Über die Evolution der Platyrrhini, also der süd- und mittelamerikanischen Neuweltaffen, weiß die Wissenschaft noch recht wenig. Als die Zoologen des 18. Jahrhunderts begannen die Primaten nach ihren verwandtschaftlichen Ähnlichkeiten zu »klassifizieren«, fiel ihnen der Zusammenhang zwischen einzelnen Primaten-Gruppen und deren Lebensraum auf: Feuchtnasenaffen (Strepsirhini, früher: Halbaffen) leben hauptsächlich auf irgendwelchen abgelegenen Inseln; die Trockennasenaffen (Haplorhini, früher: Echte Affen) in Südamerika ähneln jenen in Afrika, von denen sie sich allerdings durch ganz bestimmte Merkmale wieder unterscheiden.
Trotz ihres Namens stehen die Neuweltaffen auf einem etwas niedrigeren Entwicklungsniveau als ihre Verwandten östlich des Atlantiks, obwohl die äußerlichen Unterschiede auf den ersten Blick oft nur von Experten auszumachen sind: Die Dschungelbewohner des Amazonas-Urwalds zeichnen sich durch weit auseinanderstehende Nasenlöcher aus, was ihnen die Sammelbezeichnung »Breitnasenaffen« eintrug; manche von ihnen, wie etwa der Klammeraffe, haben den Schwanz zu einer vollwertigen »fünften Hand« entwickelt. Gehirnstruktur und andere anatomische Details lassen vermuten, dass die Neuweltaffen in ihren stabilen tropischen Lebensräumen weniger gefordert wurden als ihre Vettern in Afrika und Asien. Einige von ihnen spielen durch eine nächtliche Lebensweise (Nachtaffen, Aotus) die Rolle der in Südamerika nicht vorhandenen Feuchtnasenaffen (Strepsirrhini, früher Halbaffen).
Die ältesten Spuren von Neuweltaffen finden sich in südamerikanischen Fossilien aus dem späten Oligozän, die etwa 5 - 10 Millionen Jahre jünger als die Fayum-Primaten sind. Während die Fayum-Senke in Ägypten die frühesten fossilen Säugetiere aus dem frühen Känozoikum Afrikas hervorbrachte, gibt es aus Südamerika eine umfangreiche Sammlung von Fossilien aus dem Paläozän und Eozän, die vor allem aus Süd-Argentinien stammen. Für die meiste Zeit des Känozoikums war Südamerika eine Insel ohne Verbindungen zu anderen Kontinenten, außer möglicherweise zur Antarktis [3]. Die frühen Säugetierfossilien aus Südamerika reflektieren diese Isolation. Sie stammen von vielen ungewöhnlichen Säugetieren, die einzigartig auf diesem Kontinent sind - darunter Gürteltiere, viele Arten von Beuteltieren und eine große Zahl endemischer Huftiere - und die ganz anders aussehen als die Säugetiere aus dem Paläozän und Eozän Nordamerikas oder Europas [1][2]. Es gibt in Südamerika jedoch keine Überreste von Primaten aus dieser Zeitperiode, weder aus dem Paläozän, noch aus dem Eozän. Die Affen erscheinen hier erstmals im späten Oligozän, zusammen mit einer anderen Gruppe von Säugetieren, die ihren Ursprung in der Alten Welt hat, die stachelschwein-ähnlichen Nagetiere.
Das erste Auftreten von Primaten und Nagetieren während des Oligozäns markiert einen neuartigen Zuwachs der südamerikanischen Fauna. Woher sie kamen und wie sie dort hin gelangten, sind zwei der faszinierendsten und schwierigsten Fragen in der Evolution der Primaten.
Trotz der Artenvielfalt heutiger Primaten in der Neotropis und trotz der relativ zahlreichen Fossilfunde anderer Säugetiere gibt es außergewöhnlich wenig Fossilien von Neuweltaffen. Nur einen Schuhkarton voll von fossilen Primaten vom gesamten südamerikanischen Kontinent aus den letzten 30 Millionen Jahren soll es geben. Die geringe Anzahl von Primaten unter den sonst gut dokumentierten Säugetierfaunen Südamerikas weist vermutlich darauf hin, dass die Evolution dieser Gruppe größtenteils in Gebieten stattfand, aus denen auch sonst nur sehr wenige fossile Säugetiere überliefert sind, wie etwa aus dem riesigen Amazonas-Becken. Der Fossilienbestand ist zwar nicht umfangreich, dennoch liefert er uns faszinierende Hinweise auf die Evolutionsgeschichte der Neuweltaffen.
Die Herkunft der südamerikanischen Affen wird bis heute kontrovers diskutiert, wobei sicher zu sein scheint, dass sie mit ihren afrikanischen Verwandten eine gemeinsame Wurzel haben. Es gibt drei Hypothesen, wie die Platyrrhini nach Südamerika gelangt sein könnten:
- Sie wanderten aus Nordamerika ein,
- sie stammen aus Afrika,
- sie sind an Ort und Stelle entstanden.
Wenn der Urahn der südamerikanischen Affen unter den recht primitiven Primaten Nordamerikas zu suchen ist, dann müssten sie ihr hohes Evolutionsniveau parallel zu ihren afrikanischen Vettern erreicht haben.
Wenn sie aus Afrika stammen, müssten sie irgendwie den bereits im Oligozän 3.000 km breiten Atlantik überwunden haben. Dies könnte z.B. auf kleinen Bauminseln erfolgt sein, wie sie heute noch bei tropischen Stürmen aus der Küstenlinie Westafrikas herausgerissen werden. Viele Forscher halten dies jedoch für ziemlich unwahrscheinlich.
Da man echte Altweltaffen bereits aus dem Eozän Burmas kennt, stammen die südamerikanischen Primaten vielleicht sogar aus Asien.
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