Entspannende Zellteilungen
Bio-News vom 17.11.2020
Während eines Lebens durchläuft der menschliche Körper zehn Billiarden Zellteilungen. Dieser biologische Prozess ist für die Entstehung und Instandhaltung von Geweben und Organen im Körper unverzichtbar. Nun entdeckten Wissenschaftler, wie mechanische Spannungen aus dem umliegenden Gewebe diesen Prozess beeinflussen. Die Studie präsentiert einen gänzlichen neuen Einfluss auf die Zellteilung, und könnte dadurch wichtig für die Tumorforschung sein.
Bei der Zellteilung teilt sich eine Mutterzelle in zwei Tochterzellen. Deren neue Aufgaben und Funktionen hängen von der Ausrichtung der Zellteilung ab. Ein entscheidender Faktor, der diese Teilungsorientierung steuert, ist die Form der Mutterzelle. Nun entdeckten Professor Carl-Philipp Heisenberg und Benoit Godard, Postdoc im Heisenberg-Labor, in Zusammenarbeit mit dem McDougal-Labor der Sorbonne-Universität, dass sich die teilende Zelle aufweicht und damit der mechanischer Spannung im umgebenden Gewebe ermöglicht, ihre Form and somit Zellteilungsorientierung zu beeinflussen. "Das benachbarte Gewebe zieht und verformt die weiche sich teilende Zelle, was wiederum ihre Teilungsorientierung und damit das Schicksal ihrer Töchter bestimmt“, erklärt Carl-Philipp Heisenberg.
Publikation:
Godard et al.
Apical relaxation during mitotic rounding promotes tension-oriented cell division
Developmental Cell
DOI: 10.1016/j.devcel.2020.10.016
Ein neuer Modellorganismus
Aufgrund der Anzahl von Zellen innerhalb eines Gewebes ist die Untersuchung von deren Interaktionen eine Herausforderung. Ursache und Wirkung lassen sich nur schwer voneinander trennen. Deshalb verwendeten die Wissenschafter einen einzigartigen Modellorganismus. Seescheiden, kleine wirbellose Meerestiere, entwickeln sich beinahe wie Wirbeltiere. Sie bestehen jedoch nur aus sehr wenigen Zellen. Gleichzeitig ist das Schicksal ihrer Zelle schon sehr früh festgelegt. Mit weniger Zellen und einer vorgegebenen Entwicklung ermöglichen diese Modellorganismen den Wissenschaftern eine genauere Untersuchung der Gewebedynamik.
Zellen beim Entstehen beobachten
Seit mehr als einem Jahrhundert ist bekannt, dass Zellen dazu neigen, sich senkrecht zu ihrer Längsachse zu teilen. Früher ging man davon aus, dass Zellen während der Teilung steif und damit unempfindlich gegenüber mechanischen Kräften aus ihrer Umgebung sind. Ihre Form und damit die Teilungsorientierung bliebe also unbeeinflusst.
"Wir hatten vorläufige und indirekte Ergebnisse, die darauf hindeuteten, dass Zellen während der Teilung weich werden. Dies stand aber in völligem Gegensatz zur bisherigen Literatur über Zellteilung. Als ich also die biophysikalische Messung der Zellspannung durchführte und die Aufweichung der Zelle endeckte, war dies der größte Moment in meiner wissenschaftlichen Karriere", erinnert sich Benoit Godard.
Carl-Philipp Heisenberg und sein Team führten einen dreidimensionalen Scan des Seescheiden-Embryos während der Entwicklung durch und kombinierten diesen mit biophysikalischen Messungen der Zellfestigkeit. Dadurch entdeckten die Wissenschafter, dass sich teilende Zellen weicher werden und es damit äußeren Kräften erlauben, die Zellen während der Teilung zu verformen und somit ihre Teilungsorientierung zu beeinflussen.
"Wir wollten die entscheidenden Faktoren der Zellteilung identifizieren. Dabei haben wir entdeckt, dass Zellen, die sich teilen, weicher werden und damit direkt auf die Kräfte ihrer Nachbarn durch eine Änderung ihrer Form reagieren. Die mechanische Spannung im Umfeld einer sich teilenden Zelle bestimmt somit die Zellteilungsorientierung und das Schicksal ihrer Tochterzellen", fasst Carl-Philipp Heisenberg zusammen.
Diese Studie ebnet den Weg zu einem neuen Verständnis der Zellteilung in der Grundlagenforschung. Gleichzeitig könnte das Ergebnis aber auch für klinische Studien von Bedeutung sein. Da beispielweise Tumore die Gewebespannung ebenfalls stark verändern, könnten diese wiederum die Geschwindigkeit und Teilungsorientierung von anderen Tumorzellen beeinflussen. Die Ergebnisse dieser Studie helfen also, Gewebemissbildungen zu erklären und könnten eine von außen gesteuerte Gewebebildung ermöglichen.
Diese Newsmeldung wurde mit Material Institutse of Science and Technology Austria via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.