Biologische Wachstumsregel


Die biologische Wachstumsregel beschreibt das Wachstumsverhalten von biologisch gewachsene Strukturen, wie Bäume, Krallen und Knochen, die mechanischen Beanspruchungen (z. B. Windlast, Schneelast) ausgesetzt sind. Es handelt sich vom mechanischen Standpunkt her gesehen um biologisch gewachsene Bauteile, die auch als biologische Kraftträger bezeichnet werden. Die Wachstumsregel lautet:

  1. Lagere an hochbelasteten Stellen Material an.
  2. Entferne Material an niedrigbelasteten Stellen.

Die Wirkung dieser Wachstumsregel wurde am Forschungszentrum in Karlsruhe untersucht. Man fand heraus, dass biologische Strukturen in eine Form wachsen, bei der unter den auftretenden Belastungen die Oberflächenspannung homogen ist. Biologische Kraftträger vermeiden auf diese Weise Spannungsspitzen, welche die potentiellen Schwachpunkte eines mechanischen Bauteils darstellen, und verteilen dadurch die Beanspruchung gleichmäßig auf der Oberfläche. So findet man beispielsweise an einer Ast-Anbindung keinen kreisförmigen Übergang, der zu Kerbspannungen führen würde, sondern eine so genannte Baud-Kurve, die einen kerbspannungsfreien Übergang gewährleistet.

Das Bestreben nach möglichst hoher Versagenssicherheit ist nur ein Kriterium bei biologischen Kraftträgern. Die Sicherheit muss auch mit einem möglichst geringen Aufwand an Material erreicht werden, um sich im harten Konkurrenzkampf in der Natur während der Evolution behaupten zu können. Man kann daher erwarten, dass die biologischen Kraftträger ein optimiertes Leichtbaudesign darstellen.

Die 2. Wachstumsregel gilt nur für Knochen. So ist es den Bäumen nicht möglich, in den Bereichen, die nach veränderten Randbedingungen plötzlich wenig belastet sind, das überflüssige Material entfernen. Die Knochen sind in dieser Hinsicht überlegen, da sie mit Hilfe von Fresszellen Material abbauen und dadurch immer ein gutes Leichtbaudesign realisieren können.

Im Ingenieursalltag verfolgt man häufig die gleichen Ziele wie die biologischen Kraftträger, nämlich mit möglichst wenig Aufwand an Material ein versagenssicheres Bauteil zu konstruieren. Aus diesem Grunde wurde die erfolgreiche biologische Wachstumsregel auf dem Computer simuliert und als Basis für Optimierungsprogramme bezüglich der Festigkeit verwendet. Dabei lässt man das zu optimierende Bauteil gemäß der biologischen Wachstumsregel virtuell wachsen, wie es beispielsweise ein Knochen tun würde, wenn er die Funktion des Bauteils übernehmen müsste. Dies führt dann zu einem Design mit homogener Oberflächenspannung. Es gibt zwei Varianten, wie die Wachstumsregel angewendet werden kann. Wird sie nur auf Oberflächenbereiche eines Bauteils angewendet, so erhält man ein Verfahren zur Formoptimierung, das CAO-Verfahren. Erweitert man den Anwendungsbereich dagegen auch auf die inneren Bereiche, erhält man ein Verfahren zur Topologieoptimierung, das SKO-Verfahren und die Variante TopShape. Beim letzteren werden zusätzlich zur Wachstumsregel noch Gussteilrestriktionen im Algorithmus implementiert um die Optimierung von Gussteilen zu verbessern und zu erleichtern.

Literatur

  • C. Mattheck: Design and Growth Rule for Biological Structures and their Application in Engineering. Fatigue Fract Eng Mater Struct 13, 5, 1990, 535-550.
  • C. Mattheck: Design in der Natur, Rombach GmbH + Co Verlagshaus KG, Freiburg i. B., 1997, ISBN 3793091503
  • R. Baud: Beiträge zur Kenntnis der Spannungsverteilung in prismatischen und keilförmigen Konstruktionselementen mit Querschnittsübergängen. Report 29, Schweiz, Verband für Materialprüfung in der Technik (Bericht 83 der Eidgen. Mat. Prüf.-Anstalt, Zürich 1934)
  • Thum, W. Bautz: Der Entlastungsübergang. Günstigste Ausbildung des Überganges an abgesetzten Wellen u. dgl. Forschung 6.Bd./Heft 6, 1935, 269-273
  • L. Harzheim: Strukturoptimierung, Grundlagen und Anwendungen. Wissenschaftlicher Verlag Harri Deutsch GmbH, Frankfurt am Main, 2007, ISBN 978-3-8171-1809-0

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