Otoakustische Emissionen


Otoakustische Emissionen (kurz: OAE, von griech. us, otos = Ohr) sind aktive, akustische Aussendungen des Ohres, die retrograd, d.h. entgegen der Richtung bei der Schallwahrnehmung, über den Weg Gehörknöchelchen und Trommelfell in den Gehörgang gelangen und dort mit Hilfe von hochempfindlichen Messmikrofonen aufgenommen werden können. Sie sind bei ca. 97 % der Menschen nachweisbar, treten bei allen Landwirbeltieren und sogar in den Hörorganen von Insekten auf.

Geschichte der OAE

In den 1940er Jahren postulierte der spätere Nobelpreisträger Georg von Békésy seine Wanderwellentheorie, die jedoch einige Konzepte der cochleären Verarbeitungskonzepte nicht erklären konnte (u.a. weil er mit "toten" Cochleae experimentierte). Der britische Physiker Thomas Gold vermutete einen aktiven Rückkopplungsmechanismus und wandte sich an Békésy mit der Bitte, seine Experimente auch an lebenden Innenohren zu wiederholen. Dieser verfolgte jedoch einen anderen Ansatz und Gold wandte sich von der Akustikforschung ab, da ihm mit den seinerzeit möglichen Messmethoden seine postulierten Energieabstrahlungen in den Gehörgang nicht nachweisbar waren. Erst 30 Jahre später gelang es wiederum einem britischen Physiker, David Kemp, Gold’s Hypothese nachzuweisen, indem er evozierte OAE messen konnte.

Entstehung der OAE

Die OAE werden im Innenohr von den äußeren Haarzellen erzeugt. Diese haben verschiedene Mechanismen, um sich zu verkürzen, damit die Basilarmembran aktiv und frequenzspezifisch vorgespannt werden kann. Diese Funktion führt zu einer Verstärkung des mechanischen Schallreizes, so dass bereits bei wenig Schallenergie die für die Reizweiterleitung auf den Hörnerven zuständigen inneren Haarzellen erregt werden. Die Aktivität der äußeren Haarzellen wird durch verschiedene Einflüsse vom Gehirn und Stationen der Hörbahn beeinflusst. Die aktive Anspannung der Basilarmembran erzeugt die akustische Energie, die als OAE messbar ist. Daher sind OAE nur bei gesunden Ohren nachweisbar, bei Veränderung oder Ausfall der Haarzellen bleiben die OAE aus.

Typen der OAE

Es werden 2 verschiedene Typen von OAE unterschieden:

  • spontane OAE
  • evozierte (durch akustische Reize hervorgerufene) OAE

Spontane OAE (SOAE) treten bei 35 % - 50 % der gesunden Ohren auf und sind für den Erzeuger selber nicht hörbar (Abgrenzung zum Tinnitus). Ihr Entstehungsmechnismus ist ungeklärt, sie sind durch ohrschädliche Noxen oder Lärmbelastungen vermindert. Sie haben keine wesentliche klinische Bedeutung.

Evozierte OAE (EOAE) entstehen während oder kurz nach einer akustischen Stimulation des Ohres. Je nach Form des akustischen Stimulus werden unterschiedliche Subgruppen der evozierten OAE unterschieden:

  1. Transitorisch evozierte otoakustische Emissionen (TEOAE) werden nach einem kurzen akustischen Stimulus (Click oder tone burst) nachweisbar. Als die „klassischen“ OAE werden sie auch als Kemp-Echos bezeichnet. Klinisch mit am häufigsten verwendet.
  2. Stimulusfrequenzemissionen (SFOAE) werden durch einen gleitenden Sinuston als kontinuierliche OAE evoziert. Wahrscheinlich durch Phasenverschiebung kommt es zu einer typischen Erhöhung der OAE-Amplitude. Klinisch ohne wesentliche Bedeutung.
  3. Distorsivproduzierte otoakustische Emissionen (DPOAE) werden durch 2 simultan applizierte Sinustöne (f1 und f2) erzeugt. Im nichtlinearen System der Cochlea kommt es zu Verzerrungen (engl.: distortion), die als Amplitudenerhöhung im Messspektrum auffallen. Die Frequenz und Amplituden der Verzerrungsprodukte hängen von verschiedenen Faktoren der Stimulationsfrequenzen ab, die mathematisch beschrieben werden können. Beim Menschen hat sich ein Verhältnis von $ f_{dp}=2*f_{1}-f_{2} $ als besonders aussagekräftig erwiesen. Klinisch wegen der Möglichkeit der Frequenzspezifität ebenfalls sehr bedeutsam.

Messung der OAE

Da die Pegel der OAE sehr gering sind, müssen sehr empfindliche Messmikrofone verwendet werden. Diese werden zusammen mit einem Schallwandler, der die Stimuli erzeugt, in einer Gehörgangssonde untergebracht. Diese Sonde wird zur akustischen Dämpfung der Umgebungsgeräusche mit einem elastischen Material gegen die Gehörgangswand abgedichtet. Zur Präzisierung des Ergebnisses und zum Vermindern von Störgeräuscheinflüssen werden die Stimulus-Mess-Phasen mehrfach wiederholt und die Ergebnisse einem mathematischen Mittelungsverfahren unterworfen. Nach einer Fourier-Analyse können Frequenz-Pegeldiagramme angezeigt werden. Die Messung der OAE ist nur bei annähernd normalen Mittelohrverhältnissen möglich.

Klinischer Einsatz

Die Messung der OAE schließt eine Lücke der sog. objektiven Hördiagnostik (ohne Aktivität des Probanden) zwischen der Mittelohrdiagnostik mittels Tympanogramm und der Hörnervendiagnostik mittels BERA. Mit den OAE kann gezielt die Funktion der Cochlea geprüft werden. Die TEOAE werden wegen ihres Nachweises bis zu einem Hörverlust von <35 dB(HL) gerne als Screeningtest, z.B. beim Neugeborenenhörscreening eingesetzt, sind jedoch wegen des breitbasigen Stimulus kaum frequenzspezifisch. Auch als Topodiagnostik zur Abschätzung des Schädigungsortes bei Schwerhörigkeit werden sie eingesetzt. Die DPOAE werden oft als „unabhängiger Hörtest“ ausgegeben, weil sie frequenzspezfisch die Cochlea abtasten können, jedoch ist der Cut-off des Versagens nicht so scharf abgegrenzt, wie bei den TEOAE. So sind DPOAE bei Hörverlusten bis zu 50 dB(HL) noch nachweisbar. Durch ein pegelabhängiges Sättigungsverhalten der OAE kann jedoch durch Messung der Wachstumsfunktion der Hörverlust extrapoliert werden [1].

Literatur

  1. Rolf Hauser: Anwendung otoakustischer Emissionen, Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1995, ISBN 3432264917
  2. Sebastian Hoth und Katrin Neumann: Das OAE-Handbuch. Thieme, Stuttgart 2006, ISBN 978-3-13-142561-4

Einzelnachweise

  1. Janssen T, Niedermeyer HP, Arnold W: Diagnostics of the cochlear amplifier by means of distortion product otoacoustic emissions in: ORL J Otorhinolaryngol Relat Spec. 2006;68(6):334-9. Epub 2006 Oct 26

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