Vielzeller
Vielzeller oder Mehrzeller (Metabionta) sind Lebewesen, die aus mehreren Zellen aufgebaut sind. Echte Mehr- und Vielzeller unterscheiden sich dabei von Kolonien einzelliger Lebewesen durch einen gemeinsamen Stoffwechsel des Zellverbands, eine mehr oder weniger ausgeprägte Aufgabenteilung der Zellen sowie häufig die Ausbildung von Geweben. Eine Grenze zwischen Mehrzellern und Vielzellern ist nicht genau definiert.
Mehrzellige Lebewesen umfassen die Mehrzahl der Tiere (Animalia), Pflanzen (Plantae) und Pilze (Fungi). Auch bei Algen und Bakterien (Bacteria) gibt es Mehrzeller.
Übergänge zwischen Ein- und Mehrzelligkeit
Neben den eindeutig zuordenbaren Ein- und Mehrzellern gibt es auch heute Übergangsformen. Teilweise ist dabei ein Übergang von Ein- zu Mehrzelligkeit in Abhängigkeit von Umweltbedingungen zu beobachten:
- Verschiedene Bakterien, insbesondere innerhalb der Cyanobakterien bilden komplexe Kolonien, die eine gemeinsame Schleimhülle und spezialisierte Zellen (z.B. Sporen oder Nährstoffe speichernde Zellen) bilden können.
- Verschiedene Algen bilden Kolonien mit einer Tendenz zur Zelldifferenzierung
- Bei Schleimpilzen finden sich einzellige, mehrkernige und mehrzellige Formen, die teilweise abhängig von Umweltbedingungen ineinander übergehen können.
- Bei einigen Pilzarten finden sich sowohl einzellige Hefe- als auch mehrzellige Hyphenphasen.
Evolution der Mehrzelligkeit
Die Mehrzelligkeit ist im Laufe der Evolution wahrscheinlich mehrmals unabhängig entstanden. Die ältesten fossil bekannten mehrzelligen Lebewesen traten vor etwa 2 bis 3 Milliarden Jahren im Proterozoikum auf. Es handelte sich dabei um trichombildende Mikroorganismen, von denen man annimmt, dass es Cyanobakterien waren, und um einfache Grünalgen. Komplexere Mehrzeller treten ab einem Alter von etwa 600 Millionen Jahren im Neoproterozoikum mit der Ediacara-Fauna und den Vielzelligen Tieren (Metazoa) erstmals auf. Eine Modellanalyse zur Entstehung arbeitsteilig differenzierter multizellulärer Organismen diskutiert R. A. Jörres (2010) [1]
Fortpflanzung und Tod
Während sich einzellige Lebewesen durch einfache Zellteilung vermehren, weisen die meisten Vielzeller komplexere Fortpflanzungsstrategien auf. Insbesondere finden sich häufig neben den – den funktionellen Organismus aufbauenden – Körperzellen (somatische Zellen), spezialisierte generative Zellen, welche dem Hervorbringen der nächsten Generation dienen. Diese können sexuell (Geschlechtszellen) oder asexuell gebildet werden.
August Weismann stellte 1881 die Hypothese auf, dass Altern und Sterblichkeit erst im Laufe der Evolution vielzelliger Lebewesen auftraten. Beim Einzeller dient die individuelle Zelle gleichzeitig als generative Zelle, die durch die Teilung die Nachfolgegeneration hervorbringt, sodass der ganze einzellige Organismus potentiell unsterblich ist. Beim Vielzeller beschränkt sich diese potentielle Unsterblichkeit auf die generativen Zellen, während der aus den somatischen Zellen aufgebaute, das Individuum definierende, Körper sterblich ist.
Biochemische und molekulare Voraussetzungen der Vielzelligkeit
Die Voraussetzungen für Vielzelligkeit - sie spiegeln sich bis hinab auf die molekulare Ebene - ergeben sich aus der Lösung spezifischer Probleme. So ist das Problem der Kommunikation der miteinander verbundener Zell- bzw. Gewebeverbände zu lösen, die direkte Zell-Zell Kommunikation, die Zelldifferenzierung, die verschiedensten Zelltypen müssen koordiniert und aus undifferenzierten Vorläuferzellen gebildet werden. Die Zelladhäsion[2], die Zellen der einzelnen Gewebe und Organe des Organismus müssen, damit sie eine Gestalt ausbilden können, auf bestimmte Weise aneinander haften.
Interzelluläre Erkennungsprozesse[3] gehören zu den grundlegenden Vorgängen in der Entwicklung von multizellulären Organismen. Sie haben aber auch beim Erhalt von Geweben und bei Regenerationsprozessen in adulten Organismen eine große Bedeutung. Bestandteil dieser morphoregulatorischen Vorgänge ist die membranabhängige Umsetzung der interzellulären Erkennung in Signalprozesse. So werden die Zellwanderungen, etwa von Somiten in die Extremitätenanlagen, die Differenzierung von Zellen, etwa die Polarisierung von Epithelzellen, und im spezifischen Zellkontext, auch das Schicksal von Zellen (Stammzellentwicklung) beeinflusst.
Siehe auch
Quellen
- Neil A. Campbell: Biologie. Spektrum Lehrbuch, 6. Auflage, herausgegeben von J. Markl, Spektrum Verlag, Heidelberg, Berlin 2003, ISBN 3-8274-1352-4.
- Peter H. Raven, Ray F. Evert, Susan E. Eichhorn: Biologie der Pflanzen. Walter de Gruyter, Berlin, New York 2000, ISBN 3-11-015462-5.
- W. A. Müller, M. Hassel: Entwicklungsbiologie, Springer, Heidelberg 1999, ISBN 3-540-65867-X.
- Minelli, Alessandro: Forms of Becoming: The Evolutionary Biology of Development. Princeton University Press, 2009, ISBN 0-691-13568-1.
- Minelli, Alessandro: Perspectives in Animal Phylogeny and Evolution. Oxford Univ Press, 2008, ISBN 0-19-856621-2.
Einzelnachweise
- ↑ R. A. Jörres: Entstehung arbeitsteilig differenzierter multizellulärer Organismen durch Selektion: Eine Modellanalyse. 2010, [1]
- ↑ Sebé-Pedrós, Arnau; Ruiz-Trillo, Iñaki: Integrin-mediated adhesion complex. Cooption of signaling systems at the dawn of Metazoa. Communicative & Integrative Biology 3:5, 475-477; September/October 2010 DOI: 10.4161/cib.3.5.12603
- ↑ Marks,Friedrich; Klingmüller, Ursula; Müller-Decker, Karin: Cellular Signal Processing: An Introduction to the Molecular Mechanisms of Signal Transduction. Taylor & Francis, New York 2008, pp. 117, ISBN 0-8153-4215-2