Coase-Theorem


Das Coase-Theorem [koʊz-] ist ein wichtiger Lehrsatz der Mikroökonomie. Er beschreibt, dass Teilnehmer eines Marktes Probleme, die durch externe Effekte entstehen, selbst lösen können, wenn sie nur über die Allokation von Ressourcen verhandeln und diese ohne Kosten tauschen können.

Das Coase-Theorem geht davon aus, dass Märkte unter den gegebenen Annahmen sehr effizient mit Externalitäten umgehen. Demnach sind Märkte in der Lage, die an Externalitäten geknüpften Probleme selbständig auszuräumen und die Ressourcen auf pareto-effizientem Weg aufzuteilen. Dies gilt jedoch nicht, wenn nennenswerte Transaktionskosten aufzubringen sind. Auch kann eine fehlende Zuteilung von Eigentumsrechten Verhandlungslösungen im Sinne des Coase-Theorems stark erschweren. Wie die Eigentumsrechte jedoch verteilt sind, spielt für die Einigung über die Externalität keine Rolle (Invarianzthese): Die Betroffenen werden stets die effiziente Lösung erzielen.

Das Coase-Theorem wurde 1960 von Ronald Coase im Artikel The Problem of Social Cost beschrieben. Die Bezeichnung Coase-Theorem geht auf George Stigler (1966) zurück. Ronald Coase wurde für diese und andere Leistungen 1991 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

Annahmen

Für die Gültigkeit des Coase-Theorem wird vorausgesetzt, dass die Verhandlungspartner leicht eine Übereinkunft über die Ressourcenallokation erzielen können. Es wird insbesondere davon ausgegangen, dass beim Tausch zwischen den Akteuren keine Transaktionskosten entstehen.

Das Coase-Theorem gilt weiterhin nur im Falle vollständiger Information: Jeder Agent muss wissen, welchen Effekt die Externalität auf die anderen Agenten hat.

Schließlich muss eine völlige Klarheit über die Verfügungsrechte der Verhandlungspartner bestehen, da sonst keiner der beiden Teilnehmer über die Schädigung/Nutzen entscheiden kann.

Beispiele

Vorüberlegungen

Wir betrachten zwei Nachbarn: Nachbar A hört gerne laute Musik, hat also einen Nutzen. Sein Nachbar B aber ist von der Musik gestört, auf ihn wirken somit negative externe Effekte des Musikkonsums seines Nachbarn.

Offenbar muss insgesamt abgewogen werden, ob der Nutzen, den A durch das Hören lauter Musik hat, die Kosten von B durch die Lärmbelästigung übersteigt. Wäre dies nicht so, so wäre gesamtwirtschaftlich betrachtet ein völliger Verzicht auf das Hören der Musik begründbar.

Recht auf Aktivität (Laissez-faire-System/Schädigungsrecht)

Szenario 1: Recht auf Aktivität. Der Gewinn des Geschädigten ist grün dargestellt, sein Transferbeitrag violett.

Es sei nun angenommen, dass A ein Anrecht auf das Hören lauter Musik hat.

Angenommen, Nachbar A hätte vom Musikkonsum einen Nutzen von 100 €, während B durch den Musikkonsum seines Nachbarn einen Schaden (Kosten) in Höhe von 200 € erleidet. Würde B seinem Nachbarn A nun 150 € bieten, damit dieser auf das Hören der Musik verzichtet, so wären beide besser gestellt, wenn A auf das Angebot einginge: A hätte dann 150 statt 100 € Nutzen, B hätte nur noch 150 statt 200 € Kosten.

Angenommen, A hätte aber durch das Hören seiner Musik einen Nutzen von jetzt 200 €, während B nur 100 € Kosten hätte, müsste B dem A mehr als 200 € bieten, damit er seine Musik abstellt. Dies würde jedoch seine bisherigen Kosten übersteigen. Volkswirtschaftlich gesehen wäre es also effizient, wenn A seine Musik weiterhin hören könnte, da B die nun vergleichsweise geringen Kosten gemessen am Nutzen von A zuzumuten wären.

Verhandlungslösungen schließen dabei auch zwischen den beiden Extremlösungen „Musik“ und „keine Musik“ liegende Lösungen mit ein. So ließe sich A möglicherweise dazu bewegen, seine Lautstärke beim Hören der Musik von bspw. 100 % auf nur 60 % zu reduzieren, wenn der Transferbeitrag von B dies reizvoll erscheinen lässt. Ein Marktgleichgewicht ergibt sich auch dann, wenn die Kosten der Schallreduzierung (z. B. Schallschutzwand oder Umzug) durch die Prämie des Lärmopfers finanziert werden können.

Recht auf Ungestörtheit (Verursacherhaftungsregel/Schädigerhaftung)

Szenario 2: Recht auf Ungestörtheit. Der Gewinn des Schädigers ist grün dargestellt, sein Transferbeitrag violett.

Im bisherigen Szenario wurde angenommen, dass A ein Anrecht auf das Hören von Musik hat, wenngleich er sich natürlich freiwillig auf eine Verhandlungslösung mit B einlassen kann. Wir ändern das Szenario nun ab: Angenommen, B hätte ein Recht, A dazu zu zwingen, keine laute Musik zu hören. B könnte A nun also dazu zwingen, auf den Musikkonsum zu verzichten. Nun könnte jedoch A analog zu oben B Geld dafür bieten, laute Musik hören zu dürfen. B würde dann auf das Angebot eingehen, wenn A ihm mehr Geld böte als er Kosten durch die Musik hat.

Zwar hat sich nun die rechtliche Stellung der Verhandlungspartner völlig geändert. Es ist jedoch unerheblich, ob A ein Anrecht auf Schädigung hat oder B ein Anrecht auf Unterlassung; durch die Verhandlungslösung entsteht volkswirtschaftlich gesehen auch hier Effizienz.

Kritik

Unter den Voraussetzungen fehlender Transaktionskosten und bei über die Rechtsordnung abgesicherten freien Verhandlungsmöglichkeiten kann laut Coase-Theorem eine effiziente Lösung erzielt werden, die beispielsweise einer Lösung über die Pigou-Steuer überlegen ist. Der Vergleich der beiden obigen Beispiele zeigt, dass es hierfür sogar unerheblich ist, wie die Eigentumsrechte verteilt sind. Eine effiziente Lösung des Problems kommt dennoch zustande.

In der Realität fallen jedoch Transaktionskosten an. Die effiziente Lösung kann dann verfehlt werden.

Transaktionskosten

Eine Verhandlungslösung würde scheitern, wenn Transaktionskosten ihr entgegenstehen würden, etwa weil die Verhandlung nur über teure Anwälte geregelt werden könnte oder aber Sprachbarrieren den Verhandlungen entgegenstehen. Wenn die Kosten für einen Anwalt oder einen Dolmetscher den Nutzen des Vertrages übersteigen, so findet keine Problemlösung statt.

Aus dieser Sicht können staatliche Eingriffe nützlich sein, weil sie zur Senkung von Transaktionskosten auf fehlenden bzw. unvollständigen Märkten beitragen können. Dieser Transaktionskostenvorteil von staatlicher gegenüber privater Koordination nimmt mit der Zahl der beteiligten Wirtschaftssubjekte - zwischen denen eine Verhandlungslösung zu erzielen ist - zu, ist aber keinesfalls automatisch oder garantiert, da mit der staatlichen Verwaltung eine weitere Schicht von Transaktionen und Agent-Prinzipal-Problemen aufgebaut wird.

Erpressung im laissez-faire-System

Da der Verursacher der externen Effekte maximale Verhandlungsmacht besitzt, kann er diese gegen den Geschädigten in den Verhandlungen einsetzen. Dies führt zwar aus allokativer Sicht immer noch zum pareto-effizienten Ergebnis, kann aber für den Verursacher zu einem lukrativen Erwerbszweig werden (→ politische Rente (rent seeking)).

Organisationsproblem bei großen Gruppen von Beteiligten

Die Gruppe der Geschädigten ist meist sehr groß und führt zu erheblichen Transaktionskosten für die Vertragsverhandlungen. Hierbei ergibt sich das zusätzliche Problem des Trittbrettfahrerverhalten (free riding), d. h. einzelne Geschädigte beteiligen sich nicht an den Kompensationszahlungen an den Verursacher, profitieren aber trotzdem durch die Schmälerung des externen Effektes.

Staatliche Lösung

Als Vermittler kann der Staat in die Verhandlungen eingreifen, um diese Transaktionskosten zu senken. Dies ist etwa dann denkbar, wenn sehr viele Gruppen an einer Verhandlung beteiligt sind und der Staat für einige davon Partei ergreift. Auch der Staat generiert unter Umständen gewisse Transaktionskosten, die jedoch unverhältnismäßig sind, da nur noch der Staat als eine Gruppe verhandelt, jedoch für eine Vielzahl bisheriger Gruppen. Der Staat hilft also beispielsweise mehrfach auftretende Informationskosten zentral zu bündeln und sorgt so für Kostenvorteile.

Distributionseffekt

Verteilungswirkungen werden nicht berücksichtigt. So macht es einzelwirtschaftlich für die Akteure durchaus einen Unterschied, ob ein Recht auf Aktivität oder ein Recht auf Ungestörtheit besteht. Diese distributive Wirkung wird jedoch nicht gewürdigt.

Informationsasymmetrien

Informationsasymmetrien können dazu führen, dass die Marktteilnehmer ihren Nutzen bzw. Schaden falsch einschätzen. Im Sinn der Prinzipal-Agent-Theorie lassen sich derartige Ungleichgewichte von den Verhandlungspartnern ausnutzen, wenn sie strategisch agieren. Ergebnisse der Mechanismus-Design-Theorie zeigen, dass unter bestimmten Voraussetzungen das Coase-Theorem nicht gilt. Sind beispielsweise die Präferenzen bezüglich der Menge eines öffentlichen Gutes nur dem Individuum selbst bekannt, ist es entgegen dem Coase-Theorem unmöglich, die effiziente Menge bereitzustellen, wenn bestimmte Anforderungen an die Lösung gestellt werden.

Axiomatisches Verhandlungsspiel

Coase nimmt das Ergebnis vorweg. Die Beteiligten verhandeln so lange, bis sie sich nicht mehr besser stellen können. Coase kann nicht beweisen, dass Verhandlungen zum Optimum führen, da er unterstellt, dass bis zum Optimum verhandelt wird. Dieses axiomatische Verhandlungsspiel ist Teil des Konzeptes der kooperativen Spieltheorie.

Fazit

Das Coase-Theorem zeigt, dass Verhandlungslösungen funktionieren können. Bei Vorliegen von Transaktionskosten sind staatliche Interventionen denkbar, wenngleich ihr Einsatz genau abgewogen werden sollte.

Siehe auch

  • Internalisierung

Literatur

  • R. H. Coase: The Problem of Social Cost, in: Journal of Law and Economics. Vol. 3 (1960), S. 1–44.
  • Charles B. Blankart: Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 5. Auflage
  • Gregor Enderle, Ansgar Nolte: Das Coase-Theorem. In: Wirtschaftswissenschaftliches Studium (WiSt), 28. Jg., Heft 4 (April 1999), S. 201.
  • Fritz Helmedag: Zur Vermarktung des Rechts - Anmerkungen zum Coase-Theoremin: Wolf,D./Reiner, S./Eicker-Wolf, K. (Hrsg.): Auf der Suche nach dem Kompaß, Politische Ökonomie als Bahnsteigkarte für das 21. Jahrhundert, Köln 1999, S. 53-71.
  • Lothar Wegehenkel: Coase-Theorem und Marktsystem, Tübingen: Mohr, 1980.

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