Placebo
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Ein Placebo (lat. „ich werde gefallen“) ist im engeren Sinn ein Scheinarzneimittel, welches keinen Arzneistoff enthält und somit auch keine durch einen solchen Stoff verursachte pharmakologische Wirkung haben kann.
Im erweiterten Sinn werden auch andere Scheininterventionen als Placebo bezeichnet, beispielsweise Scheinoperationen.
Placeboeffekte sind positive Veränderungen des subjektiven Befindens und von objektiv messbaren körperlichen Funktionen, die der symbolischen Bedeutung einer Behandlung zugeschrieben werden. Sie können bei jeder Art von Behandlung auftreten, also nicht nur bei Scheinbehandlungen.[1]
Placebos werden in placebokontrollierten klinischen Studien eingesetzt, um die therapeutische Wirksamkeit verschiedener, jeweils als Verum bezeichneter, Verfahren möglichst genau erfassen zu können, idealerweise in Doppelblindstudien. Die Anwendung von Placebos zur Behandlung von Krankheiten außerhalb solcher Studien ist ethisch umstritten, wenn sie nicht auf einer informierten Einwilligung beruht und nicht im Rahmen der partizipativen Entscheidungsfindung zwischen Patient und Arzt erfolgt.[2][3]
Das Gegenstück zum Placeboeffekt ist der Nocebo-Effekt. Hierbei handelt es sich um unerwünschte Wirkungen, die analog einer Placebowirkung auftreten können.
Etymologie
Der Begriff Placebo entstammt der christlichen Liturgie. Der Vers Placebo domino in regione vivorum (Ps 116,9 Vul) „Ich werde dem Herrn gefallen im Lande der Lebenden.“ (Ps 116,9 EU) wurde im 12. Jahrhundert Bestandteil des Totenoffiziums und war zeitweise ein Synonym für die „Totenandacht“. Im 14. Jahrhundert bezeichnet „Placebo“ die musikalische Einlage eines Begräbnischores, der für Geld den Toten besang. „Placebo“ galt als etwas Scheinheiliges, eine schmeichlerische und unechte Ersatzleistung. Im 18. Jahrhundert schließlich wurde „Placebo“ zum Bestandteil des medizinischen Wortschatzes in der heute gängigen Bedeutung.[4]
Definitionen
Placebo
Nach klassischer Definition ist ein Placebo ein Präparat, welches in einer für Medikamente üblichen Darreichungsform hergestellt wird, jedoch keine arzneilich wirksamen Inhaltsstoffe enthält.
In der Medizin wird zwischen verschiedenen Typen unterschieden:[5]
- Echte oder reine Placebos: Damit werden Scheinmedikamente bezeichnet, die nur Zucker oder Stärke enthalten. Auch Hilfsstoffe wie Geschmackskorrigentien oder Farbstoffe können enthalten sein. In diese Kategorie gehören auch spezielle Placebo-Akupunkturnadeln, die nicht durch die Haut stechen, sondern in den Nadelhalter einfahren. Der Nadelhalter bleibt dann auf der Haut kleben.
- Aktive Placebos: Für besondere Studien werden diese Placebos als Kontrolle eingesetzt. Sie haben nicht die Wirkung des Medikaments, sondern ahmen nur dessen Nebenwirkungen nach.[6]
- Pseudoplacebos: Es sind Medikamente, die jedoch im konkreten Anwendungsfall nach aktueller wissenschaftlicher Erkenntnis nicht wirken können, weil entweder die verabreichte Dosis zu niedrig ist oder das Wirkungsspektrum keinen spezifischen Einfluss auf die bestehende Krankheit hat. Wiesing bezeichnet alle „wissenschaftlich bemäntelte“ Verfahren, die ohne eine wissenschaftliche Überprüfung vorgeben, wirksam zu sein, als Pseudoplacebos.[7]
- Im erweiterten Sinn wird jede Scheinbehandlung, zum Beispiel vorgetäuschte Operationen oder vorgetäuschte Akupunktur, als Placebo bezeichnet.
Placeboeffekt, Placeboantwort und Placebowirkung
Placeboeffekte sind alle positiven psychischen und körperlichen Reaktionen, die nicht auf die spezifische Wirksamkeit einer Behandlung zurückzuführen sind, sondern auf den psychosozialen Kontext der Behandlung.[1][8]
Die Begriffe „Placeboeffekt“ und „Placeboantwort“ (placeboresponse) werden häufig synonym verwendet. Enck unterscheidet zwischen den Begriffen, indem er „Placeboeffekt“ im Sinne des Placeboeffektes bei klinischen Studien definiert, wo unter dem Begriff alle Faktoren subsumiert sind, die neben der spezifischen Wirksamkeit eines untersuchten Medikaments Einfluss auf das Untersuchungsergebnis haben, wie Regression zum Mittelwert, natürlicher Krankheitsverlauf, Spontanremission und schließlich die wahre Placeboantwort. Die Placeboantwort beschreibt danach die individuelle Reaktion auf eine Behandlung, die auf Grund von psychosozialen Faktoren, wie Suggestion/Erwartungshaltung und Konditionierung ausgelöst wird.[9] Manche Autoren benutzen den Begriff „Placebowirkung“ und definieren ihn als Wirkung des Kontextes der Placebogabe. Sie wollen damit hervorheben, dass Placebos selbst keine Wirkung haben, sondern die Kontextfaktoren bei der Gabe.[10]
Noceboeffekt
Noceboeffekte sind, im Gegensatz zu Placeboeffekten, alle negativen körperlichen Reaktionen, die nicht auf die Wirkungen oder Nebenwirkungen einer Behandlung zurückzuführen sind, sondern auf den psychosozialen Kontext der Behandlung. Von Noceboeffekten zu unterscheiden sind Unverträglichkeitsreaktionen wie beispielsweise Allergien, die durch bestimmte Bestandteile (pharmazeutische Hilfsstoffe) des Placebos verursacht sind.
Die Geschichte des Placebos
Seit vorgeschichtlicher Zeit wurden Kranke durch Besprechen behandelt. Entsprechende Texte wurden von Priester-Ärzten im Alten Orient kanonisiert und teilweise aufgezeichnet. Die erste geschichtliche Erwähnung im Abendland findet der Placeboeffekt nicht etwa durch einen Arzt, sondern durch den griechischen Philosophen Platon (427–347 vor Christus). Er war der Meinung, dass Worte durchaus die Kraft haben, Kranke zu heilen. Auch legitimierte er die medizinische Lüge, um Ärzten die Scheu davor zu nehmen. So sei es vollkommen in Ordnung, einem schwer kranken Patienten durch Worte das Gefühl zu geben, dass er gute Heilungschancen habe oder dass seine Krankheit weitaus weniger schlimm sei, als er denke. Dass dies der damaligen Vorstellung von guter ärztlicher Behandlung widersprach, sieht man an dem Beispiel Hippokrates (460–377 v. Chr.), einem überragenden Mediziner seiner Zeit, siehe auch Eid des Hippokrates. Er war der Meinung, dass der Arzt keine beratende, sondern vielmehr eine anleitende Rolle besitzt. Den Erfolg von Medikamenten machte man nicht an dem persönlichen Bemühen des Behandelnden fest, sondern an dem möglichst strikten und genauen Befolgen der Anweisungen, was beispielsweise die Einnahme der Medikamente betraf.
Ein weiterer griechischer Arzt namens Galenos von Pergamon (129–200) war Begründer einer neuen Theorie, die wesentliche Gemeinsamkeiten mit chinesischer und hinduistischer ayurvedischer Medizin hat. Diese Lehre geht von Elementen aus, die den Körper bestimmen, ein Ungleichgewicht dieser Elemente führt demnach zu einer Krankheit. Diese Elemente waren Blut, Schleim, schwarze Galle und gelbe Galle. Da man annahm, dass sie sich sowohl durch physische als auch durch psychische Einwirkung beeinflussen lassen, führte Galens Theorie das erste Mal dazu, dass Ärzte sich auch psychisch mit ihren Patienten auseinandersetzen.
Dies veranlasste Mediziner für die nächsten 1800 Jahre, bei theoretischen Überlegungen über die Wirkungsweise von Heilmitteln psychische Beeinflussungen nicht außer Acht zu lassen. Wann aber konkret das erste Mal Scheinmedikamente eingesetzt wurden, ist nicht bekannt. Ein dokumentierter Fall eines Kaufmanns aus dem Jahre 1580, als seine Ärzte nur so taten, als würden sie ihm einen Einlauf machen, lässt sich eher auf einen Streich der Mediziner zurückführen, auch wenn sich der Kaufmann über das gleiche Wohlbefinden wie nach einem wirklichen Einlauf freute.
Im vierzehnten Jahrhundert taucht der Begriff Placebo zwar in Gedichten auf, bezog sich allerdings auf einen Schmeichler oder Schönredner. In einem medizinischen Lexikon tauchte der Begriff zum ersten Mal 1785 auf, und für das Jahr 1811 lassen sich Belege finden, dass er auch in einem ähnlichen Zusammenhang wie in der heutigen Zeit stand.
Der erste dokumentierte Versuch, der mit einer Art Placebo kontrolliert wurde, ist aus dem Jahre 1784, durchgeführt von dem bedeutenden Naturwissenschaftler Benjamin Franklin. Damals behauptete Franz Anton Mesmer, dass es in dem Körper eine Art „Fluid“ gebe, das er aus der Entfernung beeinflussen könne. Der König von Frankreich rief ein Komitee zusammen, welches ihn auf sein Wirken überprüfen sollte. Dieses Komitee, zu dem auch der junge Benjamin Franklin gehörte, führte nun einige Testreihen durch. So ließen sich Frauen in einem Raum „mesmerisieren“ in dem Glauben, der Ausführende sitze hinter einem Vorhang im Nebenzimmer, wobei die Information richtig oder falsch sein konnte. Franklin gelang es, nachzuweisen, dass der Erfolg der Behandlung nur davon abhängt, ob die Frauen glauben, der Mesmerist sei da, und widerlegte somit die der neuen Mode zugesprochene Wirkungsweise.
Placebos im heutigen Verständnis wurden wohl zum ersten mal 1830 durch einen Doktor Herrmann unter Supervision eines Doktors Gigler in einem Militärkrankenhaus der russischen Stadt Sankt Petersburg systematisch verwendet.[11] Dabei sollte untersucht werden, ob eine homöopathische Behandlung wirkt. Diese Studie verglich nicht nur die damals neue homöopathische Behandlung mit der zeitgenössisch üblichen medizinischen Behandlung, sondern führte außerdem wohl erstmals systematisch eine Nichtbehandlungsgruppe ein, die mit Placebos in Form von Pseudopillen ohne Wirkstoff etc. behandelt wurde. Es zeigte sich, dass die Placebo-Gruppe die besten Erfolge hatte.
1834 hat dann der Zeuge dieser Untersuchung und Gegner der Homöopathie Carl von Seidlitz in der gleichen Stadt in einem Marine-Hospital einen einfach verblindeten Vergleich von Homöopathika mit Placebo durchgeführt.
1835 publizierte der Theologe und Redakteur George Löhner einen in Nürnberg durchgeführten Test der Wirkung einer homöopathischen Kochsalzlösung an einer Gruppe von 55 freiwilligen, gesunden Probanden. Dabei handelt es sich wohl um die erste randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Untersuchung überhaupt. 42 Personen hatten „gar nichts Ungewöhnliches“ bemerkt (19 Kochsalz-Potenz, 23 Wasser als Placebo), neun Personen hatten „etwas Ungewöhnliches“ bemerkt (sechs Kochsalz-Potenz, darunter aber einer, der wusste, dass er die Potenz eingenommen hatte und drei Wasser). Die überwachende Kommission folgerte, dass die Potenzierung keine Wirkung habe.[12]
Viele Ärzte des 19. und 20. Jahrhunderts stellten die Medikamente noch selbst her, daher fiel die Abgabe von Placebo nicht auf. Da noch die durch Platon „legitimierte Lüge der Medizin“ als ethischer Grundsatz galt, hatten sie auch kein Problem damit. Zusätzlich war den Ärzten bewusst, dass man gegen viele Krankheiten keine wirksamen Medikamente besaß. Dies führte manche Ärzte zu der Überzeugung, dass Placebos von der Bildfläche verschwinden würden, sobald man genügend wirksame Heilmittel zu Verfügung hätte. Dies war einer der Gründe, warum der Gebrauch von Placebos im Laufe des 20. Jahrhunderts abklang. Ein anderer war der Wandel der ethischen Grundsätze; einen Patienten zu täuschen schien nicht mehr adäquat. Zudem glaubten viele Ärzte, dass Placebos nur dann wirken, wenn sich der Patient seine Schmerzen nur einbildet.
Die erste doppelt verblindete placebokontrollierte Studie nach modernen Kriterien wurde 1907 von W. H. R. Rivers durchgeführt. Nach der Empfehlung der Food and Drug Administration in den 1970er Jahren wurden doppelblinde, randomisierte, placebokontrollierte Studien zum Standard in wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirksamkeit von Medikamenten.[13]
Dass Placebos auch heute noch ein schlechtes Ansehen haben, liegt zum Teil an der Wirkungsweise, die man nur mit Hilfe psychischer Faktoren erklären kann. Trotzdem haben anonyme Umfragen bei Ärzten und Pflegern ergeben, dass ein großer Teil von ihnen Placeboeffekte bereits bewusst eingesetzt hat. Es gibt Schätzungen, dass die Wirkung von Arzneimitteln zu 20 bis 80 % durch Placeboeffekte entsteht.[14]
Einsatz
Forschung
Placebos werden z.B. in der Forschung eingesetzt. Durch placebokontrollierte, doppelblinde, randomisierte Studien wird die therapeutische Wirksamkeit von Medikamenten genau untersucht. Ein Teil der Probanden erhält das zu testende Medikament (Verum), während die Kontrollgruppe ein (optisch, geschmacklich und im Bedarfsfall mit den Nebenwirkungen des Verums) identisches Placebo erhält. Eine Differenz zwischen der gemessenen Wirkungen in beiden Gruppen zu Gunsten des Verums, kann so als dessen Wirksamkeit angesehen werden. Dieser Effekt des Verums kann größer oder kleiner als der Placeboeffekt sein. Die in wissenschaftlichen Studien gefundene und für das Verum sprechende statistische Signifikanz der Wirkung (die in diesem Zusammenhang unbedingt von der Relevanz der Wirkung des Verums zu unterscheiden ist) ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Zulassung eines Medikamentes durch die zuständigen Gesundheitsbehörden.
Doppelblind sind die Studien, bei denen weder der Arzt noch die Patienten wissen, ob Placebo oder Verum verabreicht wurde. Dadurch wird eine Beeinflussung des Ergebnisses ausgeschlossen. Der doppeltblinde Ansatz kann die Führung von Studien, in denen das Verum nicht in einer leicht in ein Placebo überführbaren Form vorliegt, vor große Herausforderungen stellen und möglicherweise nur unvollkommen realisiert werden.
Randomisiert heißt, dass die Kontrollgruppe durch den Zufall, beispielsweise durch das Ziehen von Losen, bestimmt wird. Damit wird vermieden, dass Faktoren wie z. B. das Stadium der Krankheit unbewusst einbezogen werden.
Placebotherapie
Der Placeboeffekt hat einen mehr oder weniger großen Anteil an jedem Behandlungserfolg. Auch reine oder ergänzende Placebotherapien werden nicht selten in der klinischen Praxis angewendet.[15] Die Gabe von Placebos zur Behandlung von Beschwerden ist ethisch umstritten. Besonders in der Schmerztherapie können Placeboeffekte die Behandlung stark positiv unterstützen.[16]
Wie wirksam Placeboeffekte bei bestimmten Symptomen sein können, zeigt eine Studie an Patienten mit Reizdarmsyndrom, die drei verschieden intensive Placebobehandlungen erhielten. Die erste Gruppe wurde nur untersucht, die zweite erhielt eine Scheinakupunktur und die letzte Scheinakupunktur in Verbindung mit empathischen, aufmerksamen, vertrauensvollen Gesprächen. In der Gruppe mit Scheinakupunktur besserte sich die Symptomatik signifikant gegenüber der unbehandelten Gruppe und in der Gruppe mit Scheinakupunktur und zusätzlichen Gesprächen war die Besserung der Symptomatik noch einmal signifikant größer, als in der Gruppe, die nur mit Scheinakupunktur behandelt wurde.[17] Der Placeboforscher Bertrand Graz hält die Korrelation zwischen der positiven Erwartungshaltung des Arztes und dem Heilerfolg einer Behandlung für so bedeutsam, dass er für diesen Wirkungsfaktor eine neue Bezeichnung "curabo effect" (curabo: lat. "ich werde heilen" an Stelle von Placebo (lat. „ich werde gefallen“) vorschlägt.[18]
Der Placeboeffekt ist nach Ansicht einer Anzahl von Wissenschaftlern nicht mit einer Spontanheilung gleichzusetzen, auch wenn vermutet wird, dass bei beiden ähnliche biochemische Prozesse zu beobachten sind. Bei einer Spontanheilung beseitigt der Körper die Krankheit ohne wissentliche Hilfe von außen. Beim Placeboeffekt hingegen werde der Körper durch äußere Einflüsse angeregt, die eine verstärkende Wirkung auf die Heilung haben sollen. Dieser These steht die entgegengesetzte Meinung entgegen, laut der der Placeboeffekt ausschließlich auf Spontanremission, natürlicher Fluktuation der Symptome und subjektive Beeinflussung der Ergebnisse seitens der Ärzte und Patienten zurückzuführen ist (siehe unten).
Auslöser von Placeboeffekten
Bei Placeboeffekten bewirken psychische Faktoren somatische Veränderungen. Placeboeffekte können durch das Hervorrufen von Erwartungshaltungen oder durch einen konditionierten Reiz ausgelöst werden. Die ausgelösten neuronalen Aktivierungen im Gehirn können den Stoffwechsel beeinflussen und dadurch körperliche Reaktionen bewirken.
Erwartungshaltung
Die positive Erwartungshaltung gegenüber einer Behandlung wird von vielen Placeboforschern als wichtigste Voraussetzung für das Auftreten eines Placeboeffektes betrachtet. Die Erwartungshaltung gegenüber der Wirksamkeit einer Behandlung hängt von vielen Faktoren ab. Dazu gehören individuell grundsätzliche Einstellungen zu bestimmten Behandlungsmethoden oder Behandlern, generelle Meinungen über die Wirksamkeit und Unwirksamkeit von Behandlungsmethoden oder über die Heilbarkeit einer Krankheit.
Zu den Faktoren, die die Erwartungshaltung beeinflussen, gehören auch das Verhalten, der berufliche Status oder der gute Ruf des Behandlers. Einen Behandler, der sich für den Patienten Zeit nimmt, empathisch auf den Patienten eingeht und sich von seiner Behandlung überzeugt zeigt, stärkt die Erwartungshaltung des Patienten.
Des Weiteren haben Behandlungsmodalitäten Einfluss auf die Erwartungshaltung. Invasive Maßnahmen wie Injektionen oder operative Eingriffe wecken eine größere Erwartungshaltung als die orale Verabreichung von Medikamenten, beziehungsweise Placebos. In Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Eigenschaften wie Größe, Farbe, Preis[19], Art der Verabreichung und Geschmack die positiven Effekte von Placebos beeinflussen. Demnach sind große bunte Kapseln wirkungsvoller als kleine weiße Tabletten. Dementsprechend werden Medikamente und Placebos mitunter gestaltet. Experimentell konnte 2008 nachgewiesen werden, dass auch allein der angegebene Preis eines Scheinpräparates die Placebowirkung beeinflusste. Ein angegebener hoher Preis bewirkte dabei einen stärkeren Placeboeffekt als ein geringerer Preis.[19]
Eine repräsentative New Yorker Studie von 1970 an Asthmapatienten zeigt beispielsweise, wie extrem die Auswirkungen von Erwartungshaltungen auf den Körper sind. Sie bekamen zwei verschiedene Medikamente: Isoproterenol, welches die Bronchien erweitert, und Carbachol, das die Bronchien verengt. Bei Letzterem ist also eine Verschlimmerung des Asthmas zu erwarten. Nach der Verabreichung wurden bei jedem Patienten das Lungenvolumen und der Luftstrom gemessen. Einmal sagte man den Patienten, um welches Medikament es sich handelt, das andere Mal sagte man ihnen, dass sie das genau gegenteilige Mittel bekommen.[20]
Als Resultat fand man in erster Linie heraus, dass die Medikamente besser wirken, wenn der Patient weiß, welches Medikament er bekommt. Von weitaus größerem Interesse ist in diesem Fall die Tatsache, dass sich das gemessene Lungenvolumen und der gemessene Luftstrom bei den Patienten, die zwar Carbachol bekamen, aber glaubten, sie bekämen Isoproterenol, tatsächlich positiv verändert haben – ebenso umgekehrt. Dies waren keine Nebenwirkungen, die für das jeweilige Medikament unter normalen Umständen bekannt sind. Dieses erstaunliche Ergebnis zeigt, dass die Erwartung unter bestimmten Umständen den Placeboeffekt so stark unterstützen kann, dass er die chemische Wirkung nicht nur aufhebt, sondern sogar umkehren kann.
Entblindete Blindstudien sind allerdings von zweifelhaftem Wert: „Success of blinding is a fundamental issue in many clinical trials. The validity of a trial may be questioned if this important assumption is violated.“ [21]. Entblindete Probanden neigen dazu, das Ergebnis durch vorurteilbehaftetes Handeln massiv zu verfälschen: „When unblinded, participants may introduce bias through use of other effective interventions, differential reporting of symptoms, psychological or biological effects of receiving a placebo (although recent studies show conflicting evidence), or dropping out …)“ [22]
Konditionierung
Die Klassische Konditionierung ist eine meist unbewusst erlernte Reaktion auf einen Reiz, wodurch dieser Faktor die Wirkung von Placebos ohne das Wissen des Probanden entscheidend beeinflusst.
Amanzio und Benedetti konnten in einer komplexen Versuchsreihe detailliert nachweisen, dass ein schmerzreduzierender Placeboeffekt sowohl durch eine kognitiv induzierte Erwartungshaltung als auch durch klassische Konditionierung ausgelöst werden kann.[23]
Die klassische Konditionierung besagt, dass dem natürlichen, meist angeborenen Reflex, ein neuer, bedingter Reflex hinzugefügt werden kann. Gegeben sei ein unkonditionierter Reiz (US), der als Reflex eine unkonditionierte Reaktion (UR) auslöst. Bietet man nun vor dem US mehrfach einen bislang neutralen Reiz (NS) dar, so wird Letzterer zum konditionierten Reiz (CS). Er löst nun ebenfalls eine Reflexreaktion (die konditionierte Reaktion CR) aus, die der unkonditionierten Reaktion UR meist sehr ähnlich ist.
Die Placebo-Konditionierung wurde im Tierversuch von Manfred Schedlowski an Ratten nachgewiesen. Hierzu erhielten herztransplantierte Ratten im ersten Schritt eine Süßstoff-Lösung (Saccharin) in Verbindung mit dem Medikament Cyclosporin A, welches immunsuppressiv wirkt. Eine Kontrollgruppe erhielt das Medikament in Verbindung mit normalem Wasser, welches keine konditionierende Wirkung auf die Ratten hat. Drei Tage nach der Operation wurde das Medikament abgesetzt. Die Wirkung hielt aber bei den konditionierten Ratten an.[24]
Nach einer neueren Untersuchung sind diese Ergebnisse auch auf den Menschen übertragbar. In dieser Untersuchung wurde das Saccharin der Ratten durch einen grünes Getränk mit Lavendelgeruch und Erdbeergeschmack ersetzt. Die Probanden bekamen in einem doppelblinden-placebokontrolliertem Studiendesign in der ersten Versuchswoche das Immunsuppressivum Cyclosporin A zusammen mit diesem Getränk. In der zweiten Versuchwoche wurde das Getränk zusammen mit Placebokapseln verabreicht. Es konnte ähnlich wie bei der spezifischen Cyclosporin A-Wirkung eine deutlich supprimierte Synthese der relevanten Zytokine, Interleukin-2 und Interferon, festgestellt werden.[25]
Placeboeffekt invasiver Maßnahmen
Nicht nur Medikamente, auch Operationen weisen einen Placeboeffekt auf. In einem Experiment in Houston in Texas wurden 120 Patienten mit Knie-Arthrose operiert, 60 erhielten oberflächliche Schnitte auf der Haut. Nach zwei Jahren waren 90 Prozent der Patienten beider Gruppen mit der Operation zufrieden. Einziger Unterschied war, dass die Nicht-Operierten weniger Schmerzen verspürten als ihre Kontrollgruppe.[26] Ob dies jedoch auf die aktive Wirkung einer Placebooperation hindeutet, oder vielmehr von negativen Auswirkungen durch die tatsächliche Operation ausgegangen werden muss, ist umstritten.
Ein ähnliches Experiment wurde auch in einer niederländischen Klinik durchgeführt. Bei 200 Patienten wurde eine Bauchspiegelung durchgeführt, per Los wurde dann entschieden, ob die Operation durchgeführt wird oder nicht. Danach wurden die Patienten ein Jahr lang beobachtet, beide Gruppen unterschieden sich kaum. Abermals muss jedoch bei kritischer Sicht der Einwand erhoben werden, dass es sich bei der Operation schlicht um eine wirkungslose Behandlung handeln könnte.
Prospektive, kontrollierte, verblindete klinische Studien gelten als der Goldstandard für evidenzbasierte Medizin und sind Grundlage der von wissenschaftlichen Fachgesellschaften erarbeiteten Leitlinien, welche die Versorgung von Patienten verbessern oder eine optimale Therapie sicherstellen sollen. Auch in der Chirurgie sollte durch klinische Studien belegt werden, ob ein neues Verfahren sicher und wirksam ist. Weltweit gebe es nur etwa zwanzig klinische Studien in der Chirurgie, bei denen Patienten aus Kontrollgruppen eine Scheinbehandlung erhalten hätten. Dafür, dass Placebo-kontrollierte Studien in der Chirurgie aussagekräftig sein können, gab es in der Vergangenheit Belege. Als klassisches Beispiel gilt eine Untersuchung aus dem Jahr 1959: Bei Patienten mit Angina pectoris nahmen Ärzte entweder linksseitig eine Ligatur der Brustwandarterie vor oder unterbanden den Blutfluss nur zum Schein. Die Symptome verbesserten sich bei 80 Prozent der Patienten, und zwar sowohl in der Verum-, wie in der Placebo-Gruppe. Auch die Effekte der transmyokardialen Laserrevaskularisation bei Patienten mit therapierefraktärer koronarer Ischämie gehen offenbar auf einen Placeboeffekt zurück, wie eine Studie aus dem Jahr 2000 ergeben hat.[27]
Ein gutes Beispiel für den Placeboeffekt ist Einsatz von Botulinumtoxin bei chronischen Spannungskopfschmerzen. Hier war die Responderrate 70 %, allerdings war die Responderrate für die Injektion von Botulinumtoxin in Nacken− und Kopfmuskeln genau so hoch wie bei der Injektion von isotonischer Kochsalzlösung. Auch dies ist wiederum ein Beispiel dafür, dass invasive Verfahren einen deutlich höheren Placeboeffekt haben, als medikamentöse Therapien.[28][29][30] Ähnliche Ergebnisse erbrachte auch eine von Relja et. al. durchgeführte Studie an 495 Migräne-Patienten.[31]
Effekt bei offener Placebo-Behandlung
Es bestehen Hinweise, dass auch eine offene Placebobehandlung (engl. open-label placebo therapy oder nonblind placebo therapy), die unter vollständiger Information der Patienten und bewusster Einwilligung des Patienten stattfindet, wirksam sein könnte.[32][33] In der 2010 veröffentlichten Studie wurden die 80 teilnehmenden, am Reizdarmsyndrom Erkrankten zuvor ausführlich über den Placebo-Effekt aufgeklärt, und es wurden mögliche positive Wirkungen von Placebos genannt. Als Hypothese für einen möglichen Wirkmechanismus nannte einer der Autoren der Studie, der Psychologe Irving Kirsch, eine Aktivierung der Selbstheilungskräfte des Patienten als Form der Selbstregulation.[34]
Placeboeffekte bei Tieren
Placebowirkungen sind auch bei Tieren bekannt und Forschungsgegenstand. Neben dem erwähnten Rattenexperiment zur Immunsuppression wurde Konditionierung in Bezug auf Morphine (bereits von Pawlow) und Insulin gezeigt. Ob ein Erwartungsmodell auf Tiere übertragbar ist, wurde bisher nicht empirisch untersucht. Konditionierung wie Erwartungen beruhen auf Erfahrung und Lernen. Somit sind diese beiden plausiblen Erklärungsansätze beschränkt auf wiederholte Behandlungen mit deutlicher Besserung. Dies ist jedoch in der Praxis – etwa bei alternativen Therapien wie Akupunktur, pflanzlichen Mitteln oder Homöopathie – selten der Fall. In randomisierten klinischen Studien kann Wiederholung kontrolliert werden. Somit ist es möglich, die Faktoren Konditionierung und Erwartung auszuschließen, und Tierstudien können aussagekräftiger als Studien mit menschlichen Probanden sein, um eventuelle spezifische Wirkungen alternativer Therapien von Placeboeffekten abzugrenzen. Außerdem kommt die Placebogruppe allgemein einer Situation ohne Behandlung, einer natürlichen Heilung nahe.
Während die Rolle von Opioiden (siehe unten) für Placebophänomene bei Tieren unbekannt ist, gibt es viele Studien zur Wirkung menschlichen Kontakts auf den physiologischen Zustand und die Gesundheit von Tieren. Insofern sie Sympathie und Empathie entwickeln können, kann möglicherweise die Haltung zum Therapeuten (beziehungsweise Besitzer) – wie beim Menschen nachgewiesen – das Ergebnis der Behandlung beeinflussen.[35][36]
Einfließende Effekte
Einige frühere Studien befassten sich mit äußerlichen Aspekten von Tabletten und Kapseln. Sie zeigten, dass die Wahrnehmung der Tabletten von deren Farbe beeinflusst wird.[37][38] Ebenso zeigten Studien, dass Kapseln wirksamer empfunden werden als Tabletten.[39] Auch die Anzahl der Tabletten beeinflusst die Wahrnehmung der Tablettenstärke.[40] Eine große Tablette wirkt besser als eine kleine. Zusätzlich können auch der Markenname und die Symbolik eine Rolle spielen.[41] Injektionen rufen einen stärkeren Placeboeffekt hervor als oral aufgenommene Medikamente Noch stärkere Placeboeffekte können mit Operationen erzielt werden.[42][43] In einer Arthroskopiestudie am Knie waren keine Unterschiede in der Schmerzverbesserung bei Patienten auszumachen, die wirklich operiert wurden und jenen, die nur Schnitte und Nähte bekamen.[44] Bei beiden Gruppen war jedoch eine signifikante Schmerzreduktion zu verzeichnen.
Die Erwartung an ein Medikament kann auch durch die persönliche Vorgeschichte mit Ärzten oder deren Interaktionsstil beeinflusst werden.[45][46] So teilte eine Studie Patienten mit gleichen Symptomen zufällig in verschiedene Gruppen. Einer Gruppe wurde eine solide Diagnose gegeben und baldige Besserung versprochen, der Patienten der anderen Gruppe wurde erzählt, man wisse nicht, welche Erkrankung sie hätten. Den Patienten der Gruppe, die eine spezifische Diagnose erhielt und der Besserung versprochen wurde, ging es tatsächlich öfter besser als den Patienten in der Gruppe ohne Diagnose.[47]
Werden, durch den Arzt, zu viele negative Details über ein Medikament bekannt, kann dies zu einem Noceboeffekt führen.[48]
Wirkmechanismen von Placeboeffekten
Die genauen Wirkmechanismen der Placeboeffekte sind noch nicht ausreichend erforscht. Viel zum Verständnis des Placebo-Phänomens konnte vor allem die neurobiologische Forschung der letzten 20 Jahren beitragen. Am häufigsten sind Placeboeffekte im Bereich Schmerz und Analgetika neurobiologisch untersucht worden. Auch ihre Wirkmechanismen in den Bereichen Immunsystem, Depressionen und Bewegungsstörungen (Parkinson-Krankheit) wurden erfolgreich erforscht.
Schmerz
Seit Jahrhunderten gehören Opioide zu den meist verwendeten Schmerzmitteln. Opioide binden an Opioid-Rezeptoren, die auf Zellen in verschiedenen Bereichen des Nervensystems vorkommen. Durch die Bindung wird die Schmerzwahrnehmung im Gehirn, z.T. auch die Schmerzweiterleitung zum Gehirn reduziert.
Opioide wirken als Schmerzmittel, weil sie eine ähnliche Struktur haben wie die körpereigenen Opioide, die Endorphine, und deshalb an die entsprechenden Rezeptoren binden. Bei der genaueren Erforschung der Endorphine ergab sich ein Problem: Moleküle, die sich im Hirn befinden, gelangen schwerer in den Blutkreislauf des Körpers (Blut-Hirn-Schranke). So konnte man auf normalem Wege – Blutabnahme und anschließende Analyse – keine korrekten Aussagen über den Endorphingehalt des Körpers machen. Eine Studie mit Naloxon, einem Stoff, der die Rezeptoren für Endorphine vorübergehend blockiert, schien zu zeigen, dass positive Placeboeffekte durch die Gabe von Naloxon aufgehoben werden können. Die Euphorie war entsprechend groß, man dachte, man habe die Wirkung des Placeboeffekts gefunden. Da Placebos aber nicht nur gegen Schmerzen helfen, ist dies nur eine unzureichende Erklärung. Später stellte sich zudem heraus, dass Naloxon Schmerzen lindern kann, ohne die Endorphine zu beeinflussen. Inzwischen hat man herausgefunden, dass es mindestens fünf verschiedene Arten von Endorphinen und drei verschiedene Endorphinrezeptorarten gibt.
Somit kann man mit dieser Theorie die Wirkung von Placebos nicht genau erklären. Es ist wahrscheinlich, dass bei der Schmerzlinderung durch Placebos die Endorphine beteiligt sind. Wie die anderen Wirkungen zustande kommen, ist weiterhin unklar.
In einer neueren Untersuchung (2009) konnte mittels Magnetresonanztomographie nachgewiesen werden, dass ein Scheinanalgetikum eine Hemmung der Aktivität von im Rückenmark befindlichen Neuronen, die auf die Verarbeitung von Schmerzreizen spezialisiert sind (Nozizeptoren) bewirken kann. Danach sei nachgewiesen, dass psychische Faktoren nicht nur die subjektive Schmerzempfindung verringern können, sondern auch messbare Effekte auf schmerzrelevante Neuronenaktivitäten schon auf der ersten Stufe der Schmerzverarbeitung im Zentralnervensystem bewirken können.[49]
Stress und Immunsystem
Der menschliche Körper reagiert sehr sensibel auf Stress. Häufig leiden Menschen, die starkem beruflichen Stress ausgesetzt sind, unter Kopfschmerzen oder Bluthochdruck.
Verschiedene Gehirnbereiche wie Amygdala (Mandelkern, zuständig für die emotionale Färbung von Erlebnissen) oder der Hippocampus (zuständig für die Überführung von Informationen von dem Kurz- in das Langzeitgedächtnis) reagieren auf emotionale Veränderungen. Sie sind mit der Großhirnrinde, dem Denk- und Schaltzentrum, des Gehirns verbunden.
Dieser ist wiederum mit dem Hypothalamus verbunden. Der Hypothalamus liegt außerhalb der Blut-Gehirn-Barriere (siehe oben). Somit kann er durch chemische Substanzen im Blutkreislauf beeinflusst werden. Wenn der Körper unter Stress steht, wird hier mehr corticotropinfreisetzendem Hormon (CRH) produziert. Das CRH bewegt sich zur naheliegenden Hypophyse, der Hirnanhangdrüse. Die Hypophyse produziert, angeregt vom CRH, das adrenocorticotrope Hormon (ACTH). Das ACTH gelangt über den Blutkreislauf zur Nebennierendrüse.
Im äußeren Bereich wird daraufhin das Steroid Kortisol gebildet. Kortisol erhöht unter anderem den Blutzuckerspiegel und reduziert die Immunreaktionen. In einem anderen Bereich werden mehr Katecholamine gebildet, die eine starke Wirkung auf das Herz und die Blutgefäße haben.
Kurzzeitig ist der menschliche Körper jetzt auf eine Gefahrensituation vorbereitet. Die Aufmerksamkeit ist erhöht, ebenso wie Puls und Blutdruck, während im Moment unnötige Funktionen wie Verdauung zurückgestellt werden. Der hohe Kortisolspiegel sorgt dafür, dass mehr Zucker im Blut zur schnellen Verbrennung bereitsteht. Langfristig ist dieser Zustand jedoch Ursache von Schmerzen im unteren Rückenbereich und von Spannungskopfschmerzen. Nun kann man bei Studien die Kortisol- und Katecholaminspiegel durch einfache Blutabnahmen messen, um zu sehen, ob sie sich durch die Einnahme von Placebo senken. Eine Reihe ältere Studien zeigt, dass Placebos am besten bei Menschen wirken, die mit ein wenig Angst zum Arzt kommen. Wenn die Kortisol- und Katecholaminspiegel als Stressindikator am Anfang sehr niedrig wären, könnte man keine Absenkung erreichen, und wenn sie sehr hoch wären, würde die Absenkung vielleicht nicht reichen, um klare Ergebnisse zu erhalten. Bei dieser Theorie geht man davon aus, dass der Placeboeffekt besonders durch die Senkung von Kortisol- und Katecholaminspiegel wirkt.
Ethische Aspekte bei der Gabe von Placebos
Bei der Behandlung von Krankheiten
Placebos dürfen bei der Behandlung von Beschwerden aus gesetzlichen und ethischen Gründen nur nach dem bewussten Einverständnis des Patienten eingesetzt werden. Andererseits zeigen Placebos nach einer vollständigen Information des Patienten nur noch geringe oder keine Effekte mehr. Die beiden widersprüchlichen Fakten führen immer wieder zu Diskussionen, inwieweit eine Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen und ethischen Grundsätze zum Wohle des Patienten vertretbar ist, zum Beispiel wenn befürchtet werden muss, dass eine verlängerte Schmerzmittelgabe zu Überdosierung führen könnte.[50] In Umfragen geben bis zu 50 % von befragten Ärzten an, zumindest manchmal unwirksame oder wenig wirksame Medikamente eingesetzt zu haben.[9]
In klinischen Studien
Die Generalversammlung des Weltärztebundes (World Medical Association, WMA) in Seoul 2008 fordert in einer revidierten Fassung der Deklaration von Helsinki aus ethischen Gründen einen eingeschränkteren Einsatz von Placebos in klinischen Studien. Der Einsatz von Placebos ist danach nur dann vertretbar, wenn es keine andere wirksame Behandlung gibt. Ausnahmen sind dann zugelassen, wenn es zwingende und wissenschaftlich schlüssige methodologische Gründe gibt und wenn schwere oder irreversible Schädigungen der Patienten ausgeschlossen sind. In einer zweiten Änderung der Deklaration fordert der Weltärztebund, dass die Patienten nicht nur über die Studienergebnisse informiert werden müssen, sondern auch die untersuchte Behandlung bekommen müssen, wenn sie gegenüber einer anderen Behandlung Vorteile bringt.[51]
Klinische Relevanz
Üblicherweise wird in Arzneimittelstudien Verum mit Placebo verglichen. Vergleicht man Placebo mit Therapieabstinenz, wird sozusagen das Placebo zum Verum. So gingen in einer 2001 im New England Journal of Medicine erschienenen Metaanalyse zwei Wissenschaftler der Universität Kopenhagen der Frage nach, ob es statistische Beweise für eine Überlegenheit einer Placebobehandlung gegenüber einer Nichtbehandlung gibt. Bei einer Überprüfung von insgesamt 114 randomisierten Studien fanden sie keinen Beleg dafür, dass Placebos eine höhere Wirkung als therapeutischer Nihilismus erzielen.[52] Eine drei Jahre später publizierte Untersuchung der gleichen Autoren, die weitere 52 randomisierte Studien einschloss, bestätigte diese Auffassung.[53]
Die Auffassung der Autoren wurden aus verschiedenen Gründen kritisiert. In die Metaanalysen wurden sehr unterschiedliche Studien einbezogen. Unterscheidet man die Studien in solche, in denen periphere körperliche Parameter untersucht wurden (wie Bluthochdruck, Asthma, Hyperplasie, Analfissur, Bronchitis) und solche, in denen bio-chemische Parameter untersucht wurden, zeigt sich, dass bei den körperlichen Parametern signifikante Besserungen durch Placeboeffekte gemessen werden konnten, dagegen nicht bei den bio-chemischen Parametern.[54] Bei den klinischen Untersuchungen wirken Placebos nicht so stark, weil die behandelten Personen nicht wissen, ob sie eine wirkliche Behandlung oder eine vorgetäuschte Behandlung bekommen. In Studien, in denen die Patienten überzeugt sind, die wirkliche Behandlung zu bekommen (und nicht nur vielleicht) wirkt der Placeboeffekt stärker.[55]
In einer dritten Metastudie stellten Hróbjartsson und Gøtzsche 2010 − allerdings sehr variable bzw. kleine − lindernde Auswirkungen der Placebogabe bei Schmerzen und Übelkeit fest, mit größerer Unsicherheit behaftet auch bei Phobie und Asthma. Keine statistisch signifikante Wirkung wurde bei folgenden besser beobachtbaren Symptomen bzw. Krankheiten gefunden: Rauchen, Demenz, Depression, Adipositas, Bluthochdruck, Schlaflosigkeit und bei Angstzuständen. Insgesamt wurden außerdem größere Effekte berichtet bei kleinen Studien, solchen, die gezielt Placeboeffekte untersuchten und bei Unwissen der Patienten über eine mögliche Placebogabe.[56]
Britische Rheumatologen haben 198 placebokontrollierte Studien mit Arthrosepatienten analysiert. 14 dieser Studien hatten eine unbehandelte Kontrollgruppe. Dies erlaubte einen metaanalytischen Vergleich zwischen Placebo- und nicht behandelten Patienten, was wiederum Aussagen über die Effektgröße von Placebo ermöglichte.[57] Die Analysen zeigen, dass Placebo nicht nur die Schmerzen reduziert, sondern auch die Funktion verbessert und die gemessene Gelenksteifigkeit verringert. Die Effekte sind sowohl statistisch signifikant wie auch klinisch relevant. Der Placeboeffekt ist besonders dann deutlich, wenn die Placebotherapie nicht oral verabreicht wurde, sondern Injektionen oder Akupunkturnadeln beinhaltet.[58] In einer neueren britischen Studie zur Wirksamkeit homöopathischer Behandlung bei rheumatoider Arthritis konnte nachgewiesen werden, dass allein die homöopathische Konsultation eine klinisch bedeutsame Heilwirkung hatte, nicht jedoch das homöopathische Mittel gegenüber dem Placebo.[59][60]
Placeboeffekte sind in der Analgesie offenbar umso ausgeprägter, je mehr die schmerzlindernde Wirkung einer Substanz bekannt wird.[61]
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