Gemeine Wegwarte



Gemeine Wegwarte

Gemeine Wegwarte (Cichorium intybus)

Systematik
Ordnung: Asternartige (Asterales)
Familie: Korbblütler (Asteraceae)
Unterfamilie: Cichorioideae
Tribus: Cichorieae
Gattung: Wegwarten (Cichorium)
Art: Gemeine Wegwarte
Wissenschaftlicher Name
Cichorium intybus
L.

Die Gemeine oder Gewöhnliche Wegwarte (Cichorium intybus), auch Zichorie genannt, ist eine Pflanzenart aus der Familie der Korbblütler (Asteraceae). Sie wächst in Mitteleuropa verbreitet an Wegrändern. Kulturformen sind Chicorée, Radicchio und die Zichorienwurzel. Die Gemeine Wegwarte war in Deutschland die „Blume des Jahres“ 2009.

Merkmale

Blütenstand der Gemeinen Wegwarte
Blütenstand im Profil

Die Gemeine Wegwarte ist eine ausdauernde, krautige Pflanze (Hemikryptophyt), die Wuchshöhen von 30 bis 140 cm erreicht. Sie besitzt eine tiefreichende Pfahlwurzel. Die Stängel stehen sparrig-ästig. Die Grundblätter und die unteren Stängelblätter sind schrotsägeförmig fiederschnittig, ihre Unterseite ist borstig behaart. Die Grundblätter sind 8 bis 25 cm lang und 1 bis 7 cm breit. Die oberen Stängelblätter haben eine länglich-lanzettliche Form, sind fiederspaltig bis ungeteilt und sind ohne Blattstiel sitzend mit geöhrtem Blattgrund.

Die Blütenköpfchen bestehen nur aus Zungenblüten. Sie haben einen Durchmesser von 3 bis 5 cm, die seitlichen stehen meist zu zweit bis fünft. Sie sind kurz gestielt oder sitzend. Die Köpfchenhülle ist zweireihig, wobei die äußeren Hüllblätter kürzer sind und deutlich abstehen. Die Hüllblätter sind meistens drüsenhaarig. Die Zungenblüten sind himmelblau, selten auch weiß gefärbt; Blütezeit ist von Juni bis Oktober. Die Bestäubung erfolgt durch Insekten, vor allem durch Bienen und Schwebfliegen. Die auffälligen Blütenstände sind nur vormittags und jeweils nur für einen Tag geöffnet. Sind sie geschlossen, hebt sich die Pflanze kaum noch gegen ihre Umgebung ab.

Die Achänen sind 2 bis 3 mm lang, eilänglich, eher kantig und haben keinen deutlich ausgeprägten Pappus; dieser besteht nur aus kurzen, eher unscheinbaren Schüppchen.

Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 18.[1]

Inhaltsstoffe

Als Reservekohlenhydrat speichert die Gemeine Wegwarte in den Wurzeln Inulin. Die Bitterstoffe sind in erster Linie die beiden Sesquiterpenlactone Lactucin und Lactucopikrin. Weitere Inhaltsstoffe sind Aesculetin, Aesculin, Cichoriin, Umbelliferon, Scopoletin und 6,7-Dihydroxycumarin sowie weitere Sesquiterpenlactone und deren Glykoside.[2]

Verbreitung und Standorte

Die Gemeine Wegwarte ist in Europa, Westasien und Nordwestafrika heimisch, daneben wurde sie in Afrika, Nord- und Südamerika eingeschleppt.[3] In Mitteleuropa wächst sie in Weiden, auf Ruderalstellen und Äckern. Entlang von Wegen und Straßen siedelt sie charakteristisch in Wegrand- und Trittpflanzengesellschaften.[4] In China und den USA wird die Pflanze – auch transgene Formen – kommerziell als Futterpflanze angebaut. Sie kommt vorwiegend auf frischen bis eher trockenen, nährstoffreichen Böden vor und erträgt auch einen gewissen Salzgehalt. Sie gilt als eine Pionierpflanze und ist ein Tiefwurzler. Die Vertikalverbreitung reicht bis in die montane Höhenstufe auf 1500 m.

Systematik

Seltene weiße Form der Gemeinen Wegwarte

Die Gemeine Wegwarte gehört zur Gattung der Wegwarten (Cichorium), zu der unter anderem auch die Endivie (Cichorium endivia) gehört.

Innerhalb der Art unterscheidet man zwei Unterarten:

  • Cichorium intybus subsp. glabratus (C. Presl) Wagenitz & Bedarff
  • Cichorium intybus subsp. intybus: zu ihr gehören alle kultivierten Formen:
    • Foliosum-Gruppe: zu dieser Sortengruppe gehört der Chicorée
    • Radicchio-Gruppe
    • Salat-Gruppe, enthält ebenfalls Radicchio-Sorten.
    • Sativum-Gruppe, die Wurzelzichorie: Die gerösteten Wurzeln werden als Kaffeeersatz verwendet, die Blätter als Silage. In jüngerer Zeit wird die Wurzelzichorie auch als Fruktan-Lieferant angebaut.
    • Sugar loaf-Gruppe: Anbau vor allem in Italien.

Nutzung

Gemeine Wegwarte

Diese Pflanzenart wird seit spätestens dem Mittelalter zur Arzneimittelherstellung genutzt. Sie ist möglicherweise unter dem Namen solsequium eine der Pflanzen aus der Landgüterverordnung Karls des Großen (der Name ist nicht eindeutig und wurde auch für Ringelblume, Löwenzahn und Johanniskraut verwandt).

Paracelsus empfiehlt sie bereits als schweißtreibend, Kneipp bei Magen- Darm- und Lebererkrankungen. In der Pflanzenheilkunde wird sie zur Stimulierung und zur Heilung von Milz (sie ist eines der wenigen Phytotherapeutika für die Milz), Leber und Galle eingesetzt, wird aber auch zur allgemeinen Reinigung bei Hautkrankheiten und Ekzemen angewendet.

Aus Kampanien und Kalabrien stammt die traditionelle Verwendung der Wildform als Salat oder Gemüse. Sie wird hier cicoria selvatica („Wildzichorie“) oder cicoria verde („Grüne Zichorie“) genannt.

Volkstümliche Anwendungen umfassen Appetitanregung (ganze Pflanze), Stimulierung der Sekretion von Verdauungssäften und abführende Wirkungen. Bei der Appetit- und Verdauungsanregung dürften die bitteren Guajanolide wirksam sein. Bei anderen Anwendungsgebieten ist die Wirksamkeit wenig belegt [5]. Eine neuere Studie will jedoch die aus traditioneller Anwendung bekannten sedativen, psychorelaxierenden und streßeffekt-reduzierenden Wirkungen von Cichorium intybus ssp. silvestre bestätigt haben [6]. Zusammenfassend schreib Gerhard Madaus 1938: "Wegen seiner umfassenden Wirksamkeit und Zuverlässigkeit wird Cichorium ... zu den wichtigsten Pflanzenheilmitteln gezählt".[7]

Wurzelzichorie

Die Wurzelzichorie wurde geröstet zunächst dem Bohnenkaffee zugesetzt, um diesem mehr Farbe und Bitterkeit zu verleihen. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts wurde sie auch allein als Kaffeegetränk verwendet (Ersatzkaffee). Als Erfinder des Zichorienkaffees gelten der kurhannoversche Offizier Christian von Heine aus Holzminden und der Braunschweiger Gastwirt Christian Gottlieb Förster († um 1801), die im Jahr 1769/70 Konzessionen für den Betrieb von Zichorienfabriken in Braunschweig und Berlin erhielten.[8][9] Gefördert wurde der Anbau etwa durch Friedrich den Großen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie weit verbreitet angebaut, spielte aber gegen Ende des 20. Jahrhunderts keine wirtschaftliche Rolle mehr.[10] Gegenwärtig erlebt ihr Anbau eine Renaissance, da aus ihr der von der Lebensmittelindustrie vermehrt für sogenannten Functional Food eingesetzte, präbiotische Ballaststoff Inulin gewonnen wird.

Chicorée/Salatzichorie/Radicchio

Handelsüblicher Chicorée
Chicorée mit Wurzeln

Wie der Name bereits sagt, findet die Salatzichorie als Lebensmittel in der Küche Verwendung, ist als solches allerdings eine „Erfindung“ erst des 19. Jahrhunderts. Nach einer Überlieferung zog der Chefgartenbauer am Botanischen Garten in Brüssel, Bresier, 1846 die ersten Chicoréesprossen. Die Wurzeln ließ er zwar noch im Freiland wachsen, zum Sprossen verhüllte er sie jedoch lichtdicht, so dass sie möglichst wenig Bitterstoffe entwickelten. Nach einer anderen Version soll diese Art des Treibens auf eine zufällige Beobachtung zurückgehen: Als belgische Bauern 1870 ihre Zichorienwurzeln infolge ungewöhnlich hoher Ernte im Gewächshaus einschlugen, entdeckten sie während des Winters die kräftigen Knospen.

Für den Salat werden nur die Sprösslinge genutzt. Die rübenartigen Wurzeln werden daher im November eingegraben und abgedeckt, während des Winters treiben dann aus den Achseln der vorher eingekürzten Blätter und aus den Terminalknospen 15 bis 20 cm lange und bis 5 cm dicke spindelförmige feste Knospen aus. Durch den Lichtschutz sind sie bleich und zart. Sie werden als Salat oder Gemüse zubereitet.

Mythen und Sagen

Vor allem aus dem ausgehenden Mittelalter sind viele Mythen bekannt, die der Wegwarte unglaubliche Zauberkräfte, vor allem im Liebeszauber, zuschreiben. Sie soll den Träger der (nach einem bestimmten Ritus ausgegrabenen) Pflanze im Kampf unbesiegbar und allgemein unverwundbar machen. Andere Mythen lauten dahingehend, dass eine Wegwarte unter dem Kopfkissen der Jungfrau im Traum den zukünftigen Ehemann erscheinen lässt. Wird die Pflanze am Peterstag mit einem Hirschgeweih ausgegraben, dann kann man einem anderen Aberglauben zufolge jede Person betören, die man damit berührt.[11]

Eine Quelle[12] führt eine alte Sage an, nach der die Blüten der Wegwarte die blauen Augen eines verwandelten Burgfräuleins seien, das am Wege vergeblich auf die Rückkehr ihres Geliebten vom Kreuzzug in das Heilige Land wartet. Man mag hierin Motive des Romans Heinrich von Ofterdingen des romantischen Dichters Novalis wiedererkennen. Fraglich ist jedoch, ob in der Wegwarte etwa eine reale Entsprechung des Symbols der Romantik, der „blauen Blume“, gesehen werden kann, das diesem Roman des Novalis entstammt.

In der Fruchtbringenden Gesellschaft wird Siegmund Wiprecht von Zerbst die Gemeine Wegwarte zugeordnet.

Der Heidedichter Hermann Löns widmet in seinem Band „Der kleine Rosengarten“[13] der Wegwarte ein Gedicht.

Wegwarte
Es steht eine Blume,
Wo der Wind weht den Staub,
Blau ist ihre Blüte,
Aber grau ist ihr Laub.
...“

Siehe auch

Belege

  • M.A. Fischer, K. Oswald, W. Adler: Exkursionsflora für Österreich, Liechtenstein und Südtirol. Dritte Auflage. Land Oberösterreich, Biologiezentrum der OÖ Landesmuseen, Linz 2008, ISBN 978-3-85474-187-9 (Merkmale, Verbreitung)
  • Siegmund Seybold (Hrsg.): Schmeil-Fitschen interaktiv. (CD-Rom), Quelle & Meyer, Wiebelsheim 2001/2002, ISBN 3-494-01327-6 (Merkmale, Verbreitung)
  • Cichorium intybus. In: Mansfeld's World Database of Agriculture and Horticultural Crops (Systematik)
  • Heinrich Marzell: Zauberpflanzen Hexentränke. Brauchtum und Aberglaube. Reihe Kosmos Bibliothek, Band 241, Stuttgart 1963.
  • Wolf-Dieter Storl & Paul Pfyl: Bekannte und vergessene Gemüse – Heilkunde, Ethnobotanik, Rezepte, 2002, ISBN 3-85502-808-7
  • Wang, Quanzhen, Cui, Jian: Perspectives and utilization technologies of chicory (Cichorium intybus L.). In: African Journal of Biotechnology. Vol 10., 14 März 2011

Einzelnachweise

  1. Cichorium intybus. In: Digital Flora of Taiwan, abgerufen 10. Oktober 2008.
  2. Harsh Pal Bais, GA Ravishankar: Cichorium intybus L – cultivation, processing, utility, value addition and biotechnology, with an emphasis on current status and future prospects. In: Journal of the science of food and agriculture. Chichester 81, 2001, S. 467-484. ISSN 0022-5142
  3. Cichorium intybus. In: Flora of North America, abgerufen 10. Oktober 2008.
  4. Bernd Gehlken: Cichorium intybus-Wegrandgesellschaften. In: Notizbuch der Kasseler Schule. Kassel 62.2003, 54-78.
  5. Hagers Handbuch der Drogen und Arzneistoffe, HagerROM 2006 (Hrsg. W. Blaschek, S. Ebel, E. Hackenthal, U. Holzgrabe, K. Keller, J. Reichling und V. Schulz), Springer, Heidelberg, 2006.
  6. NN: Die Blauwarte ist die "Pflanze Europas 2005" - Wildgemüse und Heilpflanze / Beruhigende Wirkung. Ärzte Zeitung, 8. Dezember 2004.
  7. Madaus G: Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Thieme Verlag, Leipzig, 1938
  8. Christian Gottlieb Förster: Geschichte von der Erfindung des Cichorien-Caffee. Georg Ludewig Förster, Bremen 1773
  9. Hengartner/Merki S. 109
  10. Udelgard Körber-Grohne: Nutzpflanzen in Deutschland von der Vorgeschichte bis heute. Theiss, Stuttgart 1995, S. 287-292, ISBN 3-933203-40-6 (Repr.)
  11. Heinrich Marzell: Zauberpflanzen Hexentränke. Brauchtum und Aberglaube. Kosmos Bibliothek, Bd 241. Stuttgart 1963, S. 30.
  12. Stichmann-Marny, 1994.
  13. Der kleine Rosengarten bei Internet Archive

Weblinks

Commons: Gemeine Wegwarte – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Zichorie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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