Virostatikum
Ein Virostatikum (oder Virustatikum, vom lat. virus und griech. στάσις „Stillstand“) ist ein Stoff, der die Vermehrung von Viren hemmt. Virostatika werden vielfach als Arzneistoffe in der Behandlung von durch Viren verursachten Infektionskrankheiten verwendet.
Viren haben keinen eigenen Stoffwechsel, was eine kausale Behandlung von viralen Infektionskrankheiten erschwert. Oft ist keine Behandlung notwendig, da Virusinfektionen häufig spontan ausheilen. Virostatika werden vor allem für solche Infektionen eingesetzt, bei denen das Immunsystem des Patienten alleine nicht zur Eradikation des Virus in der Lage ist. Ein Einsatz in der Breite ist derzeit unter Berücksichtigung des Nebenwirkungspotentiales und des Bestrebens, Resistenzbildung zu vermeiden, nicht vorgesehen. Die arzneilich eingesetzten Stoffe gegen Viren haben ausschließlich virostatische Wirkung. Das bedeutet, dass sie lediglich die Vermehrung der Viren durch verschiedene Wirkmechanismen verhindern. Viruzide - also "Virus abtötende" Arzneimittel gibt es derzeit nicht.
Ein Beispiel für den sehr erfolgreichen Einsatz von Virostatika ist die moderne HIV-Therapie, die in der Lage ist, durch gezielte Wirkstoffkombinationen und ein strukturiertes Nebenwirkungsmanagement den Patienten über viele Jahre unter medizinischer Behandlung ein nahezu normales Leben zu ermöglichen. Die Überlebenszeit wird im Vergleich zu untherapierten Patienten oder Patienten mit "klassischer" HIV-Therapie deutlich verlängert.
Einteilung der antiviralen Mittel
Virostatika haben unterschiedliche Angriffspunkte in den Vermehrungsstadien eines Virus:
- Verhinderung des Andockens der Viruspartikel an der Zellmembran des Wirtsorganismus
- Verhinderung des Eindringens in die Wirtszelle, Verhinderung des uncoating (Freisetzung von Kapsid und Genom aus der Virushülle)
- Störung/Hemmung der Synthese viraler Nukleinsäuren und Proteine (z.B. Kapsidproteine)
- Hemmung der Assemblierung (Zusammenfügung der synthetisierten Virusbestandteile zu neuen Viren)
- Unterdrückung der Freisetzung der neu gebildeten Viren aus der Wirtszelle
Stadium für den virostatischen Angriff | Wirkstoffgruppe | Virostatisch wirksame Stoffe (Ziel-Virus) |
Andocken (Adhäsion) | Entry-Inhibitoren | Ancriviroc, Aplaviroc, Cenicriviroc, Enfuvirtid, Maraviroc, Vicriviroc (HIV) |
Eindringen, Uncoating | Penetrations-Inhibitoren | Amantadin, Rimantadin (Influenza A)
Pleconaril (Picornaviren) |
Nukleinsäuresynthese, Proteinsynthese | DNA-Polymerase-Inhibitoren |
Aciclovir, Brivudin, Famciclovir, Penciclovir, Sorivudin, Valaciclovir (HSV, VZV) Cidofovir, Ganciclovir, Valganciclovir (CMV)
Foscarnet (HSV, CMV) |
DNA/RNA-Polymerase-Inhibitoren |
Ribavirin, Taribavirin (HRSV, HCV und andere) | |
Reverse Transkriptase-Inhibitoren |
Abacavir, Didanosin, Elvucitabin, Fosalvudintidoxil, Stavudin, Zalcitabin, Zidovudin (HIV) Lamivudin, Lagociclovir, Tenofovir (HIV, HBV) Adefovir, Alamifovir, Clevudin, Entecavir, Pradefovir, Telbivudin (HBV)
Delavirdin, Efavirenz, Emivirin, Etravirin, Lersivirin, Nevirapin, Rilpivirin (HIV) | |
Inosinmonophosphat-Dehydrogenase-Hemmer | Merimepodib (HCV) | |
Proteaseinhibitoren |
Amprenavir, Atazanavir, Brecanavir, Darunavir, Fosamprenavir, Indinavir, Lopinavir, Mozenavir, Nelfinavir, Ritonavir, Saquinavir, Tipranavir
Asunaprevir, Balapiravir, Boceprevir, Ciluprevir, Danoprevir, Daclatasvir, Narlaprevir, Telaprevir, Simeprevir, Vaniprevir
Rupintrivir | |
Integrase-Inhibitoren | Elvitegravir, Dolutegravir, Raltegravir (HIV) | |
Antisense-Oligonukleotide | Fomivirsen (CMV) | |
Rekombinasen | ||
Helikase-Primase-Inhibitoren | Amenamevir (HSV, VZV) | |
Cyclophilin-Inhibitoren | Alisporivir (HCV) | |
Assemblierung | Maturations-Inhibitoren | Bevirimat (HIV) |
Terminase-Inhibitoren | Letermovir ( CMV) | |
Freisetzung | Neuraminidase-Inhibitoren | Laninamivir, Oseltamivir, Peramivir, Zanamivir (Influenza A, B) |
Neben solchen Stoffen, die unmittelbar in bestimmte Stadien der Virenvermehrung eingreifen und dabei primär virusspezifische Strukturen zum Ziel haben, gibt es Stoffe, die Strukturen des Wirts zum Ziel haben und über die Aktivierung spezifischer und unspezifischer immunologischer Abwehrmechanismen antiviral wirken.
Dazu zählen Zytokine wie das alpha-Interferon (IFN-α) und beta-Interferon (IFN-β), ferner monoklonale Antikörper und andere immunmodulatorische Mittel wie z. B. Imiquimod und Resiquimod.
Literatur
- E. Mutschler, G. Geisslinger, H. K. Kroemer, P. Ruth, M.Schäfer-Korting: Arzneimittelwirkungen. Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. 9. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2008. ISBN 3-8047-1952-X
- F. H. Kayser, K. A. Bienz, J. Eckert, J. Lindemann: Medizinische Mikrobiologie. 8. Auflage, Thieme, Stuttgart 1993.