Eugen Haagen


Niels Eugen Haagen (* 17. Juni 1898 in Berlin; † 3. August 1972 in Berlin) war ein deutscher Bakteriologe und Virologe sowie Professor an der Reichsuniversität Straßburg. Er führte im KZ Natzweiler-Struthof unter anderem Fleckfieberversuche an Häftlingen durch.

Leben

Haagen, studierter Mediziner, war zunächst Assistenzarzt an der Berliner Charité. Ab 1926 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Reichsgesundheitsamt und dort insbesondere in der Virus- und Tumorforschung tätig. Von 1928 bis 1929 absolvierte Haagen einen Gastaufenthalt am Rockefeller-Institut in New York und wurde dort 1930 Regierungsrat und zudem außerordentlichen Mitglied bei der Gesundheitsabteilung der Rockefeller-Stiftung. Ende der 1920er Jahre brachte er wissenschaftliche Publikationen auch gemeinsam mit Rhoda Erdmann heraus. Ab 1933 war Haagen am Robert Koch-Institut beschäftigt und übernahm 1936 die Abteilung für experimentelle Zell- und Virusforschung. Zudem erfolgte seine Ernennung zum Professor und beratende Tätigkeiten als Hygieniker beim Berliner Luftflottenarzt I.[1] Durch die Entwicklung eines Typhusimpfstoffes gelangte er 1936 auf die Kandidatenliste des Nobelpreises für Medizin.[2] Zwischen 1937 bis 1939 befasste er sich mit Tumorforschung, einem Projekt, welches durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wurde. Er war 1939 Mitherausgeber des medizinischen Standardwerkes „Handbuch der Viruskrankheiten“. Der NSDAP trat Haagen 1937 bei. Haagen war zudem Mitglied der NSV, im Reichsbund der Deutschen Beamten, im Reichsluftschutzbund sowie im NS-Fliegerkorps.[3] Er wurde noch 1944 Mitglied in der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle/Saale.[4]

Im Oktober 1941 wurde Haagen Professor für Hygiene und Bakteriologie an der Universität Straßburg und zudem Direktor des dortigen hygienischen Institutes; zeitgleich wurde er Oberstabsarzt sowie Beratender Hygieniker des Luftflottenarztes Reich.[3]

Nach Tierversuchen nahm Haagen ab Mai 1943 Fleckfieberversuche an 28 polnischen Häftlingen im Sicherungslager Schirmeck-Vorbruck vor. Durch Haagens erste Versuchsreihe mit dem von ihm entwickelten Fleckfieberimpfstoff starben mindestens zwei polnische Häftlinge. Von den 100 Sinti und Roma, die Ende 1943 aus dem KZ Auschwitz nach Natzweiler-Struthof zu weiteren Fleckfieberversuchen überstellt wurden, verstarben aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes bereits 18 auf der Fahrt nach Natzweiler. Haagen ließ die Überlebenden zurück nach Auschwitz überstellen, da sie ihm für Menschenversuche nach ärztlichen Voruntersuchungen als ungeeignet erschienen. Spätestens Anfang Februar 1944 begann eine erneute Fleckfieberversuchsreihe in Natzweiler mit 89 zum Teil aus der Wehrmacht entlassenen Sinti und Roma,[5] die bis zu 50 Opfer forderte. Eine weitere Versuchsreihe mit 200 Häftlingen wurde wahrscheinlich nicht mehr realisiert.[6] Im Hinblick auf Gelbsucht berichtete Haagen am 21. Januar 1944 dem Präsidenten des Staatsversuchsrats Göring: es sei bei einer Reihe von Kranken das Vorkommen von Viren geprüft worden, durch Punktion von Leber und Galle. Durch das Impfen von Mäusen seien nun drei Virenstämme gezüchtet worden.[7] Bis Herbst 1944 setzte Haagen in Natzweiler seine Fleckfieberversuche, aber auch Forschungen zur epidemischen Influenza und Gelbsucht an Häftlingen fort. Diese Versuchsreihen, von der DFG gefördert, wurden im Auftrag der Luftwaffe durchgeführt.[1] Kriegsbedingt ließ Haagen 1944 das Hygieneinstitut von Straßburg nach Saalfeld/Saale verlegen.[8]

Nach Kriegsende

Im April 1945 kam Haagen in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wo er bis zum Juni 1945 verblieb. Anschließend ließ er sich von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland anwerben und begründete an dem vormaligen Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin-Buch ein medizinisches Forschungsinstitut. Am 16. November 1946 wurde er während eines Besuches in Berlin-Zehlendorf durch britische Militärpolizei verhaftet. Während seiner mehrwöchigen Haft in Minden wurde er als Zeuge für den Nürnberger Ärzteprozess abgestellt. Im Januar 1947 wurde er nach Frankreich ausgeliefert.[8]

Gemeinsam mit Otto Bickenbach wurde Haagen am 24. Dezember 1952 vor dem Militärgericht in Metz angeklagt. Die Verurteilung beider zu lebenslanger Zwangsarbeit wegen „Verbrechens der Anwendung gesundheitsschädlicher Substanzen und Giftmord“ wurde im Januar 1954 durch ein Militärgericht in Paris verworfen. Am 15. Mai 1954 wurden Haagen und Bickenbach in Lyon zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt, jedoch bereits 1955 amnestiert. Danach erfolgte seine Heirat mit Brigitte Crodel, dann Haagen-Crodel, die während seiner Fleckfieberversuche Medizinisch-Technische Assistentin war. Mit ihr arbeitete er an dem wieder von der DFG geförderten und 1957 publizierten Forschungsprojekt „Über das Vorkommen sogenannter cytopathogener Effekte in normalen Zellkulturen“. Von 1956 bis 1965 war er an der „Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere“ in Tübingen tätig. Dann zog er wieder nach Berlin und schrieb ab 1962 das begonnene jedoch unvollendete Werk „Viruskrankheiten des Menschen“.[8] Haagen starb im August 1972 in Berlin.[3]

Literatur

  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 3-596-16048-0.
  • Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. 3. Auflage. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 1997, ISBN 3-596-14906-1.
  • Wolfram Fischer: Exodus von Wissenschaften aus Berlin: Fragestellungen − Ergebnisse − Desiderate, Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Walter de Gruyter 1994, ISBN 9783110139457.
  • Alexander Mitscherlich, Fred Mielke: Medizin ohne Menschlichkeit: Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, 1. Aufl., Heidelberg: Fischer 1960. ISBN 3-596-22003-3, Taschenbuch wird 2008 in der 16. Auflage vertrieben.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer., Frankfurt am Main 1997, S. 366ff.
  2. Struthof − Die Stätte des ehemaligen Konzentrationslagers Natzweiler: Die Medizin der Nazis und ihre Experimente
  3. 3,0 3,1 3,2 Vgl. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 2007, S. 213.
  4. Wolfram Fischer: Exodus von Wissenschaften aus Berlin: Fragestellungen - Ergebnisse - Desiderate, Akademie der Wissenschaften zu Berlin, S. 453.
  5. Dokumentations- und Kulturzentrum deutscher Sinti und Roma:Sinti und Roma im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof (pdf)
  6. Gedenkstättenarbeit: Auf dem Weg zu einer Geschichte des Konzentrationslagers Natzweiler
  7. Nürnberger Dokumente, Dok. NO-138. In: Stanislav Zámečník: Das war Dachau. Luxemburg, 2002, S.284.
  8. 8,0 8,1 8,2 Wolfram Fischer: Exodus von Wissenschaften aus Berlin: Fragestellungen - Ergebnisse - Desiderate, Akademie der Wissenschaften zu Berlin, S. 452.