Carbamazepin


Strukturformel
Strukturformel von Carbamazepin
Allgemeines
Freiname Carbamazepin
Andere Namen
  • 5H-Dibenz[b,f]azepin-5-carbamid (IUPAC)
  • Carbamazepinum (Latein)
Summenformel C15H12N2O
Kurzbeschreibung

weißes bis fast weißes, kristallines und polymorphes Pulver[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 298-46-4
PubChem 2554
DrugBank DB00564
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Arzneistoffangaben
ATC-Code

N03AF01

Wirkstoffklasse

Antiepileptika

Wirkmechanismus

Blockade der Natriumkanäle

Eigenschaften
Molare Masse 236,27 g·mol−1
Schmelzpunkt

189–193 °C[1]

Löslichkeit

sehr schwer löslich in Wasser (205 mg·l−1[2]), leicht löslich in Dichlormethan, wenig löslich in Aceton und Ethanol 96 %[1]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [3]

Gefahr

H- und P-Sätze H: 302​‐​317​‐​334
P: 261​‐​280​‐​342+311 [3]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Carbamazepin zählt chemisch zur Klasse der Dibenzazepine und ist ein Antiepileptikum, das vorwiegend gegen fokale Epilepsien eingesetzt wird. Darüber hinaus wird es auch als Phasenprophylaktikum bei verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen eingesetzt. Strukturchemisch ist es dem Imipramin ähnlich.

Pharmakologie

Pharmakokinetik

Carbamazepin wird relativ langsam resorbiert (2–8 Stunden) und hat eine Bioverfügbarkeit von circa 80 %. Das metabolische Folgeprodukt Carbamazepin-10,11-Epoxid weist ebenfalls antiepileptische Eigenschaften auf, wird jedoch auch als verantwortlich für die toxischen Effekte der Substanz angesehen. Die therapeutische Breite ist gering.

Carbamazepin wird in der Leber über das Cytochrom-P450-Enzymsystem (vor allem CYP3A4) verarbeitet, dessen Aktivität es auch induziert. Dies ist vor allem im Hinblick auf potentielle (Arzneimittel-)Wechselwirkungen relevant.

Pharmakodynamik (Wirkmechanismus)

Der Wirkmechanismus ist noch nicht vollständig geklärt. Es wird jedoch angenommen, dass Carbamazepin durch Blockade von Natriumkanälen in den Axonen der Nervenzellen wirkt.

Klinische Angaben

Mögliche Indikationen

Neben der Behandlung der genannten zerebralen Anfallsleiden ist eine weitere wichtige Indikation für Carbamazepin die Behandlung bei affektiven Störungen wie Manie. Indiziert ist es vor allem zur Akutbehandlung von Manien und schizomanischen Episoden sowie zur Phasenprophylaxe bipolarer und schizoaffektiver Störungen, wird allerdings zunehmend von moderneren Präparaten verdrängt. Darüber hinaus wird Carbamazepin zum Schutz vor Krampfanfällen im Benzodiazepin- und Alkoholentzug eingesetzt. Carbamazepin wird auch zur Therapie einer Trigeminusneuralgie verwendet.[4]

Es kann auch bei starken Stimmungsschwankungen und Autoagression in der Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung angewendet werden.[5] Des Weiteren spielt seine Anwendung als Koanalgetikum bei neuropathischen Schmerzen eine gewichtige Rolle.

Anwendung in der Schwangerschaft und Stillzeit

Carbamazepin kann Fehlbildungen beim Ungeborenen verursachen (teratogene Wirkung). Insbesondere das Risiko für Spaltbildungen der Wirbelsäule (Spina bifida, „offener Rücken“) ist erhöht. Neueren Untersuchungen weisen jedoch auf eine nur geringfügige Erhöhung des Auftretens großer Fehlbildungen hin.[6] Die Kombination mit anderen Antikonvulsiva kann die Fehlbildungsrate weiter erhöhen.[7] Für eine Behandlung mit Carbamazepin in der Schwangerschaft ist die Nutzen-Risiko-Abwägung besonders sorgfältig zu treffen.[6]

Nebenwirkungen

Carbamazepin kann latente Psychosen aktivieren. Bei älteren Patienten kann Verwirrtheit und Agitation auftreten.[8] Besonders bei rascher Aufdosierung treten Sedierung, Benommenheit, Schwindel (ähnlich der Seekrankheit), Doppelbilder, Nystagmus und Ataxie auf. Es können Depressionen, Appetitverlust, Unruhe, aggressives Verhalten, Übelkeit, Erbrechen, Sprachstörungen, abnorme ungewollte Bewegungen, allergische Hautreaktionen (Lyell-Syndrom), Transaminaseerhöhungen, Hyponatriämie sowie Leukopenien und andere Veränderungen des Blutbildes auftreten. Außerdem können kardiale Überleitungsstörungen verursacht werden. Sehr selten (Risiko 1:20.000), aber besonders zu beachten, ist das Auftreten einer Agranulozytose. Treten Blutbildveränderungen oder allergische Exantheme auf, muss die Substanz abgesetzt werden. Selten kann es unter Carbamazepin auch zu einer Arzneimittel-toxischen Alveolitis kommen (IPF), welche sich durch rechtzeitige Karenz ohne weitere Therapie von alleine wieder zurückbilden kann.[9] Eine weitere wichtige, in den Lehrbüchern der Pharmakologie oft unterschlagene Nebenwirkung ist die ausgeprägte anticholinerge Wirkung.

Bei Menschen mit bestimmten Genvariationen im HLA-System können Hypersensitivitätsreaktion vom makulopapulösen Exanthem über schwere Leber- und Nierenerkrankungen bis hin zu einem Stevens-Johnson-Syndrom und Toxisch epidermaler Nekrolyse auftreten. Einerseits handelt es sich um Menschen asiatischen Ursprungs mit dem Genotyp HLA-B*1502 (Häufigkeit 2/1000), bei der mittel- und nordeuropäischen Bevölkerung findet sich dieser Genotyp noch seltener, 2011 wurde zusätzlich der Genotyp HLA-A*3101 (Häufigkeit 2-5 %) als Auslöser identifiziert. Die Genotypisierung vor der Verordnung kann sinnvoll sein, die FDA schreibt sie bereits vor.[10][11]

Wechselwirkungen

Durch die Aktivierung von Cytochrom-P450-Isoenzymen in der Leber beschleunigt Carbamazepin neben seinem eigenen auch den Abbau von anderen Medikamenten, etwa von Phenprocoumon, der Antibabypille, von einigen Antidepressiva und von Neuroleptika, von Cyclosporin, von Astemizol, von Valproinsäure u.v.m. So können gleichzeitig verordnete Medikamente unter der Gabe von Carbamazepin ihre Wirkung verlieren, eine Überprüfung der Serumspiegel und eine Dosisanpassung ist also notwendig.

Besonderes Augenmerk ist auf Medikamente zu legen, welche dagegen die Verstoffwechselung von Carbamazepin hemmen (Anstieg des Serumspiegels, Vergiftungsgefahr).

Substanzen, welche die Plasmakonzentration von Carbamazepin erhöhen können sind:[12]

  • Grapefruit-Saft,
  • Fluoxetin,
  • Fluvoxamin,
  • möglicherweise Desipramin,
  • Isoniazid,
  • Verapamil,
  • Diltiazem,
  • Dextropropoxyphen,
  • Viloxazin,
  • möglicherweise Cimetidin,
  • Acetazolamid,
  • Danazol,
  • Nicotinamid (bei Erwachsenen und nur in hohen Dosen),
  • Nefazodon, Makrolid-Antibiotika (z. B. Erythromycin, Troleandromycin, Josamycin, Clarithromycin),
  • Azolderivate (z.B. Itraconazol, Ketoconazol, Fluconazol),
  • Terfenadin,
  • Loratadin,
  • Protease-Hemmer zur HIV-Behandlung

Substanzen, welche die Plasmakonzentration von Carbamazepin senken können sind dagegen:[12]

  • pflanzliche Präparate, die Johanniskraut (Hypericum perforatum) enthalten
  • Phenobarbital,
  • Primidone,
  • Progabide,
  • Theophyllin,
  • Mesuximid,
  • Rifampicin,
  • Cisplatin,
  • Doxorubicin
  • Clonazepam,
  • Valproinsäure oder Valpromid,
  • Oxcarbazepin

Auswirkungen auf die Fähigkeit, am Straßenverkehr teilzunehmen oder Maschinen zu bedienen

Die Fähigkeit des Patienten, schnell zu reagieren, kann durch Schwindelgefühle oder Schläfrigkeit beeinträchtigt werden, insbesondere zu Beginn der Therapie oder im Zusammenhang mit Dosisanpassungen.[13]

Dosierung

Carbamazepin sollte anfangs langsam in der Dosis gesteigert werden (einschleichend), da vor allem bei Therapiebeginn Nebenwirkungen auftreten. Der angestrebte Serumspiegel beträgt 6 bis 8 (12) μg/ml. Besonders geeignet sind dafür Retardformen. Im Verlauf der Therapie sind eine regelmäßige Dosisanpassung (Aktivierung des Leberstoffwechsels) sowie monatliche Kontrolluntersuchungen (Nebenwirkungen) nötig. Zum Abschluss der Therapie muss die Dosis ausschleichend verringert werden.

Umweltwirkung

Bei den in Abwasser und Klärschlamm regelmäßig gefundenen Rückständen von Arzneimitteln handelt es sich nach Angaben der Bundesregierung neben Diclofenac vor allem um Carbamazepin. Die wenigen bisher vorliegenden Untersuchungen an Pflanzen hätten gezeigt, dass auch Pflanzen prinzipiell Arzneistoffe aus dem Boden aufnehmen können.

Literatur

  • Brunnhuber, S., Frauenknecht, S. & Lieb, K. (2005). Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie (S. 60f). Urban & Fischer: München. ISBN 3-437-42131-X.

Handelsnamen

Monopräparate

Carbaflux (D), Carbagamma (D), Carsol (CH), Deleptin (A), Finlepsin (D), Neurotop (A, CH), Tegretal (D), Tegretol (A, CH), Timonil (D, CH), zahlreiche Generika (D, A)

Weblinks

Commons: Carbamazepine – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Europäische Arzneibuch-Kommission (Hrsg.): EUROPÄISCHE PHARMAKOPÖE 6. AUSGABE. Band 6.0–6.2, 2008.
  2. Tsinman, K.; Avdeef, A.; Tsinman, O.; Voloboy, D.: Powder Dissolution Method for Estimating Rotating Disk Instrinsic Dissolution Rates of Low Solubility Drugs in Pharm. Res. 26 (2009) 2093-2100. doi:10.1007/s11095-009-9921-3.
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 Datenblatt Carbamazepin bei Sigma-Aldrich (PDF).Vorlage:Sigma-Aldrich/Name nicht angegebenVorlage:Sigma-Aldrich/Abruf nicht angegeben
  4. Leitlinie Trigeminusneuralgie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. In: AWMF online (Stand 02/2005)
  5. Leitlinie Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie.. In: AWMF online
  6. 6,0 6,1 Embriotox-Arzneimittelsicherheit in Schwangerschaft und Stillzeit: Daten für Carbamazepin abgerufen am 7. März 2012.
  7. Fachinformation Tegretal 600 mg retard, Stand September 2011.
  8. Fachinformation des Arzneimittel-Kompendium der Schweiz: Neurotop® retard.
  9. King GG, Barnes DJ, Hayes MJ: Carbamazepine-induced pneumonitis. In: The Medical Journal of Australia. 160. Jahrgang, Nr. 3, Februar 1994, S. 126–127, PMID 8295578.Vorlage:Cite book/Meldung
  10. Carbamazepin: Gentest sagt schwere Hautreaktionen voraus. aerzteblatt.de. 24. März 2011. Abgerufen am 1. Juli 2012.
  11. Carbamazepin-Hypersensitivität ist durch Gentest vorauszusagen, Der Arzneimittelbrief, Jahrgang 45, Juni 2011.
  12. 12,0 12,1 Fachinformation des Arzneimittel-Kompendium der Schweiz: Carsol® CR; Stand der Informationen: Januar 2004.
  13. Fachinformation des Arzneimittel-Kompendium der Schweiz: Tegretol, Stand: September 2002.

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