Anteriore ischämische Optikusneuropathie
Klassifikation nach ICD-10 | |
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H47.0 | Affektionen des N. opticus, anderenorts nicht klassifiziert - Ischämische Neuropathie des N. opticus |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Als Apoplexia papillae, Optikomalazie oder anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION) (unpräzise und umgangssprachlich auch: "Augeninfarkt") bezeichnet man den akuten Verschluss einer den Sehnerven versorgenden Augenarterie im Zinn-Haller-Gefäßkranz, worauf der Sehnervenkopf zu wenig durchblutet und damit ungenügend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird. Dieses Krankheitsbild stellt eine Notfallsituation dar.
Krankheitsmechanismus
Der Sauerstoffmangel wegen der akut einsetzenden Minderdurchblutung des Sehnervenkopfes führt zu einer Schädigung der Nervenfasern. Dies führt zu einer plötzlichen Sehverschlechterung des Betroffenen auf einem Auge. Beim Auftreten einer AION sollte möglichst schnell medizinische Hilfe aufgesucht werden, da die Schädigung bereits nach wenigen Stunden nicht mehr rückgängig zu machen ist.
Die Ursache einer AION sind meistens eine Gefäßverstopfung (Embolie) im Rahmen eines Vorhofflimmerns oder einer Endokarditis oder eine fortgeschrittene Arteriosklerose, wie sie vor allem bei Personen mit einem Diabetes mellitus auftritt. Seltener können eine Abnahme der Blutmenge oder Störungen der Blutgerinnung zu einer AION führen. Auch Entzündungen der Gefäße (Vaskulitis, z.B. eine Arteriitis temporalis), können zu einer AION führen und müssen speziell behandelt werden. Man unterscheidet deswegen zwischen einer AION mit entzündlicher Ursache und einer AION ohne entzündliche Ursache (nichtarteriitische anteriore ischämische Optikusneuropathie, nAION).
Eine nichtarteriitische anteriore ischämische Optikusneuropathie wird außerdem im Zusammenhang mit Viagra und anderen sogenannten PDE-5-Hemmern zur Behandlung der erektilen Dysfunktion diskutiert. Betroffene Männer sind üblicherweise älter als 50 Jahre.
Ein tiefer Gefäßverschluss des Sehnerven führt zu dem seltenen Krankheitsbild posteriore ischämische Optikusneuropathie, PION.
Klinisches Bild
Betroffene einer AION bemerken einen plötzlich auftretenden, ein Auge betreffenden deutlichen Verlust der Sehschärfe. Das betroffene Auge kann das Sehvermögen sogar ganz verlieren, sodass Betroffene auf diesem Auge erblinden. Wird das betroffene Auge mit einer Lichtquelle beleuchtet, ist die direkte Pupillenreaktion als Ausdruck einer afferenten Pupillenstörung sehr träge oder fehlt ganz und die Pupille wird nicht enger. Die konsensuelle Pupillenreaktion ist aber normal, d.h. die betroffene Pupille zieht sich normal zusammen, wenn das andere Auge beleuchtet wird. Die Diagnose einer AION wird vor allem fundoskopisch gestellt. Es zeigt sich typischerweise ein unscharf begrenzter Sehnervenkopf infolge eines Ödems. Oft ist der Sehnervenkopf zudem als Ausdruck der Durchblutungsstörung blass. In der Papille und um die Papille sind feinste Blutungen sichtbar. In der Perimetrie kann sich eine Einschränkung des Gesichtsfeldes (Skotom) zeigen. Schließlich kann durch eine Farbstoffdarstellung der Gefäße (Fluoreszenzangiographie) u.U. eine Minderdurchblutung des Sehnervenkopfes nachgewiesen werden.
Bei Verdacht auf eine entzündliche Ursache (s.o.) muss zur feingeweblichen Diagnosesicherung u.U. eine Arterienbiopsie der Arteria temporalis durchgeführt werden.
Therapie
Die gängige Therapie besteht in der Regel in der Gabe durchblutungsfördernder Medikamente, beispielsweise Kalziumantagonisten zur Gefäßerweiterung, einer Massage des Auges, einer Augeninnendrucksenkung durch Parazentese der Augenvorderkammer oder Hochdruck-Sauerstofftherapie. Der Stellenwert einer Lyse-Therapie ist noch nicht geklärt. Eine Hemmung der Blutgerinnung (Antikoagulation) muss je nach Ursache in Betracht gezogen werden. Die Wirksamkeit der zur Zeit angebotenen Therapien konnte bislang wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden (siehe auch Evidenzbasierte Medizin). Mit der Frage, ob eine medikamentöse Therapie eine grob fehlerhafte Heilbehandlung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB darstellt, musste sich der Bundesgerichtshof[1] befassen.
Eine entzündliche Ursache, wie eine Arteriitis temporalis, muss speziell durch eine hochdosierte und längerfristige Kortisontherapie behandelt werden.
Oft kann trotz raschen Therapiebeginns das ursprüngliche Sehvermögen nicht mehr hergestellt werden.
Die zum Ereignis führenden ursächlichen Erkrankungen oder die dieses begünstigenden Risikofaktoren werden in der Regel zu internistischen und neurologischen Folgeuntersuchungen führen.
Einzelnachweise
- ↑ BGH, Urteil vom 27. März 2007, Az. VI ZR 55/05, Volltext - Zur Arzthaftung wegen Behandlungs- und Aufklärungsfehlern; irreparable Augenschäden im Zusammenhang mit einem Heilversuch mit einem neuen Arzneimittel.
Literatur
- M. Sachsenweger: Augenheilkunde. Duale Reihe, Georg Thieme Verlag, Stuttgart (2. Auflage 2003), 316-317. ISBN 3-13-1283122.