Rizin


Ricin (Ricinus communis)

Ricin (Ricinus communis)

Bändermodell des Rizins nach PDB 2aaI. In blau ist die A-Kette, in orange die B-Kette dargestellt.
Vorhandene Strukturdaten: 2AAI
Masse/Länge Primärstruktur 529 = 267+262 Aminosäuren (A+B-Kette)
Sekundär- bis Quartärstruktur Heterodimer A+B
Präkursor (576 aa)
Bezeichner
Externe IDs UniProtP02879 CAS-Nummer: 113756-12-0
Enzymklassifikation
EC, Kategorie 3.2.2.22  N-Glycosylase
Reaktionsart Hydrolyse einer N-Glycosylbindung
Substrat rRNA (28S) + H2O
Produkte defekte rRNA (28S)
Rizinussamen

Rizin oder Ricin, ein äußerst toxisches Lektin aus den Samenschalen der Rizinusstaude (Ricinus communis), Familie der Wolfsmilchgewächse, ist ein starker Inhibitor der eukaryotischen Proteinbiosynthese. Rizin ist einer der giftigsten Eiweißstoffe, die in der Natur vorkommen. Gelangt das Gift in den menschlichen Organismus, so bringt es die kontaminierten Zellen zum Absterben. Für eine tödliche Vergiftung eines Erwachsenen sollen 0,25 Milligramm isoliertes Rizin oder zwei bis vier der gemusterten (ornamentierten) Samenkörner genügen, bei Kindern entsprechend weniger. Hier kann, je nach Alter und Konstitution, schon ein halbes Samenkorn tödlich wirken. Allerdings wird auch berichtet, dass selbst nach Einnahme von 40 bis 60 Samen eine Überlebenschance besteht. Dabei kommt es darauf an, zu welchem Zeitpunkt das Erbrechen einsetzt. Rizin ist wasserlöslich, jedoch nicht fettlöslich.

Rizin ist in der Kriegswaffenliste des deutschen Kriegswaffenkontrollgesetzes aufgeführt.

Vergiftungsfolgen

Da Rizin meist versehentlich durch den Verzehr von Rizinus-Samen aufgenommen wird, werden vor allem Zellen des Verdauungstraktes in Mitleidenschaft gezogen (Magen, Darm, Leber, Nieren). Letztlich führt eine Vergiftung mit Rizin auch zu einer Zerstörung der roten Blutkörperchen. Nach der Aufnahme einer tödlichen Dosis tritt der Tod nach 36 bis 72 Stunden ein. Nach einer Latenzzeit von mehreren Stunden bis Tagen können folgende Symptome auftreten: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schwäche, Tachykardie, Abdominalschmerzen und akuter Flüssigkeitsverlust. In schweren Fällen kommen Mydriasis, Krämpfe an Händen und Beinen, Fieber sowie die Symptome einer Lebernekrose und eines akuten Nierenversagens dazu. Der Tod erfolgt durch Lähmung medullärer Zentren, besonders des Atemzentrums.

Das Gift kann auch inhaliert (als Aerosol eingeatmet) oder injiziert werden. Die Symptome ändern sich dementsprechend: Lungenödem und Atemstillstand beziehungsweise schwere Lähmungen sind die Folge.

Symptome

Etwa vier bis acht Stunden nach dem Verzehr der Samen:

  • Starke Schleimhautreizung (unter anderem Brennen in Mund und Rachen)
  • nach Resorption Änderung der Syntheserate von essentiellen Enzymen
  • Schädigung von Niere, Leber, Magen und Darm
  • hohes Fieber
  • Übelkeit
  • Erbrechen bis blutiges Erbrechen
  • blutiger Durchfall
  • Kolik
  • Kreislaufkollaps, Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall
  • Leukozytose (charakteristisch)

Der Tod tritt üblicherweise durch Kreislaufversagen etwa zwei Tage nach der Vergiftung ein. Ein agglutiniertes Protein führt zum Verklumpen der roten Blutkörperchen. Es ist kein Gegengift bekannt.

Erste Hilfe

Gegen eine Vergiftung mit Rizin gibt es zurzeit noch kein Antidot. In der Entwicklung befinden sich Substanzen, von denen eine bis zu 49 Prozent der dem tödlichen Gift ausgesetzten Mäuse schützte.[1][2] Die Substanz (Retro-2) muss allerdings vor der Aufnahme des Giftes verabreicht werden und kann daher nicht als Antidot nach einer Vergiftung eingesetzt werden.[3]

Wirkungsweise

Überlagerung der Strukturen von Rizin und Abrin. In der Abbildung ist oben die B-, unten die A-Kette zu sehen.

Rizin gehört zur Gruppe der Ribosomeninaktivierenden Proteine. Es besteht aus zwei verschiedenen Polypeptiden, der A- und der B-Kette, die durch Sulfidbrücken miteinander verbunden sind. Dabei dient die B-Kette zur Bindung an die Zelloberfläche und unterstützt dadurch das Eindringen der A-Kette in das Zytoplasma.

Die in das Zytoplasma eingedrungene A-Kette, oder Ricin A ist eine Glycosidase, die Ribosomen inaktiviert. Die genaue Wirkung besteht in der Abspaltung des Adenin 4324 der 28S-RNA der Ribosomen. Dieses Adenin ist für die Bindung der Elongationsfaktoren notwendig. Diese Depurinierung bewirkt daher zum einen, dass die Bildung des Initiationskomplexes während der Translationsinitiation beeinträchtigt wird – es erfolgt eine starke Verlangsamung dieses Vorgangs der Translation auf ein Sechstel der sonst üblichen Geschwindigkeit. Zum anderen wird der Translokationsschritt während der Elongation unterbunden.

Wegen ihrer zytostatischen Eigenschaften, also einer wachstumshemmenden Wirkung auf Zellen, werden Toxine vom Typ des Rizins inzwischen vermehrt auf ihre Eignung als Therapeutika bei Tumoren untersucht.[4]

Ein Team um Ullrich Elling am IMBA Wien identifizierte 2011 – mittels einer jungen Screening Methode an haploiden embryonalen Maus-Stammzellen – das Eiweißmolekül Gpr107 als Ansatzpunkt für die toxische Wirkung des Rizins. Daher sind Zellen ohne Gpr107 immun gegen Rizin und die Entwicklung eines Gegengifts, ein kleines Molekül, das das Protein Gpr107 blockiert, erscheint möglich.[5]

Analytik

Die zuverlässige Analytik von Rizin in unterschiedlichen Matrizes setzt eine adäquate Probenvorbereitung voraus und kann sowohl durch spezifische Immunassays als auch durch den Einsatz der HPLC-Massenspektrometrie-Kopplung erfolgen.[6] Eine weitere ergänzende Verfahrensweise in der Analytik ist der zuverlässige Nachweis von Ricinin als Biomarker durch die Gaschromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung.[7][8]

Gebrauch als Biowaffe

Rizin wurde von der britischen Armee aufgrund seiner extremen Toxizität auf eine Verwendbarkeit als biologische Waffe geprüft, sein Einsatz jedoch verworfen und die entsprechenden Vorräte vernichtet, insbesondere, da es sich nur schwer als Aerosol verbreiten lässt und eher für Anschläge auf Einzelpersonen geeignet ist. Es fällt sowohl unter die Biowaffenkonvention als auch unter die Chemiewaffenkonvention.

Inspektoren der UNSCOM fanden nach dem Golfkrieg im Irak zehn Liter konzentrierte Rizinlösung zum Abfüllen in 155-mm-Artilleriegeschosse.

Bekanntheit erlangte der Mordanschlag mit Rizin als „Regenschirmattentat“ auf den bulgarischen Schriftsteller und Dissidenten Georgi Markow in London 1978.

1991 wurden in Minnesota mehrere Mitglieder der rechtsextremistischen Gruppe Patriot's Council festgenommen, weil sie für einen Anschlag auf Bundespolizisten eine Menge an Rizin hergestellt hatten, die für die Tötung von über 100 Menschen ausreichend gewesen wäre. Vier von ihnen wurden gemäß dem „Biological Weapons Anti‑Terrorism Act“ von 1989 für schuldig befunden, sie waren die ersten nach diesem Gesetz Verurteilten überhaupt. 1995 wurde an der kanadisch-amerikanischen Grenze ein ebenfalls dem rechtsextremistischen Lager zugerechneter Mann beim versuchten Schmuggel von 130 Gramm pulverisiertem Rizin festgenommen.

Die Londoner Times berichtete am 16. November 2001, dass in verlassenen al-Qaida-Häusern in Kabul Herstellungsanleitungen für Rizin gefunden wurden, allerdings kein Rizin selbst. Im August 2002 gaben US-amerikanische Behörden bekannt, dass die islamistische Terrororganisation Ansar al-Islam Versuche mit Rizin und mit anderen chemischen und biologischen Kampfstoffen im Nord-Irak angestellt habe.

Am 9. Januar 2003 meldete die dpa, dass in London kleinere Mengen Rizin sowie Geräte zu seiner Herstellung gefunden wurden. In diesem Zusammenhang wurden sechs Algerier festgenommen.[9] Im April 2005 wurden bis auf einen alle Beteiligten freigesprochen. Ein Angeklagter wurde wegen Mordes an einem Polizisten zu lebenslanger Haft verurteilt, den er während einer Hausdurchsuchung erstochen hatte. Die Ermittlungsbehörden gaben in dem Verfahren entgegen früheren Meldungen an, kein Rizin, sondern lediglich amateurhafte Anweisungen zu seiner Herstellung gefunden zu haben.[10]

Die Süddeutsche Zeitung berichtete nach Angaben der dpa am 3. März 2008 von einem Rizinfund in einem Hotelzimmer in Las Vegas. Die dortige Polizei erklärte, eine schwer vergiftete Person sei in ein Krankenhaus eingeliefert worden und schwebe in Lebensgefahr. Trotz des Fundes von Waffen und „anarchistischer Literatur“ glaube man nicht an einen terroristischen Hintergrund.

Am 12. August 2011 berichtete die New York Times über geheimdienstliche Erkenntnisse bezüglich des Versuchs zur Herstellung von Rizin durch den regionalen Arm von Al-Qaida im Jemen.[11] Demnach sei die US-Regierung besorgt, dass dort Rizin für Anschläge gegen die USA hergestellt werden könne.

Weblinks

Commons: Ricin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

  • Lutz Roth, Max Daunderer, Kurt Kormann: Giftpflanzen – Pflanzengifte. Ecomed, Landsberg/Lech 1994, ISBN 3-933203-31-7.

Einzelnachweise

  1. Rizin-Gegenmittel gesucht: Neuer Schutz vor dem Supergift. In: ntv.de. 20. April 2010.
  2. Ludger Johannes u. a.: Inhibition of Retrograde Transport Protects Mice from Lethal Ricin Challenge. In: Cell 141, Nr. 2, 2010, S. 231–242, .
  3. Matthew N. J. Seaman, Andrew A. Peden: Ricin Toxin Hits a Retrograde Roadblock. In: Cell. 141, Nr. 2, 2010, S. 222–224, doi:10.1016/j.cell.2010.03.044.
  4. M. R. Hartley, J. M. Lord: Cytotoxic ribosome-inactivating lectins from plants. In: Biochimica et Biophysica Acta. Band 1701, Nr. 1, 2004, S. 1–14, doi:10.1016/j.bbapap.2004.06.004.
  5. http://science.orf.at/stories/1691168/ So tötet die Biowaffe Rizin, science.orf.at vom 1. Dezember 2011, nach: Ullrich Elling et al., Forward and Reverse Genetics through Derivation of Haploid Mouse Embryonic Stem Cells, in: Cell Stem Cell
  6. F. Becher, E. Duriez, H. Volland, J. C. Tabet, E. Ezan: Detection of functional ricin by immunoaffinity and liquid chromatography-tandem mass spectrometry. In: Analytical Chemistry. Band 79, Nr. 2, 2007, S. 659–665, doi:10.1021/ac061498b.
  7. H.-U. Melchert, E. Pabel: Reliable identification and quantification of trichothecenes and other mycotoxins by electron impact and chemical ionization-gas chromatography-mass spectrometry, using an ion-trap system in the multiple mass spectrometry mode. Candidate reference method for complex matrices. In: Journal of Chromatography A. Band 1065, Nr. 1–2, 2004, S. 195–199, doi:10.1016/j.chroma.2004.08.093.
  8. Vera Coopman, Marc de Leeuw, Jan Cordonnier, Werner Jacobs: Suicidal death after injection of a castor bean extract (Ricinus communis L.). In: Forensic Science International. Band 189, Nr. 1, 2009, S. e13–e20, doi:10.1016/j.forsciint.2009.04.019.
  9. Biowaffen in London: Auch al-Qaida experimentierte mit Ricin. In: Spiegel. 8. Januar 2003.
  10. en:Wood Green ricin plot
  11. http://www.nytimes.com/2011/08/13/world/middleeast/13terror.html?_r=2&hp

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