Die häufigste und bislang ungeklärte Frage nach der Herkunft der Neuweltaffen (Platyrhini) lautet: Wie sind die Neuweltaffen nach Südamerika gelangt? Ist Nordamerika oder Afrika der wahrscheinlichere Ursprung der nach Südamerika eingewanderten Primaten? Um diese Frage zu beantworten sind nicht nur paläontologische Informationen über fossile Platyrrhini notwendig.
Die meisten geophysikalischen Studien zeigen, dass im Eozän und Oligozän die geographischen Positionen von Nord- und Südamerika sowie von Afrika bereits sehr ähnlich wie heute waren - der Riss durch den Südatlantik fand bereits viel früher während des Mesozoikums statt. Es war also bereits eine beträchtliche Wasserfläche von den Primaten zu überqueren, ungeachtet dessen, ob sie nun aus Nordamerika oder Afrika einwanderten. Während des frühen Känozoikums waren aber wahrscheinlich große Gebiete des Südatlantiks mit relativ flachem Wasser bedeckt, aus dem möglicherweise eine Reihe von Inseln in den Bereichen des Walfischrückens und des Sierra Leone Rückens ragten. In Zeiten mit niedrigem Meeresspiegel, wie etwa im mittleren Oligozän, waren diese Gebiete, sowie der kontinentale Schelf Afrikas, wahrscheinlich trockenes Land, was die Distanzen mit offenem Meer, die zwischen den Kontinenten zu überwinden waren, spürbar verkürzen würde. Die rekonstruierten Meeresströmungen scheinen für eine Überquerung von Afrika nach Südamerika zu sprechen [6]. Zudem zeigen die meisten Rekonstruktionen, dass der Abstand zwischen Nordamerika und Südamerika im Oligozän größer war, als der zwischen Afrika und Südamerika, und sie zeigen auch, dass es keine günstigen Strömungen gab, die für eine Nord-Süd-Passage sprechen würden. Die geologische Geschichte der Karibik ist jedoch kaum bekannt [5]. Insgesamt scheinen aber die geophysikalischen Beweise offenbar keins der beiden Szenarios stärker zu begünstigen.
Alle verfügbaren Daten zeigen, dass die nach Südamerika einwandernden Primaten, die Vorfahren der heutigen Neuweltaffen (Platyrhini), bereits "Echte Affen" (Anthropoidea) und keine "Halbaffen" waren, und so müssen wir auch die fossilen Primaten aus den potentiellen Ursprungskontinenten betrachten. Beide Kontinente, ob Nordamerika oder Afrika, können logischerweise nur dann der Ursprung der frühen Platyrhini sein, wenn es auf diesen Kontinenten auch plausible Vorfahrenarten gab, die zu den Begründern der artenreichen Neuweltaffen (Platyrhini) werden konnten. In dieser Hinsicht ist Afrika unbestreitbar der wahrscheinlichere Kanditat für den Ursprung der frühen Platyrhini. Die einzigen, unzweifelhaften Anthropoiden aus dem Oligozän sind nur aus Afrika bekannt. Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen den Fayum-Primaten in Ägypten und den Neuweltaffen, und die Parapitheciden aus der Fayum-Senke scheinen an der Wurzel stehende Anthropoiden zu sein, aus denen sich die evolutionäre Divergenz von Platyrhini und Catarrhini (Altweltaffen) entwickelte. Die engsten Verwandten der südamerikanischen Nagetiere sind die afrikanischen Stachelschweine [2], auch diese Tatsache unterstützt die Annahme, dass es eine faunistische Verbindung zwischen Südamerika und Afrika gab.
Im Gegensatz dazu gibt es keine Hinweise auf Anthropoiden in Nordamerika - weder aus dem Eozän noch aus dem Oligozän. Argumente für einen nordamerikanischen Ursprung der Neuweltaffen müssen entweder eine separate Abstammung der Neuweltaffen und Altweltaffen von primitiveren Primaten postulieren, was in Anbetracht der morphologischen Ähnlichkeiten aller höheren Primaten unwahrscheinlich erscheint, oder die Kolonisation Südamerikas müsste durch eine Gruppe von nordamerikanischen oder zentralamerikanischen Anthropoiden erfolgt sein, die bislang noch unbekannt sind. Gewiß deutet die Entdeckung eines primitiven Primaten mit europäischen Affinitäten (Mahgarita, ein Mitglied der Adapiformes) aus dem späten Eozän und Oligozän von Texas auf die Wahrscheinlichkeit hin, dass es noch andere Primaten in Nordamerika gegeben haben könnte, die bislang noch nicht entdeckt wurden. Dennoch ist auf der Grundlage der bekannten Primatenfauna aus dem Eozän Nordamerikas dieser Kontinent ein sehr unwahrscheinlicher Ursprung der Neuweltaffen.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass mehrere Autoren [7][4][1] die Frage aufgeworfen haben, ob das Treiben auf Vegetationsinseln über lange Distanzen zwischen beliebigen Kontinenten eine wahrscheinliche Methode zur biogeographischen Ausbreitung von Tieren ist, besonders von Primaten mit ihren Ernährungsgewohnheiten und klimatischen Anforderungen. Höhere Primaten (Anthropoidea) scheinen weniger geeignet, um auf schwimmender Vegetation zu überleben als Tiere, die Winterschlaf halten können oder lange Perioden der Inaktivität haben (z.B. Cheirogaleiden oder Nagetiere). Aber egal wie unwahrscheinlich dieses "Rafting" auch scheinen mag, es ist derzeit der einzige bekannte Mechanismus für den Transport von Landtieren zwischen Kontinenten, die durch offenes Meer getrennt sind. Wenn Südamerika während des fraglichen Zeitraums tatsächlich ein Inselkontinent war, müssen wir davon ausgehen, dass Primaten aus anderen kontinentalen Bereichen auf Flößen übersiedelten. Nur eine Revision der paläokontinentalen Landkarten könnten die Notwendigkeit für "Rafting" bei der Frage über den Ursprung der Neuweltaffen beseitigen. Allerdings könnte die Überquerung von offenem Meer auf Vegetationsinseln oder Flößen gar nicht so unwahrscheinlich sein, denn der größte Rückgang des Meeresspiegels während des gesamten Känozoikums trat in der Mitte des Oligozäns auf, also vor dem ersten Auftreten von Branisella in Bolivien, aber nach der Zeit, als sich die Ablagerungen in Ägypten angesammelt haben. Ein solcher Rückgang des Meeresspiegels würde eine interkontinentale Ausbreitung nach Südamerika erleichtert haben, und zwar von jedem Kontinent aus.
Obwohl die meisten Diskussionen über den Ursprung der Neuweltaffen sich auf die Frage konzentrieren, ob eine nordamerikanische oder afrikanische Herkunft wahrscheinlich ist, gibt es auch andere Szenarien, die bei der Betrachtung des Problems nicht ausgeschlossen werden können. Eine möglicher Ursprung der Neuweltaffen - der bisher nicht ernsthaft diskutiert wird - wäre die Antarktis. Obwohl Südamerika offenbar über einen Großteil des frühen Känozoikums mit der Antarktis verbunden war, so ist fast nichts über die Fauna der Antarktis - sofern überhaupt vorhanden - während dieser Zeit bekannt. Die Anwesenheit von Affen in der Nähe der Südspitze Südamerikas im frühen Miozän weist deutlich darauf hin, dass das heutige Klima dort kein Indikator für die Vergangenheit dieser Region ist, und erst wenn wir etwas über die Säugetierevolution in der Antarktis wissen, kann diese Möglichkeit ausgewertet werden. Das gleiche gilt weitgehend auch für Spekulationen über Zentralamerika und Südostasien als Ursprungsregionen der Neuweltaffen. Schließlich hat Szalay (1975) vorgeschlagen, dass "Höhere Affen" auch in der Neotropis entstanden sein könnten und sich dann von dort über die Alte Welt ausgebreitet haben. Die primitivere Natur der Anthropoiden in Ägypten und ihr höheres Alter als die Funde aus Südamerika sprechen - wenn auch nur schwach - gegen diese Auffassung. In jedem Fall hat diese Theorie das gleiche Problem der Dispersion zwischen Afrika und Südamerika (in umgekehrter Richtung) und scheint nicht durch Belege aus der Biogeographie anderer Säugetiergruppen gestützt zu werden, etwa in der Weise, wie die Ausbreitung von Nagetieren die Migration von Primaten von Afrika nach Südamerika unterstützt.
Derzeit gibt es keine überzeugende Erklärung für den Ursprung der südamerikanischen Affen - die Überquerung des Südatlantiks von Afrika aus scheint in vielerlei Hinsicht die wahrscheinlichste Erklärung zu sein, wie sie nach Südamerika gelangten. Zukünftige Entdeckungen von frühen Anthropoiden sollten zur Klärung dieser Frage beitragen.