Bakteriophage


Gamma-Phagen
transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme nach Negativkontrastierung

Als Bakteriophagen oder in der Kurzform einfach Phagen (Singular: Phage, der; von altgriechisch βακτήριον baktérion „Stäbchen“ und altgriechisch φαγεῖν phageín, „fressen“) bezeichnet man eine Gruppe von Viren, die auf Bakterien und Archaeen als Wirtszellen spezialisiert sind. Diese Wirtsspezifität wird bei der taxonomischen Einordnung der Phagen zu Rate gezogen. Man unterscheidet also zum Beispiel Coli-, Staphylokokken-, Diphtherie- oder Salmonella-Bakteriophagen. Mit einer geschätzten Anzahl von 1030 Virionen im gesamten Meerwasser sind Phagen die häufigsten Lebewesen der Erde (sofern Viren als Lebewesen angesehen werden; Virologen sind sich allerdings weitgehend darüber einig, dass Viren keine Lebewesen sind) und bilden das so genannte Virioplankton.

Geschichte

Phagen wurden 1917 von dem Kanadier Félix Hubert d’Hérelle erstmals beschrieben.[1] Zwar hatte der Engländer Frederick Twort bereits 1915 an Staphylokokken-Kulturen Zersetzungsprozesse beobachtet, die auf die Einwirkung von Bakteriophagen zurückzuführen sind, jedoch wurde seine Veröffentlichung praktisch nicht beachtet. D’Hérelle gilt somit neben Frederick Twort als einer der Entdecker der Bakteriophagen, den sogenannten „Bakterienfressern“. Ihren Namen und ihre Entdeckung verdanken sie jedoch d’Hérelle. Parallel zu d’Hérelle postulierte der deutsche Mikrobiologe Philalethes Kuhn aufgrund von Beobachtungen der Veränderungen von Bakterienkulturen unter bestimmten Bedingungen die Existenz von Bakterienparasiten. Er bezeichnete diese als Pettenkoferien und sah die von d’Hérelle beschriebene „unsichtbare, dem Ruhrbazillus entgegenwirkende Mikrobe“ als Sonderfall dieser Parasiten an. Wie sich später herausstellte, beruhten seine Beobachtungen jedoch nicht auf der Existenz eines Bakterienparasiten, sondern lediglich auf Formveränderungen der von ihm untersuchten Bakterien.

D’Hérelle stellte sich den Bakteriophagen als ein „ultravisibles, korpuskulares Lebewesen“ vor, das in einer Grundform existiere und sich an verschiedene Wirte, also Bakterien anpasse. Tatsächlich sind Bakteriophagen nach heutigem Wissensstand hochspezialisierte Parasiten, die an einen spezifischen Wirt gebunden sind. Die ersten Phagen, die untersucht wurden, waren sieben Phagen des Bakteriums Escherichia coli. Sie wurden in der Reihenfolge ihrer Entdeckung als Typ 1 (T1), Typ 2 (T2) und so weiter benannt.

Aufbau

Bakteriophagenstruktur.

Die Gestalt der Bakteriophagen wurde vorwiegend an den Phagen der T-Reihe (T-Serie) von Escherichia coli aufgeklärt. (Der Coliphage T2 besteht aus einem polyedrischen Kopf von 100 nm Länge, an dem ein etwa gleich langer Schwanz sitzt.) Bakteriophagen werden taxonomisch nach ihrer Morphologie, ihrem Genom und ihrem Wirt eingeteilt. So unterscheidet man DNA-Phagen mit einzelsträngiger DNA, sogenannte ss-DNA-Phagen (von engl. single-stranded), und solche mit doppelsträngiger DNA, sogenannte ds-DNA-Phagen (von engl. double-stranded). Die hier exemplarisch behandelten E. coli-Phagen der T-Reihe werden zu letzterer Gruppe gezählt.

Die sogenannten T-Phagen (z. B. T4-Phage) zeichnen sich gegenüber anderen Bakteriophagen durch einen relativ komplexen Aufbau aus. Grundlegend setzen sie sich aus einer Grundplatte (9), einem Einspritzapparat (Injektionsapparat, 2) und einem Kopf (1), bestehend aus dem so genannten Kapsid (4) und der darin enthaltenen Nucleinsäure (3) zusammen. Die Module Kopf und Einspritzapparat sind durch einen Hals (Collar, 5) verbunden. Die Grundplatte (die wie Kapsid und Injektionsapparat aus Proteinen aufgebaut ist) ist mit Schwanzfibern (7) und Spikes (8) besetzt, die der Adsorption auf der Wirtszellwand dienen. Der Injektionsapparat besteht aus einem dünnen Rohr, auch Schwanzrohr (6) genannt, durch das die Phagen-DNA (3) in die Wirtszelle injiziert wird. Das Rohr wird von einer kontraktilen Schwanzscheide umhüllt, die sich während der Injektion zusammenzieht. Das Kapsid ist mit ikosaedrischer Symmetrie aus 152 Kapsomeren aufgebaut und enthält die DNA des Phagen. Aufgrund dieses Aufbaus zählen die Phagen der Gattung T4-ähnliche Viren (Familie Myoviridae) zu den strukturell komplexesten Viren.

Phagen mit einzelsträngiger DNA sind dagegen meist klein, sphärisch und schwanzlos oder filamentös. Die ebenfalls auftretenden RNA-Phagen bestehen meist (soweit bis zu diesem Zeitpunkt beschrieben) aus einer Proteinhülle, die ein einsträngiges RNA-Molekül umschließt. Der Durchmesser dieser Phagen beträgt etwa 25 nm, sie gehören also zu den kleinsten Phagen.

Vermehrung von Bakteriophagen

Viren benötigen mangels eines eigenen Stoffwechsels zur Reproduktion einen Wirt, im Falle der Bakteriophagen eine lebende (geeignete) Bakterienzelle. Die Reproduktion lässt sich in fünf Phasen untergliedern:

Adsorption an spezifische Zellwandrezeptoren

Bei der Adsorption lagern sich die Enden der Schwanzfäden an die Oberflächenstruktur an.

Injektion der Phagen-DNA in die Wirtszelle

Daraufhin folgt die Injektion, bei welcher die phageneigene DNA bzw. RNA in das Bakterium gelangt. Die leeren Hüllen der Phagen bleiben als funktionslose Proteine auf der Oberfläche des Bakteriums zurück.

Latenzphase

Während dieser Phase lassen sich im Bakterium selbst keine Phagen nachweisen. Nun beginnt die Transkription des Virusgenoms, die Translation der viralen mRNA und die Replikation der Virusnukleinsäure. Dieser Vorgang dauert maximal einige Stunden.

Produktionsphase

Nachdem die Phagengene in einer festgelegten Reihenfolge aktiv geworden sind, werden alle Virusbestandteile, wie Hüllproteine, Phagen-DNA und Schwanzfäden gebildet.

Reifephase

In dieser Phase erfolgt der Zusammenbau zu reifen Phagenpartikeln, der Morphogenese oder dem so genannten assembly. Zunächst wird ein Kopfteil bzw. Kapsid gebildet. Die Proteine im Innern dienen als Platzhalter und werden später durch die Phagen-DNA, die in das Kapsid eindringt, ersetzt. Dabei nehmen die Fäden der DNA eine einem Wollknäuel ähnliche platzsparende Form ein.

Freisetzung

Die Freisetzung der fertigen Viruspartikel erfolgt durch die Lysis der Wirtszelle, welche wiederum von dem Enzym Lysozym verursacht wird, welches von dem umprogrammierten Bakterium selbst gebildet wird. Es löst die bakterielle Mureinzellwand auf. Die Zelle platzt und etwa 200 infektiöse Phagen werden frei.

Die Vermehrung verläuft bei einigen Phagenarten nicht immer nach dem oben beschriebenen, lytischen Schema ab. Bei temperenten Phagen unterscheidet man zwischen lysogenen und lytischen Vermehrungszyklen beziehungsweise Infektionszyklen. Bei einem lysogenen Zyklus wird die DNA des Phagen in das Chromosom des Bakteriums eingebaut, wodurch ein Prophage entsteht. Bei jeder folgenden Zellteilung werden die Gene des Phagen und die des Bakteriums gemeinsam verdoppelt und weitergegeben. Dieser Zyklus kann später in den lytischen Zyklus münden.

Anwendungsgebiete

Phagen haben in Medizin, Biologie, Agrarwissenschaften vor allem im Bereich der Gentechnologie ein breites Anwendungsspektrum gefunden. So verwendet man Phagen in der Medizin aufgrund ihrer Wirtsspezifität zur Bestimmung von bakteriellen Erregern. Dieses Verfahren nennt man Lysotypie. Aufgrund der immer häufiger auftretenden multiplen Antibiotikaresistenzen wird zurzeit intensiv an der Anwendung von Bakteriophagen als Antibiotika-Ersatz in der Humanmedizin (siehe: Phagentherapie) geforscht. Probleme ergeben sich hierbei durch die geringe Stabilität von Phagen im Körper, da sie in recht kurzer Zeit durch Fresszellen als Fremdkörper beseitigt werden. Diese Anwendung von Phagen als Antibiotika-Ersatz wurde bereits 1916 von Felix d’Hérelle entdeckt, wurde jedoch mit der Einführung der Chemotherapie per Antibiotika als unpraktisch erachtet und geriet in Vergessenheit. D’Hérelle gründete 1934 zusammen mit dem georgischen Mikrobiologen Georgi Eliava in Georgien das Eliava-Institut für Phagenforschung, welches heute noch besteht.[2]

In der Gentechnik werden temperente Phagen als Vektoren (z. B. der λ Phage) benutzt. Hierzu werden Phagen so präpariert, dass ihrem Genom die Gene, welche die Virulenz hervorrufen, entnommen und durch Gene ersetzt werden, die für gentechnologische Belange interessant sind, wie beispielsweise Gene, die zur Insulinproduktion benötigt werden. Diese veränderten Phagen werden nun mit geeigneten Bakterien, zum Beispiel E. coli, in Kontakt gebracht. Nach einer Überprüfung, ob das gewünschte Gen in die Erbsubstanz des Bakteriengenoms integriert wurde (man bedient sich hierzu genexprimierter Antibiotikaresistenzen, die an die zu klonierenden Wunschgene angeschlossen werden) können die modifizierten Bakterienzellen weiterkultiviert werden und das in diesem Falle produzierte Insulin isoliert werden. Ähnlich werden Phagen in der Agrartechnologie zur Transduktion bestimmter Gene in Nutzpflanzen eingesetzt. Eine wichtige Anwendung in der Biotechnologie ist das Phagen-Display zur Isolierung neuer Wirkstoffe. Einfacher als die Nutzung von Phagen ist jedoch die Transformation freier DNA, die heutzutage überwiegend zum Transfer in die Bakterienzellen verwendet wird.

Schaden für den Menschen durch Phagen

Bakteriophagen können überall dort Schaden anrichten, wo bakterielle Prozesse dem Menschen dienen. Infektion von Milchsäurebakterien (LAB) durch Phagen aus Rohmilch ist die häufigste Ursache für verringerte oder fehlende Enzymaktivität in Starterkulturen für die Käse- oder Dickmilchproduktion.[3]

Systematik

Bakteriophagen finden sich in der Systematik der Virus-Taxonomie in folgenden taxonomischen Gruppen:

  • dsDNA-Bakteriophagen:
  • ssDNA-Bakteriophagen:
  • dsRNA-Bakteriophagen:
  • Familie: Cystoviridae
  • ssRNA-Bakteriophagen:
  • Familie: Leviviridae

Einzelnachweise

  1. F. d’Hérelle (1917): Sur un microbe invisible antagoniste des bacilles dysentériques. In: C. R. Ac. Sciences. 165:373-375.
  2. Daria Vaisman: Eat Me. In: Slate, Mai 2006
  3. Guglielmotti DM, Mercanti DJ, Reinheimer JA, Quiberoni ADL: Efficiency of physical and chemical treatments on the inactivation of dairy bacteriophages. In: Frontiers in Microbiology 2(2012) doi:10.3389/fmicb.2011.00282

Literatur

  • N. H. Mann (2005): The third age of phage. In: PLoS Biol. 3(5):e182. doi:10.1371/journal.pbio.0030182 PDF
  • Nancy Trun & Janine Trempy (2003): Bacteriophage. In: Fundamental Bacterial Genetics. ISBN 0-632-04448-9 PDF
  • Górski A, Weber-Dabrowska B: The potential role of endogenous bacteriophages in controlling invading pathogens. In: Cell. Mol. Life Sci. 62. Jahrgang, Nr. 5, März 2005, S. 511–9, doi:10.1007/s00018-004-4403-6, PMID 15747058.
  • Hans Günther Schlegel, Hrsg. Georg Fuchs (2006): Allgemeine Mikrobiologie, 8. Auflage, Verlag Thieme Stuttgart, ISBN 978-3-13-444608-1

Weblinks

Commons: Bakteriophagen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Bakteriophage – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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