Tierpsychologie


Der Begriff Tierpsychologie hat im 20. Jahrhundert einen äußerst wechselhaften Wertewandel durchlebt. Im deutschen Sprachraum erlangte er Ende des 19. Jahrhunderts in bewusst gesetzter Analogie zur „Menschen-Psychologie“ zeitweilige wissenschaftliche Bedeutung, als Forscher sich verstärkt darum bemühten, das innere Erleben von Tieren zu analysieren, zu verstehen und darauf praktisch einzugehen. In den späten 1930er-Jahren war die Tierpsychologie in bibliographischen Gliederungen des Universitätsfaches Psychologie in Deutschland als eigenes Gebiet enthalten und in der Nähe der Entwicklungsbiologie angesiedelt. Seit Jahrzehnten jedoch hat die „Tierpsychologie“ keine Verbindungen mehr mit der Human-Psychologie, und heute wird der Begriff von Ethologen und Psychologen gleichermaßen als irreführend verstanden.

Historische Entwicklung

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren es Biologen wie Oskar und Katharina Heinroth, Otto Koehler, Nikolaas Tinbergen und Konrad Lorenz, die ihr Arbeitsgebiet anfangs als Tierpsychologie bezeichneten, später aber auch als Ethologie oder als vergleichende Verhaltensforschung.

Die Entwicklung der „Tierpsychologie“ zu einem eigenständigen Fach an den Hochschulen wurde in den 1940er-Jahren ganz wesentlich durch das Oberkommando des Heeres gefördert, dem 1941 beispielsweise Werner Fischel seine Dozentur für Tierpsychologie an der Universität Leipzig zu verdanken hatte; es war dies die erste derartige Planstelle in Deutschland. Schon 1936 hatten sich Vertreter des Heereshundewesens beim Reichskriegsministerium und andere staatliche Stellen an der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Tierpsychologie beteiligt. Hintergrund dieser Förderung war auch, dass damals viele Psychologen bei Kindern, „Primitiven“, „Geisteskranken“ und Tieren eine gemeinsame, gleichsam ursprüngliche seelische Verfassung des Menschen vermuteten. Außerdem darf nicht übersehen werden, dass auch im Zweiten Weltkrieg noch auf deutscher Seite hunderte Pferde in Kavallerie-Abteilungen eingesetzt wurden, weshalb der spätere Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek Gelegenheit hatte, inmitten des Kriegsgeschehens als Veterinär bei der Wehrmacht Studien zur Farbwahrnehmung und zum Heimfindevermögen von Militärpferden anzufertigen und zu publizieren.

Nach seiner Rückkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft vermied Konrad Lorenz ab 1949 ganz bewusst das Etikett Tierpsychologie für die vergleichende Verhaltensforschung, da diese Bezeichnung inzwischen in den Geruch einer bloßen Liebhaberei gekommen und überdies durch seine Nähe zur nationalsozialistischen Rassenlehre politisch belastet war. Stattdessen benutzten er und seine Kollegen nun ausschließlich den Begriff Ethologie, der „wissenschaftlicher“ klang, oder sogar die Bezeichnung Verhaltensphysiologie (obwohl zumindest Lorenz nie physiologische Forschung betrieb); bereits 1902 war der Begriff Ethologie durch William Morton Wheeler als ethology in den englischen Sprachraum eingeführt worden und hatte sich allmählich international durchgesetzt. Die 1937 gegründete Zeitschrift für Tierpsychologie, neben Behaviour und Animal Behaviour jahrzehntelang die bedeutendste verhaltensbiologische Fachpublikation, wurde erst 1985 in „Ethology“ umbenannt.

In dem Maße, in dem die aus der traditionellen vergleichenden Verhaltensforschung hervorgegangene Instinkttheorie aufgrund von neueren behavioristischen und verhaltensökologischen sowie neurobiologischen Befunden als überholt angesehen wurde, benutzten viele Verhaltensforscher seit den 1980er Jahren dann auch den Begriff Ethologie immer weniger und ersetzten ihn durch die als neutraler empfundene Bezeichnung Verhaltensbiologie.

Aus Sicht der Humanpsychologie ist der Begriff Tierpsychologie bestenfalls fragwürdig. Psychologie ist die Wissenschaft vom Erleben, Verhalten und Bewusstsein des Menschen (seiner Psyche). Da bei Tieren lediglich das Verhalten beobachtet werden kann, sind die Bezeichnungen Ethologie und Verhaltensbiologie präziser.

Gleichwohl erlebt die Bezeichnung Tierpsychologie seit einigen Jahren einen Wiederaufschwung: Der Mangel an verhaltenskundlicher Ausbildung während des Studiums der Tiermedizin führt seit den 1990er Jahren zu einer allmählichen Professionalisierung der Arbeit von „Experten für verhaltensauffällige Haustiere“.

Ausbildung und Berufsbezeichnung

Tierpsychologe ist derzeit keine geschützte Berufsbezeichnung: Jedermann kann sich so nennen, eine Ausbildung ist nicht vorgeschrieben. Entsprechend ist die Qualität der angebotenen Dienstleistungen sehr variabel. Die Kenntnis der absolvierten Ausbildung eines Tierpsychologen erlaubt Rückschlüsse auf seine Qualifikation.

Die Berufsbezeichnung Psychologe und der akademische Grad eines Diplom-Psychologen sind in Deutschland gesetzlich geschützt und dürfen dort nur von Absolventen des universitären Studienganges Psychologie geführt werden. Die Bezeichnung Diplom-Tierpsychologe darf in Deutschland aufgrund der Verwechslung mit einem akademischen Grad nicht geführt werden, da die Abschlussbezeichnung Diplom aufgrund von Landesgesetzen den Hochschulen vorbehalten ist.[1][2]

Für Tierärzte gibt es die Möglichkeit einer international anerkannten Zusatzausbildung als Spezialist für Verhaltensmedizin. Dazu wird der Titel Diplomate of the European College für den Bereich Veterinary Behavioral Medicine – Companion Animals (DECVBM-CA) vergeben.

Im Unterschied dazu ist der Begriff „Tierpsychologe“ in Deutschland nicht geschützt und wird daher frei verwendet, insbesondere von Trainern in Hundeschulen. Es existiert kein staatlich anerkanntes Studium der Tierpsychologie. Angebote als Lehrgänge oder Fernlehrgänge sind rein privater Art und beinhalten keine staatlichen Abschlüsse.

In der Regel sind es selbständige Dienstleister, die sich Tierpsychologe nennen und Hilfestellungen für Hunde-, Katzen- und Pferdehalter geben, wenn deren Tiere unangepasstes Verhalten zeigen. Durch genaues Analysieren des Verhaltens von Tier zu Tier bzw. von Mensch zu Tier und Tier zu Mensch können manche von ihnen aufzeigen, durch welche Änderungen bei Mensch und Tier die Verhaltensauffälligkeiten der Tiere korrigiert werden können. Ihre erfolgreiche Umsetzung in die verhaltenskundliche Praxis setzt gleichermaßen eine genaue Kenntnis des Instinktverhaltens der Tiere voraus wie der Mechanismen der Verhaltensformung durch Lernen (Konditionierung).

Allerdings tummeln sich unter den Anbietern von entsprechenden Dienstleistungen auch viele selbsternannte „alternative Tierheiler“, die als „Tierheilpraktiker“, „Tierhomöopathen“, „Tiertherapeuten“ und auch als „Tierpsychologen“ praktizieren, ohne eine fundierte verhaltensbiologische Ausbildung nachweisen zu können.

Einzelnachweise

  1. Urteil des Landgerichts Bochum vom 7. November 2006, Az. 15 O 110/06 und Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. Juni 2007, Az. 4 U 196/06
  2. Ein Beispiel unter den vergleichbaren Hochschulgesetzen der Bundesländer ist das Berliner Hochschulgesetz: „Mit dem Begriff 'Diplom', 'Master', 'Bachelor' oder ähnlichem ist ein Studienabschluss verbunden, der nach Absolvierung eines Studiums an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Universität, Hochschule oder Fachhochschule durch Prüfung erworben wurde. Zur Verleihung eines solchen Hochschulgrades ist nach § 34 BerlHG nur eine staatliche oder staatlich anerkannte Hochschule berechtigt. 'Diplomzeugnisse' die von Instituten verliehen werden, die nicht zur Verleihung des Grades berechtigt sind, berechtigen nicht zur Führung des entsprechenden Titels.“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft - Berlin.de: Anerkennung von Studienabschlüssen. Häufig gestellte Fragen (FAQ).)