schmelzpunkt

−6 °C[1]

Siedepunkt

184 °C[1]

Dampfdruck

0,681 hPa (20 °C)[1]

Löslichkeit

schlecht in Wasser (36 g·l−1 bei 20 °C)[1]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus EU-Verordnung (EG) 1272/2008 (CLP) [2]
Gefahrensymbol Gefahrensymbol Gefahrensymbol Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 351​‐​341​‐​331​‐​311​‐​301​‐​372​‐​318​‐​317​‐​400
P: 273​‐​280​‐​308+313​‐​302+352​‐​305+351+338​‐​309+310 [1]
MAK

2 ml·m−3 bzw. 7,7 mg·m−3[1]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Anilin [aniˈliːn] (nach spanisch oder auch arabisch: an-nil = blau = Indigo-Farbe) ist eine hellbraune Flüssigkeit mit aminartigem Geruch, die an der Luft leicht bräunlich wird. Es handelt sich um einen Benzolring mit einer Aminogruppe (–NH2) und damit um eine aromatische Verbindung. Mit Säuren versetzt bildet es Anilinsalze. Die basische Wirkung von Anilin wird durch den mesomeren Effekt verringert, da dieser die Elektronendichte der Aminogruppe verringert.

Geschichte

Anilin wurde 1826 von Otto Unverdorben erstmals durch Kalkdestillation aus Indigo hergestellt.[3] Er nannte das erhaltene Öl Crystallin (eine charakteristische Eigenschaft ist die Bildung kristallisierbarer Salze mit Säuren). 1834 isolierte Friedlieb Ferdinand Runge erstmals Anilin aus der lange Zeit wichtigsten Quelle, dem Steinkohlenteer[4], den er Kyanol (Blauöl, nach dem Verhalten der Substanz gegenüber Chlorkalklösung) nannte. Fritzsche hatte 1840 das Anilin aus der Destillation von Anthranilsäure erhalten, er konnte auch die Identität des von Zinin dargestellten Produktes nachweisen.[5] Zinin erhielt Anilin (von ihm Benzidam genannt) aus Nitrobenzol durch Reduktion mit Schwefelwasserstoff.[6] A. W. Hofmann zeigte, dass diese Verbindungen identisch sind, er konnte ferner das Nitrobenzol mit einem deutlich verbesserten Verfahren (Zink + Säure) zu Anilin reduzieren.[7][8]

Seit 1897 wird Anilin von der Badischen Anilin- und Soda-Fabrik (BASF) zur Synthese des vorher nur aus pflanzlichen Rohstoffen gewonnenen Farbstoffs Indigo eingesetzt (Heumann-Synthese). Schon vorher wurde Anilin in großem Maßstab hergestellt, etwa von der Agfa (Aktien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation) ab 1873. Eine bekannte Anwendung des Farbstoffes war Anilinleder. Auch in der Drucktechnik wurde Anilin verwendet, u. a. bekam der Flexodruck den auch heute noch verwendeten Beinamen Anilindruck, da erst durch das Anilin eine gute Druckqualität erzeugt werden konnte.

Herstellung

In der Technik gewinnt man Anilin durch eine Reduktion von Nitrobenzol mit Eisen in Gegenwart von Salzsäure (Bechamp-Reduktion):

Bechamp-Reduktion
Nitrobenzol, Eisen und Wasser reagieren zu Anilin und Eisen(II,III)-oxid.

Anschließend wird mit Branntkalk (CaO) neutralisiert, und das Anilin zusammen mit dem Wasser abdestilliert. Das als Nebenprodukt entstehende Eisen(II,III)-oxid kann als Pigment eingesetzt werden.

Es gibt noch andere Verfahren, zum Beispiel die Ammonolyse von Chlorbenzol oder Phenol:

Ammonolyse von Chlorbenzol
$ \mathrm {C_{6}H_{5}OH+NH_{3}\longrightarrow C_{6}H_{5}NH_{2}+H_{2}O} $

Verwendung

Es dient in der chemischen Industrie in erster Linie als Ausgangsstoff für die Synthese von Farben und Kunstfasern, aber auch zur Herstellung von Kautschuk und Medikamenten und als Komponente hypergoler Treibstoffe in der Raumfahrt.

Reaktionen

Die Reaktion von Anilin mit alkalischer Acetonlösung führt zum N-(2-Propyliden)anilin:

$ \mathrm {C_{6}H_{5}NH_{2}+(CH_{3})_{2}CO\longrightarrow C_{6}H_{5}N=C(CH_{3})_{2}+H_{2}O} $

Die Reaktion von Anilin mit Benzaldehyd führt zum Benzalanilin (Benzylidenanilin):

$ \mathrm {C_{6}H_{5}NH_{2}+C_{6}H_{5}CHO\longrightarrow C_{6}H_{5}N=(CH)C_{6}H_{5}+H_{2}O} $

Bei der Reaktion von Anilin mit Essigsäureanhydrid entsteht das N-Phenylacetamid (Acetanilid):

$ \mathrm {C_{6}H_{5}NH_{2}+(CH_{3}CO)_{2}O\longrightarrow C_{6}H_{5}NH-COCH_{3}+CH_{3}COOH} $

Anilin ist das einfachste aromatische Amin, das nicht wasserlöslich ist. Um die Wasserlöslichkeit zu begünstigen bzw. diese zu erhöhen, versetzt man das Anilin mit einer Säure (beispielsweise Salzsäure)- dies führt zur sofortigen Salzbildung. Mit Salzsäure entsteht das Anilinhydrochlorid (Aniliniumchlorid):

$ \mathrm {C_{6}H_{5}NH_{2}+HCl\longrightarrow C_{6}H_{5}NH_{3}^{+}Cl^{-}} $

Auch die Sulfonierung an Anilin ist möglich. Hierbei handelt es sich um eine elektrophile aromatische Substitution $ \mathrm {(S_{E})} $. Als elektrophiles Teilchen wird Schwefeltrioxid ($ \mathrm {SO_{3}} $) eingeführt, welches durch Reaktion von Schwefelsäure mit sich selbst gebildet wird:

Bildung des Elektrophils (Schwefeltrioxid):

$ \mathrm {H_{2}SO_{4}+H_{2}SO_{4}\longrightarrow SO_{3}+H_{3}O^{+}+HSO_{4}^{-}} $

Nach dem Prinzip der elektrophilen Substitution (Sulfonierung) ist die Sulfanilsäure synthetisierbar.

$ \mathrm {C_{6}H_{5}NH_{2}+SO_{3}\ \xrightarrow {H_{2}SO_{4}} \ O_{3}S-C_{6}H_{5}NH_{2}+H^{+}} $

Auch weitere elektrophile Substitutionen sind möglich. Beispielsweise die Halogenierung, die Friedel-Crafts-Alkylierung und die Friedel-Crafts-Acylierung.

Lässt man Anilin mit seinem Salz (beispielsweise Anilinhydrochlorid) in der Hitze reagieren, so entsteht das Diphenylamin:

$ \mathrm {C_{6}H_{5}NH_{2}+C_{6}H_{5}NH_{3}^{+}Cl^{-}\longrightarrow (C_{6}H_{5})_{2}NH+NH_{4}Cl} $

Die Darstellung von Nitrobenzol aus Anilin ist ebenfalls denkbar. Dabei wird das Anilin mit einem Oxidationsmittel (wie zum Beispiel Wasserstoffperoxid, mCPBA, Kaliumpermanganat, Chrom(VI)-oxid oder Blei(IV)-oxid) über die Zwischenstufe Nitrosobenzol zum Nitrobenzol umgesetzt.

$ \mathrm {C_{6}H_{5}NH_{2}\ {\xrightarrow {Oxidationsmittel}}\ C_{6}H_{5}NO\ {\xrightarrow {Oxidationsmittel}}\ C_{6}H_{5}NO_{2}} $

Die Reaktion von Nitrosobenzol und Anilin führt durch Wasserabspaltung zu, Azobenzol:

$ \mathrm {C_{6}H_{5}NH_{2}+C_{6}H_{5}NO\ \longrightarrow \ C_{6}H_{5}-N=N-C_{6}H_{5}+H_{2}O} $

Eine direkte Nitrierung mit Nitriersäure führt zu Oxidationen der Aminogruppe. Die gewünschten Nitroaniline erhält man erst nach vorherigem Schützen der Aminogruppe als Acetanilid.

Wenn man die nun erhaltenen Nitroaniline mithilfe eines Reduktionsmittels (wie zum Beispiel Zink in Salzsäure, Natriumborhydrid,Lithiumaluminiumhydrid oder Natriumsulfit) reduziert, erhält man die Phenylendiamine:

$ \mathrm {H_{2}NC_{6}H_{4}NO_{2}\ {\xrightarrow {Reduktionsmittel}}\ H_{2}NC_{6}H_{4}NO\ {\xrightarrow {Reduktionsmittel}}\ H_{2}NC_{6}H_{4}NH_{2}} $

Eine katalytische Hydrierung von Anilin in Gegenwart eines Katalysators führt zum Cyclohexylamin (CHA). Als Katalysator für katalytische Hydrierungen benutzt man üblicherweise (Edel)-Metalle wie zum Beispiel Palladium:

$ \mathrm {C_{6}H_{5}NH_{2}\ {\xrightarrow {Reduktionsmittel\ +\ Katalysator}}\ C_{6}H_{11}NH_{2}} $

Ebenso ist auch die Reaktion mit dem Namen Diazotierung bekannt. Dabei reagiert das Anilin mit Natriumnitrit in Gegenwart von zum Beispiel Salzsäure oder salpetriger Säure zum Benzoldiazoniumchlorid:

$ \mathrm {C_{6}H_{5}NH_{2}+NaNO_{2}+2HCl\ \longrightarrow \ C_{6}H_{5}N_{2}^{+}Cl^{-}+2H_{2}O+NaCl} $

Das Benzoldiazoniumchlorid ist ein starkes, instabiles Elektrophil, das in der Farbstoffchemie eine große Anwendung findet. Das Benzoldiazoniumchlorid kann dabei zum Beispiel mit Wasser zu Phenol unter Stickstoffverlust reagieren. Ebenso ist eine Sandmeyer-Reaktion in Gegenwart von Kupfer(I)-chlorid und Salzsäure unter Wärmezufuhr möglich – dabei entsteht das Chlorbenzol ebenfalls unter Stickstoffverlust. Unter Erhalt von Stickstoff lässt sich das Benzoldiazoniumion zum Beispiel mit Natriumsulfit in wässriger Lösung zum Phenylhydrazin reduzieren:

$ \mathrm {C_{6}H_{5}N_{2}^{+}Cl^{-}\ \xrightarrow {Na_{2}SO_{3}\ in\ H_{2}O} \ C_{6}H_{5}NH-NH_{2}} $

Lässt man das Benzoldiazoniumchlorid zum Beispiel mit einer alkalischen 2-Naphthol-Lösung ($ \mathrm {C_{10}H_{7}O} $) reagieren, so erhält man unter Erhalt von Stickstoff das sog. Sudan I. Diese Reaktion wird auch als Kupplungsreaktion, genauer als Azokupplung bezeichnet:

$ \mathrm {C_{6}H_{5}N_{2}^{+}Cl^{-}+C_{10}H_{8}O\ \xrightarrow {OH^{-}} \ C_{6}H_{5}-N=N-C_{10}H_{7}O} $

Abgesehen vom den Naphtholen können auch andere Kupplungsreagenzien wie zum Beispiel 1-Naphthylamin eingesetzt werden. Aufgrund der Vielzahl an möglichen Kupplungsreagenzien existieren viele wichtige Azofarbstoffe, deshalb bilden sie zahlenmäßig auch die stärkste Farbstoffklasse.

Lässt man Anilin mit Formaldehyd (37%ig) nach dem Mechanismus der Aldol-Addition reagieren erhält man das N-Methylidenanilin:

N-Methylidenaniline Synthesis.svg

Der Reaktionsmechanismus ist ähnlich einer Aldoladdition mit anschließender Aldolkondensation. Zuerst greift der Stickstoff der Aminogruppe des Anilins an der Aldehydgruppe (Carbonylgruppe) des Formaldehyd an. Aus dem doppelt gebundenem Sauerstoff der Aldehydgruppe wird ein einfach gebundener mit einer negativen Ladung. Der Stickstoff ist vorerst positiv geladen, bis er sein Proton an den negativ geladenen Sauerstoff der Aldehydgruppe abgibt. Spontan oder durch Zugabe eines wasserentziehenden Mittels wird aus dem Molekül Wasser abgespalten (Hydroxygruppe des ehemaligen Formaldehyds + Proton des Stickstoffs). Zustande kommt eine Verbindung der allgemeinen Struktur R'–N=CH–R). N-Methylidenanilin gehört zu der Verbindungsklasse der Azomethine (Schiffschen Basen) und besitzt aufgrund der Methylidengruppe einen sehr reaktiven Angriffspunkt für Nucleophile.

Sicherheitshinweise

Anilin ist ein starkes Blutgift. Es oxidiert den roten Blutfarbstoff Hämoglobin zu Methämoglobin und verhindert damit den Sauerstofftransport im Blut. Das Gift kann durch Schlucken, Einatmen und durch die Haut aufgenommen werden. Bei leichten Vergiftungen kommt es zur Blaufärbung der Haut und der Fingernägel, zu Schwindelanfällen und Erregungszuständen. Bei höherer Konzentration treten Kopfschmerzen, Schwindel, Bewusstseinsstörungen und Atemnot auf. Letzteres kann den Tod verursachen. Langfristige Vergiftungserscheinungen zeigen sich in Schwächegefühl, Appetitlosigkeit und Blasenkrebs.

Anilin war 1981 auch eine der Ursachen für die in Spanien durch verunreinigtes Rapsöl aufgetretenen Massenvergiftung (Spanisches Ölsyndrom):[9] Mit Anilin vergälltes Rapsöl für industrielle Zwecke wurde dabei redestilliert und anschließend über Straßenhändler als „Olivenöl“ verkauft. 20.000 Personen erkrankten, 400 starben. Die genauen Ursachen der Vergiftung sind bis heute allerdings ungeklärt.

Siehe auch

  • Aniliner

Literatur

  • Karl Aloys Schenzinger: Anilin – Roman eines Farbstoffes. 1936, ASIN: B000W83G7E.
  • Christian Mähr: Von Alkohol bis Zucker – Zwölf Substanzen, die die Welt veränderten, Köln 2010, ISBN 978-3-8321-9549-6.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 1,9 Eintrag zu Anilin in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA (JavaScript erforderlich).
  2. 2,0 2,1 Referenzfehler: Es ist ein ungültiger <ref>-Tag vorhanden: Für die Referenz namens ESIS wurde kein Text angegeben.
  3. Otto Unverdorben: Ueber das Verhalten der organischen Körper in höheren Temperaturen, Annalen der Physik und Chemie, 1826, VIII, S. 397 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  4. F. F. Runge: Annalen der Physik und Chemie, 1834, XXXI, S. 65 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  5. J. Fritzsche: Über das Anilin, ein neues Zersetzungsprodukt des Indigos, Annalen der Chemie, 1840, 36 (1), S. 84–90.
  6. Dr. N. Zinin: Journal für praktische Chemie, 1842, S. 140 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. A. W. Von Hofmann, J. S. Muspratt: Neue Bildungsweisen des Anilins, Annalen der Chemie, 1845, 53, S. 221–229 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  8. A. W. von Hofmann: Über eine sichere Reaction auf Benzol, Liebigs Annalen, XLVIII, S. 200.
  9. E. Gelpí et al.: The Spanish Toxic Oil Syndrome 20 Years after Its Onset: A Multidisciplinary Review of Scientific Knowledge, Environmental Health Perspectives, 2002, 110 (5); S. 457–464; PMID 12003748; PMC 1240833 (freier Volltext).

Weblinks

Commons: Anilin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Anilin – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikisource: Einen „Beitrag zur Geschichte wissenschaftlicher Entdeckungen“ – Die Entdeckung des Anilin durch Friedlieb Ferdinand Runge. In: Die Gartenlaube, 1863.

Die News der letzten Tage