Gelatine
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Gelatine ist ein Stoffgemisch aus geschmacksneutralem tierischem Eiweiß oder denaturiertem bzw. hydrolysiertem Kollagen, das aus dem Bindegewebe verschiedener Tierarten, vor allem Schweinen und Rindern, produziert wird.
Gelatine fehlt die essentielle Aminosäure Tryptophan, es gilt nicht als vollwertiges Eiweiß. In ungereinigter Form ist Gelatine auch als Glutinleim bekannt.
Eigenschaften
Gelatine quillt in Wasser und löst sich beim Erwärmen ab etwa 50 °C auf. Sie ist ein Hydrokolloid, bei dem das (beim Abkühlen) gebildete Gel beim Erwärmen wieder flüssig wird. Dieser temperaturabhängige Gel/Sol-Übergang ist reversibel und ist auch verantwortlich dafür, dass Gummibärchen im Mund zergehen (und nicht kleben wie z. B. Stärkeprodukte). Gelatine ist temperaturempfindlich. Wird sie längere Zeit über 80 °C erhitzt, wird sie hydrolysiert und verliert damit mehr und mehr ihre Gelierkraft (gemessen in Bloom).
Wie alle anderen Proteine besitzt auch Gelatine amphotere Eigenschaften. Deshalb gibt es einen pH-Wert, an dem die (positive) elektrische Ladung der Aminogruppen so groß ist wie die (negative) Ladung der Carboxygruppen. Dieser isoelektrische Punkt der Gelatine ist von der Herstellungsart abhängig (saurer Aufschluss: pH-Wert 6,0-9,5, alkalischer Aufschluss: pH-Wert 4,7-5,6). Am isoelektrischen Punkt ist Gelatine am wenigsten löslich. Diese Eigenschaft kann beim Bestimmen des Punktes ausgenutzt werden.
Da in Stoffgemischen im Lebensmittelbereich Hydroxyprolin nur in Gelatine in nennenswerten Mengen enthalten ist (ca. 13 %), lässt sich durch quantitative Bestimmung dieser Aminosäure die Menge der zugesetzten Gelatine gut abschätzen. Von der Gelatine abgegrenzt wird Kollagen-Hydrolysat, das durch Enzyme hydrolysiert und als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben wird.
Herstellung
Zur Gewinnung wird das zunächst unlösliche Bindegewebe von (vor allem) Haut und Knochen von Schweinen und Rindern, aber auch von Geflügel und Fischen einem Aufschlussverfahren (Hydrolyse) unterworfen, das die Peptid-Bindungen aufspaltet, sodass sich das so wasserlöslich gemachte Kollagen extrahieren lässt. Der Aufschluss kann durch Kochen (Herstellung einer Bouillon in der Küche) oder durch Behandlung mit Säuren und Basen und anschließende Extraktion (industrielle Herstellung) erfolgen. Gelatine kann 1–2 % anorganische Stoffe und bis zu 15 % Wasser enthalten.
Rohstoffquellen
In Europa verwendete Speisegelatine wird zu etwa 70 % aus Schweineschwarten hergestellt (ca. 5 kg Schweineschwarten ergeben 1 kg Gelatine). 18 % der Gelatine wird aus Tierknochen gewonnen, weitere 10 % aus Häuten. Für die Herstellung des restlichen Anteils (2 %) der Gelatine werden andere Rohstoffe verwendet.[1]
Wegen der BSE-Krankheit wurden im Jahr 1999 von der EU-Kommission Richtlinien für die Herstellung von Gelatine festgelegt.
Fischgelatine wird aus dem in Fischhäuten enthaltenen Kollagen hergestellt, u. a. um damit jüdischen und islamischen Speisegesetzen zu entsprechen (siehe Koscher und Halal). Allergische Reaktionen auf Fisch sind relativ verbreitet. Andererseits liegen keine Berichte über klinische Reaktionen auf Gelatine in handelsüblichen Lebensmitteln vor. Es liegen keine ausreichenden Daten aus Provokationsstudien mit Personen vor, die eine Fischallergie haben und spezifisches IgE gegen Fischgelatine aufweisen beziehungsweise positiv auf einen Pricktest mit Fischkollagen oder Fischgelatine reagieren. Die EFSA bewertete 2004 die vom schweizerischen Duft- und Aromahersteller Givaudan vorgelegten Daten als unzureichend. Givaudan hatte einen Antrag auf Zulassung von Fischgelatine zur Verkapselung von Aromastoffen gestellt. Andererseits hieß es gleichzeitig, dass es nicht sehr wahrscheinlich sei, dass Fischgelatine unter den spezifizierten Verwendungsbedingungen eine schwere allergische Reaktion bei einer Mehrzahl der Personen mit Fischallergie auslösen würde.
Industrieller Herstellungsprozess
Beschrieben wird das von den meisten Herstellern praktizierte Verfahren zur Herstellung von Gelatine:[2] Die Ausgangsmaterialien für die Gelatineherstellung sind Bindegewebe (Häute und Knochen, Rinderspalt) von Rindern, Schweinen, Fisch oder Geflügel. Zur Vorbehandlung werden Fett und anorganische Bestandteile vom Ausgangsmaterial grob entfernt und das Material zerkleinert (Knochen werden geschrotet, entfettet und während der Mazeration von Calciumcarbonat, Calciumphosphat und Calciumfluorid befreit; diese entmineralisierte Substanz nennt man Ossein). Abhängig vom Ausgangsmaterial wird eine von zwei Behandlungsmethoden gewählt:
- (A) Säurebehandlung: Das Material mit weniger quervernetztem Kollagen (z. B. aus Schweineschwarte) wird einen Tag lang mit Schwefel- oder Salzsäure behandelt und dann neutralisiert. Nach intensiver Auswaschung der Salze wird das Kollagen extrahiert.
- (B) Basische Behandlung: Das Material mit stark quervernetztem Kollagen (z. B. aus Rind) wird für einen Zeitraum von einigen Wochen bis mehrere Monate unter Bildung von Ammoniak mit Kalkmilch behandelt.
Das vorbehandelte Material ist nun in warmem Wasser löslich (Bouillon) und wird über bis zu 5 Stufen mit steigender Temperatur extrahiert. Die Temperatur ist für die Gelierungsstärke (Bloomwert) bestimmend: Je niedriger sie ist, desto höher ist die Gelierungsstärke, die zuletzt mit höchster Temperatur gewonnenen Extraktionsfraktionen ergeben die minderwertigsten Gelierungsstärken. Zur Reinigung werden die Extrakte von verbliebenem Fett und Fasern separiert und filtriert. Zuletzt werden Calcium, Natrium, verbliebene Säurereste und andere Salze entfernt.
In Vakuumtrocknern wird die dünnflüssige Gelatinelösung zu einer honigähnlichen Konsistenz eingedickt. Der hochkonzentrierte Gelatinebrei wird sterilisiert, abgekühlt und getrocknet, wobei sie gelieren und die gelierte Masse in Nudelform auf ein Trockenband extrudiert werden kann. Das Band durchläuft dann einen Trockentunnel, an dessen Ende die Gelatine bis auf einen Wassergehalt von 10–15 % getrocknet ist und noch zu Partikel gewünschter Größe gemahlen wird. Zur Herstellung von Blattgelatine wird entsprechend nicht in Nudelform extrudiert, sondern ein Gelatinefilm erzeugt, für den als Trockenband ein weitmaschiges Netz dient.
Verwendung
Lebensmittel
Gelatine wird teilweise in Halbfettprodukten und Lightprodukten wie Halbfettmargarine, Halbfettbutter und fettreduzierten Käsesorten verarbeitet, außerdem als Geliermittel zur Herstellung von Süßwaren wie Gummibärchen, Weingummis, Weichkaramellen, Marshmallows, Schaumwaffeln, Lakritz oder Schokoküssen. Des Weiteren kann sie in Backwaren (Tortenguss), Milchprodukten (etwa Quark, Kefir und Joghurt) und Desserts (z. B. Götterspeise (vulgo Wackelpudding), Mädchenröte), in Fleisch-, Fisch- und Wurstwaren wie zum Beispiel Sülze und Aspik, Pfefferminzbonbons und Weihnachtskonfekt, aber auch als Schönungsmittel in Getränken wie Wein, Apfelwein, Essig und allen nicht naturtrüben Fruchtsäften, sowie in manchen Ländern sogar im Bier zum Einsatz kommen. Zur Entfernung von Trübstoffen sowie zur Verringerung des Gerbstoffanteils bei der Weinherstellung kommt Fischgelatine als Ersatz von Lysozym und Kasein besonders seit Auftreten von BSE sowie wegen der jüdischen Speisegesetze zum Einsatz.
Auch als Mittel zur Einkapselung von Vitaminzusätzen (z. B. in Lebensmitteln oder Brausetabletten) kann Gelatine zum Einsatz kommen. Die Vitamine werden somit wasserlöslich eingeschlossen und lösen sich bei Kontakt mit Flüssigkeit wieder.
Pharmazeutische Technologie
Gelatine wird zur Herstellung von Hart- und Weichkapseln verwendet. In solche Gelatinekapseln wird der Arzneistoff, gegebenenfalls mit erforderlichen Hilfsstoffen verarbeitet, eingefüllt. Gelatine kann auch als Verdickungsmittel zur Viskositätserhöhung von flüssigen Arzneizubereitungen eingesetzt werden. Aus der Vielzahl der Gelatinetypen werden praktisch nur Gelatine A (durch sauren Aufschluss gewonnen) bzw. Gelatine B (durch alkalischen Aufschluss gewonnen) eingesetzt. In der Medizintechnik dient Gelatine unter anderem zur Beschichtung von Implantaten wie beispielsweise Gefäßprothesen.
Rindergelatine in Form von Polygelin als Stabilisator ist bzw. war in mehreren Impfstoffen enthalten, so in jenen gegen FSME, Japanenzephalitis, Tollwut, Varizellen und im MMR-Impfstoff. Obwohl allergische Reaktionen auf Impfstoffe mit einer Häufigkeit von etwa 1 Reaktion zu 500.000 Impfdosen insgesamt selten sind, spielt die Allergie gegen Gelatine (in Kombination mit Thiomersal) als allergische Reaktion vom Soforttyp (bis hin zur Anaphylaxie) eine wichtige Rolle und gilt für etwa die Hälfte aller diesbezüglichen Komplikationen verantwortlich, sodass diese nun zunehmend aus Impfstoffen entfernt wird.
Medizin
In der Medizin wird Gelatine als Arzneistoff zur Behandlung eines Volumenmangelschocks verwendet.
Technische Anwendungen
Gelatine ist auf den üblichen fotografischen Filmen und Fotopapieren enthalten, in einigen fotografischen Edeldruckverfahren stellt sie den Träger der Pigment- bzw. Chemikalienschicht dar. Auch viele Foto-Druckpapiere für Inkjet-Druck haben eine Gelatine-Beschichtung und werden daher auch oft von Herstellern klassischer Fotopapiere hergestellt.
In der Maskenbildnerei in Film und Theater oder auch bei Rettungsübungen dient gefärbte Gelatine zur realistischen Wunddarstellung. Die Organe, wie man sie zum Beispiel in Krankenhausserien zu sehen bekommt, sind auch oft aus Gelatine gefertigt. Zudem wird sie bei der Sportart Paintball als Hülle für biologisch abbaubare Munition verwendet. Zur Bestimmung von Schusskanälen bzw. der Eindringtiefe eines Projektils wird Ballistische Gelatine verwendet.
Geigenbau
Gelatine wird im Geigenbau nach Erhitzung im Wasserbad als Grundierung direkt auf das Holz gegeben, um beim späteren Beizen eine gleichmäßige Tönung des Holzes zu gewährleisten.
Nebenprodukte
Bei der Gelatineherstellung entstehen außer der Gelatine Nebenprodukte, die weiter genutzt werden: Fleischknochenmehl (zum Beispiel als Tierfutter oder Dünger), Knochenfett (zum Beispiel zur Seifenherstellung) und Calciumcarbonat (zum Beispiel für die Zahnpastaherstellung). Auch Metalle, Klebstoffe und besonders festes Papier können mit Hilfe von Gelatine hergestellt sein.
Alternativen
Tierkrankheiten wie BSE haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass einige Verbraucher Gelatine (insbesondere als Nahrungsmittel) meiden. Zudem ist Gelatine nicht vegetarisch.
Die Ergebnisse der Ersatzverfahren schwanken in ihrer Vergleichbarkeit mit Gelatineprodukten sehr stark.
Pflanzliche Dickungs- und Geliermittel sind meistens Polysaccharide, z. B. die aus verschiedenen Algen isolierten Alginate, Carrageenane und Agar-Agar, weiterhin auch Pektin aus Früchten, Gummi arabicum, Stärke verschiedenen Ursprungs, Guarkernmehl, Xanthan und Johannisbrotkernmehl.
Alternative Verfahren zur Klärung von Flüssigkeiten arbeiten mit Ton, Tannin, Kieselgur oder Asbest. Statt Gelatine werden hier jedoch auch Casein (aus Milch), Chitin (aus der Fischerei-Abfallproduktion und der Biotechnik) und Hausenblase (Schwimmblase einer Störart) verwendet. Wenn Gelatine als Hilfsmittel bei der Herstellung benutzt wird, muss sie nicht als Inhaltsstoff deklariert werden. Ihre Verwendung lässt sich in diesen Fällen, wenn überhaupt, nur durch direkte Produktanfragen an den Hersteller klären. Bei Produkten der Pharmaindustrie und anderer Industrien kann zum Teil auf gelatinefreie Produkte zurückgegriffen werden.
Literatur
- W. Babel: Gelatine – ein vielseitiges Biopolymer, in: Chemie in unserer Zeit 1996, 30, 86–95; doi:10.1002/ciuz.19960300205.
- Jörg Florian Liesegang: Die Gelatine in der Medizin. Dissertation, Universität Heidelberg 2007 (Volltext) – Geschichtliches zu der Verwendung in der Medizin des 17.–20. Jahrhunderts
- Reinhard Schrieber, Herbert Gareis: Gelatine Handbook. Theory and Industrial Practice. Wiley-VCH, Weinheim 2007, ISBN 978-3-527-31548-2
Einzelnachweise
- ↑ Gelatinemarktdaten (Gelatine Manufacturer of Europe).
- ↑ Gelatine Manufacturers of Europe: The Manufacturing Process http://www.gelatine.org/en/about-gelatine/manufacturing.html.