Nonnenkranich



Nonnenkranich

Nonnenkranich (Grus leucogeranus)

Systematik
Klasse: Vögel (Aves)
Ordnung: Kranichvögel (Gruiformes)
Familie: Kraniche (Gruidae)
Unterfamilie: Echte Kraniche (Gruinae)
Gattung: Grus
Art: Nonnenkranich
Wissenschaftlicher Name
Grus leucogeranus
Pallas, 1773
Nonnenkraniche im Weltvogelpark Walsrode

Der Nonnenkranich (Grus leucogeranus, Syn.: Leucogeranus leucogeranus), auch Sibirischer Kranich, ist eine seltene Vogelart aus der Familie der Kraniche. Wegen seines überwiegend weißen Federkleides, das er nur mit drei anderen rezenten Kranicharten gemeinsam hat, wird er auch Schneekranich genannt. Er gilt unter den Kranichen als die aquatischste Form und ist während seines gesamten Lebenszyklus auf Feuchtgebiete angewiesen. Nonnenkraniche leiden sowohl in ihren Brut- als auch ihren Überwinterungsgebieten unter der Zerstörung ihres Lebensraumes. Sie haben unter allen Kranichen den längsten Wanderweg und eine der längsten bekannten Zugrouten von Vögeln, die nicht die Ozeane überqueren.[1] Da der Nonnenkranich auf seinen verbliebenen drei Zugrouten bejagt wird, gilt er als sehr gefährdet.

Merkmale

Der 140 cm lange Nonnenkranich wird 6 kg schwer, wobei das Männchen etwas größer als das Weibchen ist. Er ist ein Vogel mit weißem Gefieder, unbefiedertem leuchtend rotem Gesicht, gelber Iris und rötlichen Beinen. Der Schnabel ist leicht nach unten gebogen. Die Handschwingen sind glänzend schwarz, was nur sichtbar ist, wenn der Kranich seine Flügel ausbreitet. Der Schnabel ist im Vergleich zu den meisten anderen Kranichen länger und schwerer, was vermutlich eine Anpassung an die Nahrungssuche im tieferen Wasser ist. Er ist außerdem leicht gekrümmt und an der Spitze gezähnt, damit der Kranich seine Nahrung besser fassen kann.

Das Gefieder des Jungvogels ist am Kopf und Nacken rostbraun, ansonsten hellbraun gefärbt. Beim Schlüpfen sind die Augen blau und werden mit sechs Monaten gelb.

Die Luftröhre ist im Gegensatz zu den meisten ziehenden Kranichen einfach gebaut und nur leicht gekrümmt. Dieses Merkmal teilt er unter anderem mit dem afrikanischen Klunkerkranich. Nonnenkraniche sind sehr ruffreudig und verfügen über den längsten Doppelruf bei den Kranichen. Der Ruf wird meist vom Männchen eingeleitet. Das Männchen verbeugt sich und stößt dabei ein nasales Jaah! aus. Dann entfaltet es seine Flügel und ruft gemeinsam mit dem Weibchen im Duett Tuudel-luu, tuudel-luu, tuudel-luu. Das Weibchen, das eine etwas höhere Stimme hat, ruft dabei tuudel und die Rufe sind zwischen Paaren so synchronisiert, dass sie wie der Ruf eines einzigen Vogels klingen.[2] Während der Zeit des Zuges rufen sie ein helles, glockenklares tuut-tuut-tuut.

Vorkommen

Kraniche gelten grundsätzlich als Reliktvögel, die einem zunehmenden anthropogenen Druck, egal ob dieser direkt durch Jagd oder indirekt durch Lebensraumvernichtung entsteht, nur sehr schlecht widerstehen können. Dies gilt in besonderem Maße auch für den Nonnenkranich.[3]

Im Pleistozän waren Nonnenkraniche noch über den asiatischen Tiefebenen mit ihren großen Marschen und Sümpfen verteilt verbreitet. Im 19. Jahrhundert kamen sie nur noch zerstreut in ihren nördlichen Brutgebieten vor. Die Art ist sehr schwierig zu schützen, da sie weit verbreitet brütet und eine lange Zugroute hat, die durch mehrere Länder führt.

Eine östliche Population brütet im nordöstlichen Sibirien und überwintert am mittleren Jangtse. Hauptüberwinterungsgebiet ist hier der Poyang Hu.[4] Dies ist die Hauptpopulation mit bis zu 3.000 Kranichen. Eine westliche brütet südlich des Obs und östlich des Urals und verbringt den Winter im Iran am Südufer des Kaspischen Meeres. Dabei handelt es sich allerdings nur um etwa zehn Vögel.[5]

Mittlere Populationen, die in Westsibirien brüteten, sind mittlerweile vermutlich erloschen. Diese sogenannten zentralsibirischen Populationen überwinterten im indischen Gangesbecken, wo ihnen noch um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert zahlreiche Teiche und Monsuntümpel geeignete Überwinterungsquartiere boten. Mit zunehmender Bevölkerungsdichte und einer Ausweitung der landwirtschaftlichen Flächen konzentrierten sich die überwinternden Nonnenkraniche immer mehr in einem rund 30 Quadratkilometer großen Sumpfgebiet, das 60 Kilometer westlich von Agra liegt. Dieses Gebiet ist mittlerweile ein Nationalpark. Der Keoladeo-Nationalpark bot den Vögeln ausreichenden Schutz in ihrer Überwinterungszeit, was sich auch daran zeigte, dass in den Überwinterungsquartieren nur wenige Vögel starben. Die Zugroute dieser Population führte vermutlich über die Wüste Thar, den Punjab und das Indus-Tal in Pakistan. Von dort flogen sie in nordwestlicher Richtung zum Ab-e-estada-See im Tal von Kabul in Ostafghanistan, dann in nördlicher Richtung über den Hindukusch, um dann Zentralasien in nordöstlicher Richtung zu überqueren. Für die Wanderroute, die die Hochlagen des Himalaya und des Karakorum umgeht, brauchten die Vögel etwa zwei Monate. Da die Nonnenkraniche weder in ihren Brutrevieren noch auf ihrer Zugroute geschützt waren, nahm ihre Zahl dramatisch ab. 1964 überwinterten noch 200 Nonnenkraniche in dem Nationalpark. Knapp 10 Jahre später waren es nur noch 76 Nonnenkraniche.[6] 2002 wurde im Keoladeo-Nationalpark zum letzten Mal ein Nonnenkranich gesichtet. Damit sind vermutlich die zentralsibirischen Populationen erloschen.

Lebensweise

Nonnenkranich im Zoo von Ōsaka

Der Nonnenkranich ist ein Allesfresser, zu dessen Nahrung unter anderem Wurzelknollen, Nagetiere, Fische und Insekten gehören. Tierisches Eiweiß spielt nur eine untergeordnete Rolle. Mit Ausnahme des zeitigen Frühjahrs lebt der Nonnenkranich fast ausschließlich vegetarisch.[7] Sowohl während der Brutzeit als auch in seinen Überwinterungsquartieren sucht er seine Nahrung ausschließlich in Feuchtgebieten und nur äußerst selten auch in terrestrischen Lebensräumen. Dieses Merkmal hat er nur mit dem afrikanischen Klunker- und dem nordamerikanischen Schreikranich gemeinsam.[8] Zur bevorzugten Nahrung des Nonnenkranichs gehören Wurzelknollen, die sie bis zu einer Wassertiefe von 60 Zentimetern mit ihren langen Schnäbeln ausgraben. Haben sie Knollen aus dem Wasser heraufgeholt, spülen Nonnenkraniche den Schlamm mit einem seitlichen Schlenker des Schnabels ab. Sie bevorzugen freies Gelände mit ungehinderter Sicht und verteidigen auch in den Winterquartieren ihre Futterreviere, die sie erst aufgeben, wenn der Winter zu Ende geht und der Zug unmittelbar bevorsteht. Dann beginnen sie in Gruppen nach Nahrung zu suchen.[9]

Der Nonnenkranich brütet in Sümpfen der Tundra und Taiga. Er bevorzugt dabei Regionen mit ausgedehnten Flachwasserzonen. Zwei Eier werden von beiden Elternvögel 29 Tage ausgebrütet. Unter allen Kranicharten haben Nonnenkraniche gemeinsam mit den Schwarzhalskranichen des tibetischen Hochlandes die dunkelsten Eier. Dies gilt als eine Anpassung an das Klima in ihrem Brutgebiet. Subtropische Kranicharten haben weiße Eier, da die weiße Schale die Sonnenhitze besser reguliert.[10] Nach 70–75 Tagen werden die Jungvögel flügge. Allerdings wird in der Regel nur einer der Jungvögel groß. Die größte Gewichtszunahme weisen Nonnenkranichküken zwischen dem 10. und 40. Lebenstag auf. Allerdings ist eine Gewichtszunahme noch in der 18. Lebenswoche festzustellen.[11]

Nonnenkraniche können sehr alt werden. Ein in der Wildnis gefangener weiblicher Nonnenkraniche lebte mehr als 61 Jahre im Zoo von Philadelphia.[12]

Bestand

Die in China überwinternde Kranichpopulation – das sind 95 % des Gesamtbestandes – sind von den hydrologischen Änderungen, die durch den Bau des Drei-Schluchten-Dammes verursacht wurden, betroffen. Der Bestand von nur mehr 2900 bis 3000 Tieren geht rasch zurück. In Gefangenschaft leben rund 200 Tiere.

Staatenübergreifende Erhaltungsmaßnahmen begannen bereits in den frühen 1970er Jahren. Schutzzonen wurden an verschiedenen Stellen in Russland, Pakistan, China und Indien eingerichtet, die der Nonnenkranich während seines Zuges nutzt.[13] Die weiten Wanderwege, auf denen Nonnenkraniche vor allem in Pakistan und Afghanistan illegal bejagt werden, stellen allerdings eine besondere Herausforderung beim Erhalt dieser Art dar.

Nonnenkraniche werden heute gezielt in Zoos nachgezüchtet. Zu den Zuchtzentren zählen die Gehege der International Crane Foundation in den Vereinigten Staaten, das Oka State Natur Reserve in Russland, der Beijing Zoo in Peking und der Vogelpark Walsrode in Deutschland.[14] In der Haltung gilt der Nonnenkranich als die potentiell reizbarste Art, was bei seiner Haltung gewisse Vorsichtsmaßnahmen erforderlich macht.[15] Das Aggressionspotential zeigt sich nicht nur gegenüber Pflegern, sondern macht es auch schwierig, geeignete Brutpaare zu bilden. Häufig sind Zoos gezwungen, Nonnenkraniche einzeln in separaten Gehegen zu halten, damit sie nicht zu Tode kommen.[16] Der erste in Gefangenschaft geborene Nonnenkranich wurde erst 1980 in den Gehegen der International Crane Foundation gezogen.[17]

Der Nonnenkranich gilt als so bedroht, dass es einen Global Animal Survival Plan für diese Art gibt. Damit wird versucht, eine weltweite Kooperation in den Erhaltungsbemühungen um den Nonnenkranich sicherzustellen.[18]

Systematik

Der Nonnenkranich wird gewöhnlich der Gattung Grus innerhalb der Familie der Kraniche zugeordnet. Anatomische Merkmale weisen auf eine Verwandtschaft mit dem afrikanischen Klunkerkranich hin. DNA-Untersuchungen zeigen jedoch, dass der Nonnenkranich sich sehr stark von den anderen Arten der Kranichen unterscheidet und möglicherweise einer eigenen Gattung zugeordnet werden müsste.[19]

Kulturelle Bedeutung

kasachische Briefmarke

Zu den Völkern, die den Nonnenkranich besonders verehren, zählen die Jakuten. Die bis in 11. Jahrhundert praktizierte Stammesordnung gab jedem Stamm einen Vogelnamen. Der Nonnenkranich war das Symbol aller Jakutenstämme.[20] Zu den beliebtesten Tänzen dieses Turkvolkes gehört der sogenannte Tanz des weißen Kranichs.[21]

Zu den frühesten bekannten Abbildungen des Nonnenkranichs zählt eine Zeichnung von Ustad Mansur (1569–1627), einem Maler am Hofe des Mogulherrschers Jahangir. Die Zeichnung ist ungewöhnlich detailliert und zeigt auch, dass das Rot des Gesichtes auch die Nasenlöcher und die Basis des langen Schnabels einschließt.[22] Die erste wissenschaftliche Beschreibung stammt von dem deutschen Arzt und Naturforscher Peter Simon Pallas, der im 18. Jahrhundert das russische Reich bereiste.

Belege

Literatur

  • David H. Ellis, George F. Gee, Claire M. Mirande (Hrsg.): Cranes: Their Biology, Husbandry, and Conversation, Hancock House Publishers, Blaine 1996, ISBN 0-88839-385-7
  • Peter Matthiessen: Die Könige der Lüfte – Reisen mit Kranichen, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-596-18195-7

Weblinks

Commons: Nonnenkranich – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Matthiessen, S. 138
  2. Matthiessen, S. 149
  3. Matthiessen, S. 133
  4. Ellis et al., S. 273
  5. Ellis et al., S. 27
  6. Matthiessen, S. 135
  7. Matthiessen, S. 148
  8. Ellis et al., S. 3
  9. Matthiessen, S. 148
  10. Matthiessen, S. 45
  11. Ellis et al., S. 82 und S. 83
  12. Ellis et al., S. 25
  13. Ellis et al., S. 274
  14. Ellis, S. 27
  15. Matthiessen, S. 42
  16. Matthiessen, S. 143
  17. Matthiessen, S. 143
  18. Ellis et al., S. 178 und S. 179
  19. Ellis et al., S. 3
  20. Matthiessen, S. 28 und S. 29
  21. Matthiessen, S. 29
  22. Matthiessen, S. 134