Extinktion (Psychologie)


Extinktion nennt man in den behavioristischen Lerntheorien einen Lernprozess, nach dem die bedingte bzw. instrumentelle Reaktion nicht mehr gezeigt wird. Dabei handelt es sich weder um Vergessen, noch um Verlernen, sondern um ein zusätzliches Lernen, das die Wirkung des bedingten Reizes vorübergehend und kontextabhängig außer Kraft setzt.

Wichtige Merkmale des Extinktionslernen sind Spontanerholung, Erneuerung und Wiederinkraftsetzung. Spontanerholung bedeutet, dass Extinktion nur vorübergehend wirkt, dass also nach einer gewissen Zeit nach Abschluss des Extinktionstrainings das bedingte Verhalten wieder auftritt. Mit Erneuerung bezeichnet man die Beobachtung, dass Extinktionslernen kontextabhängig ist, also nur in der Lernumgebung wirkt. In einer neuen Umgebung hat der bedingte Reiz weiterhin seine Wirkung. Wiederinkraftsetzung bezeichnet das Phänomen, dass wiederholte Darbietung des unbedingten Reizes dem scheinbar verlernten bedingten Reiz seine Wirkung zurückgibt.

Die Extinktion spielt sowohl im klassischen als auch im operanten Konditionieren eine Rolle. Beim Extinktionstraining in der Klassischen Konditionierung wird der bedingte Reiz (CS) so oft ohne folgenden unbedingten Reiz (US) dargeboten, bis der CS keine bedingte Reaktion mehr auslöst. Ähnlich wird bei instrumentell erlerntem Verhalten der Stimulus so oft ohne folgende Verstärkung dargeboten, bis das Verhalten nicht mehr auftritt.

Klassische Konditionierung

Ein Hund, der gelernt hat, dass er nach dem Ertönen einer Glocke immer gefüttert wird, sondert bereits nach dem Glockenton Speichel ab. Wird der Glockenton jedoch nicht mehr von der Fütterung gefolgt, lässt auch das Speicheln nach. Aus Pawlows Theorie folgt streng genommen, dass ein einmal gelernter Reflex niemals komplett gelöscht werden kann. Er wird durch das Ausbleiben des unkonditionierten Reizes lediglich gehemmt. Diese Hemmung ist zunächst nicht dauerhaft, dadurch kommt es zum Phänomen der spontanen Erholung des Reflexes. Der Begriff Löschung wurde von Pawlow selbst nie verwendet; er schrieb stets von Hemmung und Abschwächung. In der englischen Übersetzung wurde daraus extinction. Da Pawlows Werke dann aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt wurden (statt direkt aus dem Russischen), etablierte sich der Übersetzungsfehler auch im Deutschen als Fachausdruck (Extinktion oder Löschung).

Eine weitere theoretische Erklärung zur Löschung lieferte Anfang der 1970er Jahre das Rescorla-Wagner-Modell. Tatsächlich wird dort der Prozess der Extinktion jedoch übersimplifiziert, da Effekte der Spontanerholung, Erneuerung und Wiederinkraftsetzung von Verhalten nicht auf die Art und Weise erklärt werden konnten, wie es durch das Modell vorhergesagt wurde.

Operante Konditionierung

Im Rahmen des operanten Konditionierens bedeutet Extinktion, dass auf das instrumentelle Verhalten nicht mehr wie bisher die Konsequenz (Belohnung oder Bestrafung) folgt. Wird z.B. ein Verstärker vorenthalten, versucht der Organismus zunächst, durch Variabilität des Verhaltens den Verstärker doch noch zu bekommen. Dann sinkt die Rate des Verhaltens auf das Ausgangsniveau.

Ein Beispiel:
Das Umdrehen des Zündschlüssels (= Verhalten) führt normalerweise dazu, dass der Motor des Autos anspringt (=Verstärker). Eines Morgens dreht der Autofahrer den Zündschlüssel um, und es passiert nichts (=Extinktion). Der Autofahrer wird nun noch mehrfach den Zündschlüssel umdrehen (= Extinktionsausbruch), typischerweise in "Wellen" (nach einer kurzen Pause fängt er wieder an, den Zündschlüssel umzudrehen). Vielleicht wird er das Auto anflehen ("Spring an!"), auf das Armaturenbrett schlagen o.ä. (Variabilität des Verhaltens). Erst nach einer Weile hört er gänzlich auf, den Zündschlüssel umzudrehen (Absinken der Verhaltensmenge) und macht bsp. die Motorhaube auf oder ruft die Werkstatt an usw. (= der Autofahrer zeigt die typische Varianz im Verhalten, die sich infolge von Extinktion einstellt).

In praktischer Hinsicht ist die Extinktion als Methode zur Verhaltensänderung schwer realisierbar (Gegenbeispiel hier:[1]). Ein Lehrer, der versucht, das störende Verhalten eines Schülers zu extingieren, indem er versucht, es nicht mehr zu beachten (die Aufmerksamkeit des Lehrers wird hier als positiver Verstärker für das problematische Verhaltens des Schülers angesehen), kann dies nur schwer durchhalten. Bei extremem Verhalten muss er dennoch eingreifen (und verstärkt so das Verhalten unbeabsichtigt), auch ist seine Aufmerksamkeit nicht die alleinige Quelle für die Verstärkung des störenden Verhaltens (die Mitschüler beachten das Verhalten auch). In der Praxis wird daher eher die Kombination von Extinktion unerwünschten Verhaltens und positiver Verstärkung erwünschten Verhaltens (die differentielle Verstärkung) empfohlen.

Ein weiteres Problem, das bei der Extinktion auftreten kann, ist neben emotionalen und aggressiven Reaktionen der Extinktionsausbruch (engl. extinction burst)[2]. Ein Verhalten, das auf Extinktion gesetzt wird, tritt zunächst häufiger als zuvor auf. Wenn Eltern versuchen, auf das Schreien ihres Kindes nicht mehr einzugehen, werden sie oft erleben, dass das Kind zunächst öfter, ausdauernder und lauter schreit als zuvor. Erst dann lässt das Schreien nach (wenn die Aufmerksamkeit der Eltern der Verstärker für das Schreien des Kindes war).

Klinische Psychologie

In der Klinik bezeichnet man als Extinktion ein pathologisches Phänomen, bei dem sich der Patient nach gleichzeitiger Darbietung zweier Reize spontan nur einem zuwendet, den anderen aber völlig ausblendet, ignoriert oder nicht wahrnimmt. Häufig betrifft das kontralateral dargebotene Reize, wobei ipsilaterale Reize bevorzugt werden. Diese Extinktion entsteht vor dem Hintergrund einer selektiven Hirnleistungsstörung und hat nichts mit Lernen und Konditionierung zu tun. Sie tritt unter anderem bei einem Neglect auf, ist aber eigenständig und überdauert oft die Rehabilitationsphase, auch wenn die Symptomatik des Neglects bereits zurückgegangen ist.

Quellen

  1. Williams, C. D. (1959). The elimination of tantrum behavior by extinction procedures. Journal of Abnormal and Social Psychology, 59, 269.
  2. Lerman, D. C., Iwata, B. A. & Wallace, M. D. (1999). Side effects of extinction. Journal of Applied Behavior Analysis, 32, 1 - 8. (Artikel online).

Die News der letzten Tage