Gestik


Signal eines Schiedsrichters durch Gestik (Mitteilung einer Entscheidung)

Gestik im Sinne von kommunikativen Bewegungen insbesondere der Arme, Hände und des Kopfes, wird sowohl lautsprachersetzend wie auch lautsprachbegleitend bzw. lautsprachunterstützend eingesetzt. Diese Bewegungen zählen zur Nonverbalen Kommunikation, viele davon werden alltäglich angewandt. Sie können eine mündliche Kommunikation unterstützen oder ersetzen.

Gestik kann u. a. einen Einblick in mentale Prozesse geben, in die Art und Weise des menschlichen Denkens, da Gestik abstrakte Strukturen und bildhafte Vorstellungen zum Teil viel unmittelbarer abbildet, als dies lautsprachlich möglich ist.

Die Gestikforschung hat sich in den letzten zwanzig Jahren aus der nonverbalen Kommunikationsforschung gelöst, wo Gestik nur als affektiver Ausdruck von Gefühlen angesehen wurde. Heute bewegt sich das Feld zwischen Linguistik, Psychologie, Kognitionswissenschaft, Semiotik, Verhaltensforschung sowie der Erforschung und Beschreibung von Gebärdensprache.

Gestentypen

Man kann Gesten (IPA-Aussprache: [gɛstə] oder umgangssprachlich [gestə]) unterscheiden in

  • lexikalisierte Gesten, also solche, die wie Wörter einer Lautsprache funktionieren und als Symbole gelernt und kulturell abhängig sind (beispielsweise diverse Beleidigungsgesten, das Aneinanderreiben der Fingerspitzen für „Geld“ und Ähnliches). Eine solche allgemein bekannte Geste wird Emblem oder metaphorisch genannt.
  • Zeigegesten (Deixis), die meist genutzte deiktische Geste ist das Zeigen mit dem Finger, was auch als eine der ersten Gesten überhaupt von Kindern erlernt wird. Bei Erwachsenen wird die Zeigegeste meist als 'abstraktes' Zeigen auf nicht vorhandene bzw. imaginäre Gegenstände, Orte oder auch nur Ideen genutzt. Es können auch sämtliche andere Körperteile und Gegenstände die in der Hand gehalten werden o.ä. genutzt werden. Allerdings muss dabei ein Referenzpunkt (Origo) vorhanden sein.
  • ikonische Gesten, die die Wirklichkeit in irgendeiner Form abbilden, beispielsweise indem sie eine Handlung nachahmen, die Umrisse eines Objektes darstellen, oder Objekte im Raum anordnen. Dabei können Gesten nicht nur auf konkrete Dinge referieren, sondern auch metaphorisch oder diskursiv verwendet werden, wenn beispielsweise eine Theorie als Gebäude mit mehreren Ebenen dargestellt oder eine Antwort als „auf der Hand liegend“ präsentiert wird. Dabei decken sich verschiedene Aspekte der Geste (Hand, Trajektorie, Richtung etc.) mit Aspekten der Sprache.
  • metaphorische Gesten, welche abstrakte Bilder darstellen. Wie wenn eine Geste ausgeführt wird als ob etwas in der Hand gehalten wird, die Geste dabei jedoch das Halten einer Idee darstellt. Oder wenn man eine Aufteilung macht wie: Auf der einen Seite die Guten und auf der anderen Seite die Schlechten.
  • Beat-Gesten sind rhythmische Bewegungen die etwas betonen bzw. unterstreichen sollen. Eine kurze 'Beat'-Geste kann einen wichtigen Punkt in einer Unterhaltung markieren wobei das wiederholen einer 'Beat'-Geste eine Begrifflichkeit oder einen Leitgedanken darstellen kann. Zum Beispiel wie wenn Eltern ihren Kindern etwas zum vermeintlich 1000. Mal erklären und dabei mit dem Zeigefinger bei jedem Wort die Hand auf und ab bewegen.

Jedoch sollte der Gedanke der Typisierung der Gesten als Ganzes eher umgelenkt in ihre Dimensionierung werden. Denn eine Geste kann durchaus mehrere Typen enthalten bzw. ihnen zugeordnet werden. Zum Beispiel wenn man einen Baum beschreibt und dabei die Größe und Form im Verhältnis zu einer kleineren Form zeigt. Denn dabei hat man sowohl ikonische Elemente wie die Form des Baumes als auch deiktische wie die Relation vom zweiten kleineren Objekt und ihrer Distanz zueinander.

Synchronität und Co-Expressiveness

Die zwei Haupteigenschaften von Gestik sind, dass sie 1. Bedeutung (über)trägt und 2. mit der Sprache synchron scheint. Die Gestikplanung kommt neurologisch betrachtet vor der Textkonzeptuierung. Sie endet meist mit dem gesprochenen Wort, setzt jedoch früher an. Das Sketch-Modell von Jan-Peter de Ruiter zeigt dies deutlich. Seine Abruf-/Zugriffshypothese erklärt, dass Gesten einen erleichternden Effekt auf die Sprechproduktion haben. Geste und Wort werden oft als Einheit verstanden und wahrgenommen. Sie drücken dieselbe Idee(neinheit) aus. Geste verfolgt dabei einen kommunizierenden Zweck. Um diesen Zweck analytisch zu untersuchen, werden Gesten in drei verschiedene Kategorien unterteilt.

  • Die Unit, welche ein Intervall zwischen Pausen der Arm- bzw. Handbewegungen, also die gesamte Geste einschließlich ihres Auf- und Abbaus, umfasst. Sie besteht aus einer oder mehreren Gesten Phrasen.
  • Die Phase, welche die Geste selbst beschreibt. Sie kann aus bis zu fünf Phasen bestehen.
  • Die Phasen können wiederum in weitere Teile kategorisiert werden.

Phasen einer Geste

Die Preparation Phase, welche die Hauptgeste vorbereitet. Meist folgt ihr der Prestroke Hold der den wichtigsten Teil einer Geste, den Stroke solange hinauszögert, bis das entsprechende linguistische Segment bereit ist artikuliert zu werden und signalisiert dem Zuhörer gleichzeitig, dass ebendieses Segment erwartet wurde. Dabei befinden sich die Hände in einer Position die gehalten wird, bis das entsprechende linguistische Segment artikuliert wird. Die nun folgende Phase, der Stroke ist der bedeutendste Teil einer Geste, da dieser die eigentliche Bedeutung überträgt. Das kann auch dadurch belegt werden, dass der Stroke zu 90 % co-expressiv mit der Sprache ist, ihr zwar vorausgehen kann, was auch zu 10 % der Fall ist, ihr aber niemals folgt. Nun kann die Stroke Hold Phase folgen, welche keine Bewegung sondern eine haltende Position zusammen mit einer Bedeutung beschreibt. Ein Beispiel dafür wäre, wenn jemand das zweite Stockwerk eines Hauses beschreiben möchte und dazu die Hand hebt und sie während der Beschreibung dort hält. Als nächstes kann sich die Post-stroke Hold Phase anschließen, welche auftritt, falls die Geste vollzogen wurde, der linguistische Teil jedoch noch weiter läuft. Zum Schluss einer Phrase kann die sogenannte Retraction kommen. Dabei gehen die Hände in die Ruheposition zurück. Folgt jedoch eine weitere Phrase, kann die Retraction Phase ausfallen.

Verbindung zwischen Gestik und Sprache

So lange Sprache und Gestik die gleiche Bedeutung haben, sind sie so gut wie untrennbar. Dies zeigen verschiedene Beobachtungen die durchgeführt wurden. Das Delayed auditory Feedback (DAF), bei dem die Sprache eines Sprechers aufgezeichnet und ihm zeitversetzt (Zeitversatz >= 25ms) wiedergegeben wird, zeigt, dass der Sprachfluss währenddessen langsamer und zögerlicher wird. Dabei wird oftmals Stottern während des Versuchs aufgerufen. Trotz dessen bleiben Gesten und Sprache dabei stets synchron. Ebenso sieht man die starke Bindung zwischen Sprache und Gesten bei Versuchen mit stotternden Menschen. Hier können Gesten über das Stottern hinweghelfen. Es wurde in einigen Versuchen beobachtet, dass sobald ein Stroke beginnt, nie gleichzeitig das Stottern begonnen hat. Wobei man dies in anderen Phasen durchaus beobachten konnte. Selbst während der Stroke Phase konnte Stottern einsetzen. Nie jedoch gleichzeitig bei Beginn dieser Phase. Sobald Stottern einsetzte, konnte beobachtet werden, dass nicht nur der Sprachfluss unterbrochen wurde, sondern immer auch die Gesten. Dabei blieben die Hände stehen und kamen zur Ruhe. Sobald das Stottern aufhörte, konnte der Sprachfluss wieder aufgenommen werden und auch die Gesten fuhren synchron zur Sprache fort. Selbst bei Versuchen, in denen von Geburt an blinde Menschen - wobei vorwiegend Kinder untersucht wurden - konnte man eine starke Sprache-Gesten Bindung beobachten. Blinden Kindern wurden andere Kinder gleichen Alters und Geschlechts gegenübergesetzt und sollten sich einige Dinge erklären. Den Kindern wurde dabei erklärt, ob das Kind gegenüber ebenfalls Blind ist oder sehen kann, Dabei hat es keine Rolle gespielt ob Beide blind waren oder nicht, die Kinder zeigten stets die gleiche Menge an Gesten. Dies zeigt, dass die Bindung von Sprache und Gesten von Geburt an bei jedem Menschen stark ist. Es kam bei Versuchen oftmals vor, dass sich Menschen nach dem Versuch an Aussagen erinnern sollten und beschreiben, ob die Aussage eine Geste oder eine verbale Information war. Häufig wurden dabei Gesten als verbale Informationen deklariert, obwohl sie in Wirklichkeit nicht ausgesprochen wurden. Ebenso konnte dieser Effekt in die andere Richtung beobachtet werden. Auch diese Beobachtung zeigt eine starke Verwobenheit und Synchronität zwischen der Wahrnehmung von Gesten und Sprache.

Gesturale Perspektiven

Die in Gesten auftauchenden Perspektiven können umfassen zwei Arten.

  • Die Perspektive aus der dritten Person (Observer Viewpoint)
  • Die Perspektive aus der ersten Person (Character Viewpoint)

Bei dem Observer Viewpoint repräsentieren die Hände einzelne Entitäten wie Bäume, Häuser, Menschen etc. in einer Erzählung und der Bereich vor dem Erzähler ist der Aktionsbereich. Der Character Viewpoint ist dann gegeben, wenn die Hände des Erzählers auch die Hände einer Person in seiner Erzählung repräsentieren. Dabei befindet sich der Erzähler selbst im Aktionsbereich.

Die Perspektiven können auch gemeinsam in einer Geste auftreten. Wie, wenn eine Person einen Gegenstand in der Hand hält und z.B. dabei runterfällt. Dabei repräsentiert die Faust in der der imaginäre Gegenstand gehalten wird den Gegenstand und ist somit der Observer Viewpoint und die Fallbewegung des Erzählers mit dem Gegenstand in der Hand entspricht dem Charakter Viewpoint.

Lexical Affiliate (LA)

Der lexikalische Begleiter (Lexical Affiliate) einer Geste ist das Wort oder Worte die am nächsten zu einer Geste gelten. Er entspricht nicht dem Ko-Expressiven(CE) Sprachsegment. Eine Geste kann dem LA voraus gehen, aber gleichzeitig mit seinem CE Sprachsegment synchronisiert sein. Der LA kann erkannt werden wenn man die Geste und das Gesprochene vergleicht im Gegensatz zu CE, welche nur aus dem Kontext entnommen werden kann. Ein Beispiel, um den Unterschied zwischen Ko-Expressivität und dem LA zu verdeutlichen, wäre der folgende Satz, der beschreibt wie ein Schloss funktioniert: "Hebe die Stifte an bis zu ihrer benötigten Höhe, bei der es [möglich] ist den Schlüssel zu drehen." - In diesem Satz wird bei dem Wort "möglich" eine Schlüsseldrehbewegung ausgeführt. Dabei ist der LA "Schlüssel" oder "Schlüssel zu drehen". Die Bedeutung der Geste - der co-expressive Teil - allerdings ist, dass es überhaupt möglich ist, den Schlüssel drehen zu können.

Literatur

  • Jan N. Bremmer, Herman Roodenburg (Hgg.): A Cultural History of Gesture. From Antiquity to the Present Day. Neuaufl. Polity Press, Cambridge 1994, ISBN 0-7456-1101-X.
  • Adam Kendon: An Agenda for Gesture Studies. In: Semiotic Review of Books, Bd. 7.3 (1997) ISSN 0847-1622 online (Überblicksartikel)
  • Adam Kendon: Gesture. Visible Action as Utterance. Cambridge University Press, Cambridge 2004, ISBN 978-0-521-83525-1.
  • Cornelia Müller: Redebegleitende Gesten. Kulturgeschichte, Theorie, Sprachvergleich. Arno Spitz Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-87061-747-0 (zugl. Dissertation, FU Berlin 1996).
  • David McNeill: Hand and Mind. What gestures reveal about thought. Chicago University Press, Chicago, Ill. 1995, ISBN 0-226-5613-4-8.
  • David McNeill: Gesture and Thought. University of Chicago Press, 2005, ISBN 0-226-5146-2-5
  • Es existiert eine internationale Zeitschrift für Gestenforschung GESTURE

Siehe auch

  • Liste der Gesten
  • Mimik
  • Gebärdensprache
  • Gebärdenunterstützte Kommunikation (GuK)
  • Interkulturelle Kompetenz

Weblinks

Wiktionary: Gestik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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