Ivermectin


Strukturformel
Struktur von Ivermectin B1a und B1b
Allgemeines
Freiname Ivermectin
Andere Namen
  • 22,23-Dihydroavermectin B1
  • Ivermectin H2B1a
  • Ivermectin H2B1b
Summenformel
  • C48H74O14 (H2B1a)
  • C47H72O14 (H2B1b)
Kurzbeschreibung

weißer bis gelblicher, kristalliner Feststoff[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
  • 70288-86-7 (Gemisch)
  • 70161-11-4 (H2B1a)
  • 70209-81-3 (H2B1b)
DrugBank APRD01058
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Arzneistoffangaben
ATC-Code

P02CF01

Wirkstoffklasse

Anthelminthikum

Eigenschaften
Molare Masse
  • 875,10 g·mol−1 (H2B1a)
  • 861,07 g·mol−1 (H2B1b)
Schmelzpunkt

155 °C (Gemisch)[1]

Löslichkeit
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [2]

Gefahr

H- und P-Sätze H: 360D​‐​300
P: 201​‐​308+313​‐​280​‐​301+310​‐​302+352 [2]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Ivermectin ist ein gegen Ektoparasiten (Läuse, Milben, Zecken) und Fadenwürmer (Nematoden) wirksamer Stoff.

Chemisch zählt Ivermectin zu den makrocyclischen Lactonen (Makroliden) aus der Gruppe der Avermectine, die Stoffwechselprodukte der Streptomyces avermitilis darstellen. Ivermectin ist ein Gemisch zweier verschiedener halbsynthetischer Avermectine, die das Wirkungsspektrum von Avermectin B1 und B2 besitzen und als „H2B1a“ (90 % Anteil) und „H2B1b“ (etwa 10 % Anteil) bezeichnet werden.

Ivermectin wird vorwiegend in der Tiermedizin als Arzneistoff zur Behandlung bzw. Vorbeugung gegen durch Ektoparasiten oder Fadenwürmer verursachte Infektionskrankheiten (Parasitose, Helminthiasis) eingesetzt.

Wirkungsmechanismus

Ivermectin ist gut fettlöslich und wird bei oraler, parenteraler und Verabreichung über die Haut schnell resorbiert und im Körper verteilt. Es reichert sich in der Leber und im Fettgewebe an und wird von dort langsam freigesetzt. Die Ausscheidung erfolgt über die Gallenflüssigkeit und dann über den Kot. Geringe Mengen werden auch über den Harn und die Milch ausgeschieden.

Ivermectin bindet sich an die nur bei Wirbellosen vorkommenden Glutamat-aktivierten Chloridkanäle sowie an γ-Aminobuttersäure-aktivierte Chloridkanäle. Der dadurch ausgelöste Einstrom von Chlorid-Ionen in die Zelle führt zu einer Hyperpolarisation der Zellmembran, was die Erregungsüberleitung blockiert. Dies führt zu einer Lähmung (Paralyse) und schließlich zum Tod der Parasiten. Zudem werden die Eibildung der Würmer und die Larvenentwicklung gestört.

Bei Zecken wird die Eiproduktion und die Häutung gehemmt und damit der Reproduktionszyklus gestört, die Zecke selbst fällt aber nicht vom Wirt ab.

Wirkungsspektrum und Anwendung

Ivermectin wirkt gegen alle klinisch bedeutsamen Nematodenarten. Außerdem ist das Mittel wirksam gegen Läuse, Milben (Psoroptes spp., Sarcoptes ssp., Otodectes cynotis, Demodex ssp., Knemidocoptes ssp., Rote Vogelmilbe, Nordische Vogelmilbe, Luftsackmilben etc.), Kaninchenflöhe, Dasselfliegen (Dermatobia, Hypoderma), Schaflausfliegen (Melophagus) und Mikrofilarien.

Bandwürmer (Trematoda und Cestoda) sind gegen Ivermectin immun, aber empfindlich gegenüber dem Wirkstoff Praziquantel, welcher in manchen veterinärmedizinischen Kombinationspräparaten (Entwurmungspasten und -tabletten) enthalten ist. Auch bei einigen Rundwürmern vermutet man erste Resistenzen.

Beim Menschen wird Ivermectin als orale Einmaldosis angewendet. Eine Zulassung für Humandiagnosen existiert in Deutschland nicht, eine Behandlung sollte also nur nach strengster Indikationsstellung durch einen Arzt erfolgen. Die Einnahme sollte nüchtern mit Wasser erfolgen mit einem Abstand von zwei Stunden bis zur ersten Nahrungsaufnahme. Um Rezidive zu vermeiden müssen alle Kontaktpersonen gleichzeitig behandelt werden. Die aus der Therapie der Onchozerkose (Flussblindheit) bekannten Nebenwirkungen beruhen auf dem massenhaften Absterben der Mikrofilarien und sind bei Milbenbefall nicht zu erwarten. Die orale Therapie ist besonders auch bei Wimpernbefall (z. B. durch Filzläuse) zu empfehlen, da die z. Z. topisch angewendeten Mittel die Hornhaut schädigen können. In der Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Kindern unter 5 Jahren ist das Mittel kontraindiziert.

In den U.S.A wurde 2012 eine 0,5-%ige Ivermectin-Lotion zur einmaligen Anwendung im Kopfhaar zugelassen, die eine effektive Therapie bei Kopfläusen darstellt. Die Anwendung ist risikoarm, bereits ab dem sechsten Lebensmonat getestet und auch bei Läusen mit Resistenz gegen andere Mittel geeignet[3].

Bei Tieren (Haus- und Heimtiere, Vögel, Reptilien) wird das Mittel oral, subkutan, intramuskulär oder über die Haut verabreicht. Eine Wiederholung nach einer Woche ist bei vielen Parasiten empfohlen.

Kontraindikationen und Nebenwirkungen

Bei Collies, Collie-Mischlingen, Shelties, Bobtails und verwandten Hunderassen sollte Ivermectin nicht oral eingesetzt werden, da bei ihnen aufgrund eines häufigen Gendefekts (MDR1-Defekt) Todesfälle auftreten können. Auch junge Ratten, Schildkröten, Chamäleons und kleine Echsen sind sehr empfindlich. Bei Krokodilen ist die Anwendung kontraindiziert. Bei Finken traten häufiger Todesfälle auf. Bei sehr jungen Tieren sollte Ivermectin ebenfalls nicht eingesetzt werden.

Bei der Verabreichung können lokale Reaktionen auftreten (Schwellung der Injektionsstelle oder Hautirritationen bei lokaler Verabreichung).

Überempfindlichkeitsreaktionen (Anaphylaxie) wurden bislang nur bei Pferden und Hunden beobachtet. Bei Pferden können Ödeme auftreten. Bei Hunden kann durch das massive Absterben von Mikrofilarien sechs Stunden nach Behandlung ein Schock auftreten.

Umweltschäden

Da die Anwendung von Ivermectin die Koprophagenfauna behandelter Nutztiere schädigt, werden einige Tierarten ihrer Nahrungsgrundlage beraubt. Dazu zählt zum Beispiel die Alpenkrähe (Pyrrhocorax pyrrhocorax), die sich vielerorts überwiegend von Larven aus Schafkot ernährt.[4] Die Nahrungsgrundlage dieser Vögel sind zahlreiche Käfer- und Fliegenarten, die sich auf den Abbau von Tierkot, oft nur von bestimmten Arten spezialisiert haben. Damit ist deren Existenz direkt bedroht. Weiterhin wird der Kot nicht mehr so schnell abgebaut, was vor allem bei Pferde- und Rinderweiden zu Produktionsausfällen führt, da das Gras unter dem länger liegenden Kot nicht nachwachsen kann.

Chemische Informationen

Die weiße bis weißlich-gelbe, kristalline Substanz ist im kristallinen Zustand stabil, reagiert jedoch in polaren Lösungsmitteln lichtempfindlich. Ivermectin ist praktisch unlöslich in Wasser, löst sich aber gut in Methanol, Ethanol,[1] Chloroform, Aceton und Tetrahydrofuran.[5]

Die beiden Komponenten des Ivermectins H2B1a und H2B1b unterscheiden sich strukturell nur durch eine Methylgruppe. Sie entstehen durch selektive Hydrierung der cis-konfigurierten 22,23-Bindung aus Avermectin B1a und Avermectin B1b.

Die Buchstaben und Ziffern in den Namen der Komponenten charakterisieren bestimmte Avermectinstrukturen wie Doppel- bzw. Einfachbindung zwischen dem C-22 und C-23 mit/ohne Substituent am C-23 (1 bzw. 2), ferner Substituenten am C-5 (A bzw. B) und am C-25 (a bzw. b). Das Molekül hat 19 chirale Zentren.

Handelsnamen

  • Humanmedizin: Stromectol
  • Tiermedizin: Agrimec, Animec, Bimectin, Closamectin, Ecomectin, Eraquell, Equimax, Eqvalan, Furexel, Ivomec, Noromectin, Otimectin, Paramectin, Qualimec, Vectin, Virbamec

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Datenblatt zum Arzneistoff Stromectol/Ivermectin bei Merck (USA), abgerufen am 17. Februar 2010.
  2. 2,0 2,1 2,2 Datenblatt Ivermectin bei Sigma-Aldrich (PDF).Vorlage:Sigma-Aldrich/Abruf nicht angegeben
  3. David M. Pariser, Terri Lynn Meinking, Margie Bell, William G. Ryan: Topical 0.5% Ivermectin Lotion for Treatment of Head Lice. New England Journal of Medicine 2012, Band 367, Ausgabe 18 vom 1. November 2012, Seiten 1687 - 1693. DOI: 10.1056/NEJMoa1200107
  4. Urs N. Glutz von Blotzheim, K. M. Bauer: Handbuch der Vögel Mitteleuropas. Band 13/III: Passeriformes (4. Teil). AULA-Verlag, Wiesbaden 1993, ISBN 3-89104-460-7, S. 1632.
  5. K. Hardtke et. al. (Hrsg.): Kommentar zum Europäischen Arzneibuch Ph. Eur. 5.0, Ivermectin. Loseblattsammlung, 19. Lieferung 2005, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart.