Emil Abderhalden


Emil Abderhalden

Emil Abderhalden (* 9. März 1877 in Oberuzwil; † 5. August 1950 in Zürich) war ein Schweizer Physiologe, „Entdecker“ der Abderhaldenschen Abwehrfermente und Präsident der Leopoldina.

Leben und Wirken

Emil Abderhalden war der Sohn eines Volksschullehrers und studierte ab 1895 Medizin an der Universität Basel, wo er 1902 mit einer Arbeit „Über den Einfluss der Höhenluft auf die Zusammensetzung des Blutes“ zum Dr. med. promoviert wurde. Seine erste Veröffentlichung erschien 1897 (Z. Biol. 1897, 12, 191). Da er sich mit seinem Doktorvater Gustav von Bunge überwarf, ging er 1902 als Assistent zum späteren Nobelpreisträger Hermann Emil Fischer und habilitierte 1904 mit „Neuen Ergebnissen auf dem Gebiet der spezifischen Eiweisschemie“.

Ab 1908 war Abderhalden Professor für Physiologie an der Tierärztlichen Hochschule Berlin. Im selben Jahr noch betraute man ihn mit der Leitung des Physiologischen Instituts der Hochschule. 1911 ging der Biochemiker Abderhalden an die Universität Halle. 1912 wurde er zum Mitglied der Gelehrtenakademie Leopoldina gewählt.

Im Ersten Weltkrieg kam Abderhalden durch das Stellvertretende Generalkommando des Heeres in Magdeburg zur Koordination der Transporte von Verwundeten. Dafür wurde er mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse am weissen Band ausgezeichnet. In dieser Zeit nahm die deutsche Akademie für Naturwissenschaftler, Leopoldina, ihn als Mitglied auf.

Abderhalden wird gelegentlich die Entwicklung des ersten Schwangerschaftstests zugeschrieben, doch beruhte dieser auf einem wissenschaftlichen Trugschluss (Van Slyke et al. 1915: „…die individuelle Variation der Sera von Schwangeren und Nichtschwangeren lassen die Resultate beider so vollends überlappen, dass die Reaktion, selbst mit quantitativen Techniken völlig unterschiedslos für eine positive oder negative Schwangerschaftsdiagnose verläuft.“) und wurde ausserhalb Deutschlands nach kurzer Zeit verworfen. 1915 war er der Gründer des Bundes zur Erhaltung und Mehrung der deutschen Volkskraft.[1]

Ab 1919 war Abderhalden für die liberale DDP Mitglied in der verfassunggebenden preussischen Landesversammlung. 1932 wählte das Präsidium der Leopoldina Aberhalden zu ihrem 20. Präsidenten. Dieses Amt hatte er offiziell bis 1950 inne, wurde aber ab 1945 von seinem Nachfolger Prof. Otto Schlüter vertreten.

Abderhalden war zwar kein Mitglied der NSDAP, gehörte aber seit 1934 dem NS-Lehrerbund an.[1] Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten setzte er sich auch öffentlich für die neue „Gesundheitspolitik“ der Nationalsozialisten ein. So befürwortete er die Zwangssterilisation und sympathisierte mit dem Gedankengut der nationalsozialistischen Rassenhygiene und „Euthanasie“. Er sorgte für Aufnahme der wichtigsten Rassenhygieniker in die Leopoldina und 1939 veröffentlichte er eine eigene Arbeit über biochemische Rassemerkmale. Er unterschrieb 1934 den Wahlaufruf "Deutsche Wissenschaftler hinter Adolf Hitler" im Völkischen Beobachter. [2]

Ab 1936 beschäftigte sich Abderhalden mit kriegswichtigen Forschungen über Ersatzstoffe und wurde dafür 1944 mit dem Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse ausgezeichnet. In vorauseilendem Gehorsam sorgte er für Entlassung aller jüdischen Mitglieder, von denen sechs in Konzentrationslagern starben. 1938 teilte Abderhalden dem Gauleiter in Halle mit, „alle Mitglieder jüdischer Abstammung seien ausgemerzt worden“. 1939 brachte er in Nova Acta Leopoldina einen Beitrag zur Rasse und Vererbung vom Standpunkt der Feinstruktur von blut- und zelleigenen Eiweißstoffen aus betrachtet, in dem er unter anderem behauptete, dass die Eiweissstoffe des Gewebes und Blutes Rassenmerkmale enthielten, sodass „die einzelnen Rassen … scharf unterschieden werden können“.[3]

Am 23. Juni 1945 wurde Abderhalden in die Amerikanische Besatzungszone deportiert. Äusserst irreführend firmiert dieser Transport immer wieder unter dem Namen Abderhalden-Transport. Doch schon kurze Zeit später konnte er sich in die Schweiz absetzen. In den Jahren 1946 bis 1947 lehrte er am Lehrstuhl für Physiologische Chemie an der Universität Zürich. [4] Da inzwischen seine Familie ebenfalls in Zürich weilte, lehnte er im Oktober 1947 einen Ruf an die Universität Halle ab, wo ein Jahr später sein Schüler Horst Hanson zu seinem Nachfolger ernannt wurde. Bereits im Jahr zuvor war dort eine Strasse nach ihm benannt worden, die bis heute seinen Namen trägt. Abderhalden starb 1950 in Zürich und wurde auf dem Friedhof Fluntern beigesetzt.

1998 erschien eine Studie im Wissenschaftsjournal Nature, die belegt, dass grosse Teile von Abderhaldens Arbeiten, und zwar die „Abwehrfermente“-Theorie und auf ihr basierende „Erkenntnisse“, wissenschaftlich nie belegbar waren, dass jedoch grosse Teile des wissenschaftlichen Establishments im Deutschen Reich aufgrund von Abderhaldens Reputation nicht wagten, diese zum Teil durch Fälschungen „belegten“ Theorien zu kritisieren oder sich gar durch Manipulation von Forschungsergebnissen zu Komplizen machten. Von Abderhalden und seinen Schülern wurden Experimente, die seine Thesen belegen sollten, so oft wiederholt, bis sich scheinbar (durch Antikörper und nicht etwa durch die nichtexistenten „Abwehrfermente“ – Proteasen – verursachte Immunpräzipitation) positive Ergebnisse zeigten; die Ergebnisse der negativ verlaufenen Versuche wurden verworfen. Der Biochemiker Leonor Michaelis musste für seine Kritik an Abderhaldens „Schwangerschaftstest“ letztendlich mit dem Verlust seines wissenschaftlichen Ansehens bezahlen und verliess später das Land, obwohl die Tatsache, dass Abderhaldens Test nicht verlässlich war, bereits 1915 bewiesen wurde. Noch heute wird Abderhalden im deutschsprachigen Raum oftmals als namhafter Wissenschaftler angesehen, obwohl sein unethisches und unwissenschaftliches Vorgehen eindeutig bewiesen ist.

Emil Abderhaldens Sohn Rudolf Abderhalden war ebenfalls ein bekannter Physiologe.

Literatur

  • Peter Friedli: Abderhalden, Emil. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 1, Duncker & Humblot, Berlin 1953, ISBN 3-428-00182-6, S. 5 f. (Digitalisat).
  • Ferdinand Tönnies (Einleitung): Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft - Das Handbuch der Persönlichkeiten in Wort und Bild. 1. Band. Deutscher Wirtschaftsverlag, Berlin 1930, ISBN 3-598-30664-4 (Mikrofiche-Ausgabe bei Sauer, München).
  • Donald D. van Slyke, Mariam Vinograd-Villchur, J. R. Losee: The Abderhalden Reaction. In: Journal of Biological Chemistry. Nr. 23, 1915, S. 377–406 (JBC PDF-Volltext – englisch).
  • Jakob Gabathuler: Emil Abderhalden. Sein Leben und Werk. Hrsg.: Abderhalden-Vereinigung. Buchhandlung Ribaux, Sankt Gallen 1991, ISBN 3-9520148-0-X.
  • Ute Deichmann, Benno Müller-Hill: The fraud of Abderhalden's enzymes. In: Nature. Nr. 393, 1998, S. 109–111 (englisch).
  • Mir Taher Fattahi: Emil Abderhalden (1877 - 1950). Die Abwehrfermente, ein langer Irrweg oder wissenschaftlicher Betrug? (online – Dissertation an der Universität Bochum 2006).
  • Ulrich Kutschera: Abderhalden's fraud still wins him some supporters. In: Nature. Nr. 446, 2007, S. 136 (englisch).
  • Andreas Frewer: Medizin und Moral in Weimarer Republik und Nationalsozialismus. Die Zeitschrift »Ethik« unter Emil Abderhalden. Campus, Frankfurt am Main 2000, ISBN 978-3-593-36582-4, S. 192 (Google bücher).
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. 2. aktualisierte Auflage. Fischer Taschenbuch (Nummer 16048), Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-596-16048-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 9.
  2. Text und weitere Unterzeichner s. Werner Sombart
  3. Andreas Frewer: Medizin und Moral in Weimarer Republik und Nationalsozialismus. Die Zeitschrift »Ethik« unter Emil Abderhalden. Campus, Frankfurt am Main 2000, ISBN 978-3-593-36582-4, S. 192 (Google bücher).
  4. Winfried R. Pötsch, Annelore Fischer und Wolfgang Müller unter Mitarbeit von Heinz Cassenbaum: Lexikon bedeutender Chemiker, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1988, S. 7, ISBN 3-323-00185-0.