Fluglärmstreit zwischen der Schweiz und Deutschland


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Lage des Flughafens Zürich

Der Fluglärmstreit zwischen der Schweiz und Deutschland ist ein jahrzehntelanger Disput, der seit dem Jahr 2000 auf höchster politischer Ebene diskutiert wird. Es geht dabei um Fluglärm über Gemeinden in Süddeutschland, den Flugzeuge verursachen, die den Schweizer Flughafen Zürich anfliegen.

Beide Seiten erklären, eine faire Verteilung der Lasten anzustreben. Doch dabei zählt die deutsche Seite die Anzahl der Flugbewegungen und findet es unfair, dass 90 Prozent aller Anflüge über deutsches Gebiet führen (vor 2002), während die Schweizer Seite die Lärmbelastung nach betroffenen Personen zählt. Danach sei es unfair, wenn seit 2003 rund um den Flughafen Zürich in der Schweiz rund 210.000 Personen und in Deutschland 750 Personen eine Fluglärmbelästigung von 50 Dezibel ertragen müssen.

Nachdem ein 2001 ausgehandelter Staatsvertrag vom Schweizer Parlament abgelehnt wurde, hat die deutsche Seite 2003 einseitig die Anzahl der Überflüge begrenzt und für die Zeit zwischen 21 und 7 Uhr An- und Abflüge ganz verboten. Seither spielt sich der Streit um die Fluglärmbelastung weitgehend innerschweizerisch im Kanton Zürich und dessen Nachbarkantonen Aargau, Thurgau und Schaffhausen ab. Anstelle der Zählung der Flugbewegungen wird dabei die tatsächliche Stärke und Dauer der Fluglärmbelastung als Maßstab der Verteilung vorgezogen, politisch umgesetzt im Zürcher Fluglärm-Index.

Nachdem Deutschland jahrelang auf der Beschränkung der Fluganzahl beharrte und neue Verhandlungen ablehnte, erreichte die Schweizer Regierung bei einem Besuch von Bundeskanzlerin Merkel im April 2008, dass eine deutsch-schweizerische Arbeitsgruppe zunächst eine objektive Grundlage für die Vergleichbarkeit der Fluglärmbelastung schaffen soll.

Ursachen

Blick auf den Flughafen Zürich

Der größte schweizerische Flughafen Zürich-Kloten liegt nur etwa 15 Kilometer (Luftlinie) südlich der schweizerisch-deutschen Grenze, die dort durch den Hochrhein gebildet wird. Der Standort des Interkontinentalflughafens in früherem Moor- und Militärgelände wurde 1945 festgelegt. Seit 1948 wurde geflogen, wobei die Starts nach Westen und Süden erfolgten und die weniger lärmanfälligen Landungen überwiegend von Norden her, wofür die topografischen Gegebenheiten und die dünne Besiedlung sprachen. Die Anflüge von Norden führten über Gebiete des Südschwarzwalds und die deutschen Gemeinden am Hochrhein. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnte es sich die Schweiz erlauben, in dieser Form über den bundesdeutschen Luftraum zu verfügen. Absprachen mit den deutschen Nachbarn wurden weder von Stadt oder Kanton Zürich noch von der Schweizer Bundesverwaltung getroffen.

Da seit 1960 der Luftverkehr massiv zunahm und damit die Beeinträchtigungen durch Fluglärm stärker wurden, wuchs der Unmut der betroffenen Bevölkerung, sowohl im Zürcher Unterland wie in den angrenzenden deutschen Landkreisen der Region Hochrhein-Bodensee.

Eine wichtige Rolle spielt auf deutscher Seite der Tourismus im Schwarzwald, denn mit einer älteren Umfrage der Zeitschrift Quick wurde der Schwarzwald als viertwichtigstes innerdeutsches Ferienziel ermittelt.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Auf Grund des Völkerrechts (Transitvereinbarung und Chicagoer Abkommen aus dem Jahr 1944) dürfen Passagierflugzeuge die Lufträume über den Staaten befliegen. Der Start- und Landeanflug zu einem Flughafen fällt hierunter nach einer Entscheidung des deutschen Bundesverwaltungsgerichts nicht. Es besteht also zumindest auf Grundlage des Völkerrechts, nach Auffassung deutscher Gerichte, kein Recht der Schweiz und des Flughafens Zürich, deren Landeanflüge über deutsches Gebiet abzuwickeln.

Auch die Auffassung der Schweiz, dass sie auf Grundlage des Luftverkehrsabkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft das Recht hätte, zumindest bei Flügen zwischen der EU und der Schweiz die Landeanflüge über deutsches Gebiet uneingeschränkt abzuwickeln, wurde in den bisherigen Gerichtsentscheidungen verneint. Ein ursprünglich an den Europäischen Gerichtshof gerichtetes Gesuch wurde von diesem an das Europäische Gericht erster Instanz verwiesen.[1]

Seit den 1950er Jahren wird auf Grund der Nähe des Zürcher Flughafens zur deutschen Grenze die Flugsicherung, also die Ausübung der Hoheitsrechte im deutschen Luftraum, auf Grundlage von Absprachen[2] zwischen den Flugsicherungsbehörden, also der Schweizer Skyguide und der Deutschen Flugsicherung (DFS), von der Skyguide durchgeführt. Dieses Zugeständnis Deutschlands an die Schweiz erfolgte seinerzeit auf Grund der Grenznähe des Flughafens und den hieraus folgenden Vorteilen in der Abwicklung des flughafenbezogenen Flugverkehrs. Auf Grund des Umstandes, dass lediglich auf Grund dieser Absprachen und nicht auf Grund eines Staatsvertrages die Ausübung der Flugsicherung über deutschem Gebiet der schweizerischen Skyguide übertragen wurde, konnte der deutsche Staat für die Flugzeugkollision von Überlingen haftbar gemacht werden.

Chronologie

Vereinbarung zur Piste 14

Durch einen Volksentscheid im Kanton Zürich wurde 1970 dem Bau einer neuen Landebahn – der Piste 14/32 – zugestimmt. Mit deren Inbetriebnahme 1976 wurden Bewohner im Landkreis Waldshut vermehrt beschallt, denn die Ausrichtung dieser Piste (137°) führt die landenden Flugzeuge direkt über die dortige Gemeinde Hohentengen am Hochrhein hinweg.

Das weitere Wachstum im Flugverkehr und weitere Ausbaupläne führten zu Gerichtsverfahren, in deren Folge 1984 eine Verwaltungsvereinbarung zwischen dem deutschen Bundesministeriums für Verkehr und dem Schweizer Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) abgeschlossen wurde. Darin war vorgesehen, dass nicht nur die Piste 14, sondern auch die Piste 16, die ebenfalls nach Norden, jedoch über Schweizer Gebiet, führt, ausgewogen genutzt wird. Des Weiteren sollte eine Nachtruhe von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr gelten. Zwischen 22 und 7 Uhr sollte statt der Piste 14 nur die Piste 16 als Landebahn angeflogen werden. Die entsprechenden Formulierungen waren wachsweich („wird sich weiterhin bemühen, eine ausgewogenere Benutzung der beiden Landebahnen 14 und 16 zu verwirklichen“) und wurden nach wenigen Jahren weitgehend ignoriert. Das führte zu Protesten sowohl bei den betroffenen deutschen Hochrheingemeinden wie bei den Einwohnern der Schweizer Gemeinden von Weiach bis Höri, die ebenfalls in der Pistenachse 14 liegen und teilweise auch von startenden Flugzeugen belärmt werden.

In den 1990er Jahren sprach sich die Bevölkerung im Kanton Zürich für ein Wachstum des internationalen Flughafens aus, worauf der Flughafen deutlich ausgebaut wurde.

Im Jahr 2000 kündigte die Bundesrepublik Deutschland die Vereinbarung aus dem Jahr 1984. Der damalige Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD) setzte der Schweiz ein Ultimatum, wonach sich die Schweiz in einem Staatsvertrag zu einer Regelung des Flugverkehrs über dem süddeutschen Raum verpflichten sollte, andernfalls würde die deutsche Seite in einer einseitigen Verordnung die zulässigen Eckpunkte festlegen.

Staatsvertrag

Hierauf wurden Verhandlungen zwischen dem Schweizer Bundesrat Moritz Leuenberger, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, und dem deutschen Verkehrsminister Kurt Bodewig eingeleitet, welche am 18. Oktober 2001 mit der Unterzeichnung eines Staatsvertrags[3] beschlossen wurden. Nach diesem Vertrag hätte die Schweizer Flugsicherung auch künftig die Flugsicherung über deutschem Gebiet ausüben können[4], diese hätte allerdings maximal insgesamt 100.000 An- und Abflüge (zwischen 70 und 80 Prozent der seinerzeitigen Flugbewegungen) über deutsches Gebiet abwickeln dürfen. Des Weiteren waren ein Nachtflugverbot über deutschem Gebiet und bestimmte Mindesthöhen vorgesehen gewesen.

Der deutsche Bundestag nahm das Zustimmungsgesetz zu dem Vertrag am 17. Mai 2002 an, wogegen der Deutsche Bundesrat jedoch Einspruch erhob und dieses Gesetz in den Vermittlungsausschuss überwies.[5][6] Der Schweizer Nationalrat lehnte den Staatsvertrag am 19. Juni 2002 ab. Endgültig scheiterte die Ratifikation des Vertrags im Schweizer Parlament, als der Ständerat ihn am 18. März 2003 ablehnte.[7] Zuvor hatte die Schweiz versucht, Nachbesserungen am Vertrag zu erreichen.[8] Das deutsche Gesetzesverfahren war im Herbst 2002 mit Auflösung des 14. Deutschen Bundestags der Diskontinuität anheimgefallen.

Die Schweizer wollten vor allem die Begrenzung des Luftverkehrs über Deutschland und die damit einhergehende Lärmbelastung nicht akzeptieren. Es lagen zu diesem Zeitpunkt der Schweizer Seite Rechtsgutachten vor, welche die Situation in einem günstigeren Licht[9] widerspiegelten, als sich diese nach verschiedenen Gerichtsurteilen tatsächlich darstellte.

Einseitige deutsche Verordnungen

Am 1. September 2001 setzte die Bundesrepublik Deutschland einseitig eine Rechtsverordnung, die 204. Durchführungsverordnung (DVO) zur Luftverkehrsordnung (LuftVO), in Kraft, welche nach mehreren Änderungen im Vergleich zum ursprünglich ausgehandelten Staatsvertrag teilweise strengere Kennwerte festlegt. Insbesondere auf Seiten der betroffenen deutschen Landkreise, und hier vor allem aus dem Landkreis Waldshut, welcher vom Zürcher Fluglärm in Deutschland überwiegend betroffen ist, bestehen nach wie vor Forderungen nach nochmals verschärften Punkten.[10] Die Verordnung, welche in der endgültigen Fassung unter dem Titel 220. DVO am 14. April 2005[11][12] in Kraft getreten ist, hat bisher sämtlichen gerichtlichen Überprüfungen standgehalten.[13] Auch die Klage der Schweiz gegen die Entscheidung der EU-Kommission (2004/12/EG), dass die deutsche DVO weder das Luftverkehrsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union verletze, noch die deutsche DVO für den Flughafen Zürich diskriminierend sei, wurde vom Gericht der Europäischen Union mit Urteil vom 9. September 2010 abgewiesen.[14] Gegen das Urteil hat die Schweiz am 23. November 2010 Rechtsmittel beim Europäischen Gerichtshof eingelegt.[15] Die endgültigen Beschränkungen der 220. DVO zur LuftVO sehen neben der Festlegung von bestimmten Mindestflughöhen vor, dass Anflüge über deutsches Gebiet nur zwischen 7.00 und 21.00 Uhr erfolgen dürfen; an Samstagen, Sonntagen sowie den gesetzlichen Feiertagen Neujahr, Erscheinungsfest (6. Januar), Karfreitag, Ostermontag, 1. Mai, Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag, Fronleichnam, Tag der Deutschen Einheit (3. Oktober), Allerheiligen (1. November), Erster und Zweiter Weihnachtstag sind Anflüge nur zwischen 9.00 und 20.00 Uhr zulässig. Bei genau definierten Wetterbedingungen und anderen Situationen, insbesondere Not- und Ausnahmesituationen sind Ausnahmen zulässig, wobei zur Feststellung dieser Situation ein Mitarbeiter der Deutschen Flugsicherung bei der Schweizer Flugsicherung beschäftigt wird.

Eine wie im Staatsvertrag vorgesehene zahlenmäßige Beschränkung der Anzahl der Überflüge ist in der 220. DVO zur LuftVO nicht vorgesehen.

Auf Grund der Rechtsverordnung ist die Schweiz gezwungen, die Landeanflüge auf den Flughafen zu besonders ungünstigen Zeiten aus anderen Richtungen vorzusehen, was in diesen bisher vom Fluglärm nicht betroffenen Gegenden wiederum zu massiven Protesten führt-[16]

Sachstand und Ausblick

Die Schweizer Seite versucht kontinuierlich, mit Deutschland Verhandlungen aufzunehmen, welche in einen neuen Staatsvertrag münden sollen. Vermehrt werden der deutschen Seite auch Angebote zur Finanzierung von Verkehrsprojekten gemacht, welche wiederum im Gegenzug eine Lockerung oder Aufhebung der deutschen Vorgaben zum Ziel haben.

Von Schweizer Seite wird ein sogenannter „gekröpfter Nordanflug“ ins Auge gefasst[17], was bedeuten würde, dass die Flugzeuge sehr nahe der deutschen Südgrenze in den Landeanflug gehen würden. Sofern von Schweizer Seite diese Variante gewählt werden würde, hat Deutschland die Aufkündigung der Absprache, wonach die Schweizer Flugsicherung auch die Flugsicherung im deutschen Gebiet vornehmen darf, angekündigt.[18] Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) drohte der Schweiz im Juli 2007 mit „luftraumorganisatorischen Maßnahmen“, wenn sie den gekröpften Nordanflug einführt und dabei den Mindestabstand zur Grenze von 2,5 nautischen Meilen (4,6 Kilometer) nicht einhält.

Das Bundesamt für die Zivilluftfahrt (BAZL) lehnte das Gesuch der Flughafen Zürich AG (Unique) am 30. Juni 2008 im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass der „gekröpfte Nordanflug“ ein deutlich höheres Absturzrisiko aufweist als die bereits bestehenden ILS-Anflugverfahren auf die Pisten 14 und 34.[19]

Am 29. April 2008 fand ein Staatsbesuch von Bundeskanzlerin Merkel in der Schweiz statt. Auch während der Gespräche bei diesem Besuch wurde keine Lösung gefunden, in einem nachfolgenden Interview des Schweizer Bundespräsidenten Couchepin und der deutschen Bundeskanzlerin Merkel wurde davon gesprochen, dass wieder von vorne begonnen werden sollte. Die - planerisch, finanziell und politisch im Inland nicht abgesicherten - Angebote der Schweiz, im Gegenzug zur Aufhebung oder Lockerung der deutschen Anflugbeschränkungen deutsche Verkehrsprojekte, wie einen Verlauf der A 98 über Schweizer Gebiet, zu fördern, wurden von Merkel abschlägig beschieden.[20]

Am 29. Oktober 2009 wurden die gemeinsamen Lärmmessungen veröffentlicht.[21] Die Lärmbelastungsdaten[22] lieferten folgende, kumulierte Ergebnisse:

  • Lärmbetroffene Personen
    • Tagsüber: > 54 dB, Schweiz: 86.066 / Deutschland: 0
    • Tagsüber: > 45 dB, Schweiz: 490.547 / Deutschland: 24.292
    • Nachts: > 40 dB, Schweiz: 152.715 / Deutschland: 0
  • Lärmbetroffene Übernachtungen (Tourismus)
    • Tagsüber: > 54 dB, Schweiz: 678.539 / Deutschland: 0
    • Tagsüber: > 45 dB, Schweiz: 2.028.153 / Deutschland: 48.679
    • Nachts: > 40 dB, Schweiz: 670.301 / Deutschland: 0

Die Schweiz muss jetzt Deutschland einen Vorschlag unterbreiten, wie das Problem gelöst werden soll.

Nach der juristischen Niederlage vor dem Europäischen Gericht hat in den Schweizer Medien eine Diskussion über die weitere Strategie für die Verhandlungen mit Deutschland eingesetzt. Während die NZZ auf ein „Nicht verzagen“ und weiterhin eine ökonomisch-politische Strategie setzt[23], geht der Tagesanzeiger mit der Schweizer Politik hart ins Gericht[24] und sieht eine Lösung für den Fluglärmstreit nur auf einem Weg: „Regierung und Parlament von Bund und Kanton Zürich müssen endlich einsehen, dass kein Land verpflichtet ist, den Lärm eines anderen zu übernehmen. Egal ob er Grenzwerte überschreitet oder nicht“.

Nachdem die Verhandlungen sich in der Gemeinsamen Arbeitsgruppe Schweiz-Deutschland zum Fluglärm[25] seit Monaten ohne erkennbare Bewegung hinzogen, wurde in Deutschland zunehmend die Notwendigkeit gesehen, die 220. DVO einseitig im Interesse der süddeutschen Bevölkerung anzupassen, wenn bis Ende des Jahres 2011 keine Verhandlungslösung zustande kommt.[26]

Die von der Schweizer Bundesrätin Doris Leuthard und dem deutschen Bundesminister Peter Ramsauer am 28. Januar 2012 überraschend in Davos am Rande des WEF unterzeichnete Absichtserklärung für die Aufnahme von Staatsvertragsverhandlungen zur Lösung des Fluglärmstreites[27] hat die Protagonisten des Streites in Süddeutschland und in der Schweiz überrascht und irritiert. Sowohl die politischen Vertreter im Landkreis Waldshut[28] als auch die politischen Vertreter im Kanton Zürich sehen sich durch die jeweils andere Seite „über den Tisch gezogen“ und sagen ein mögliches Scheitern eines Staatsvertrages voraus.[29] Auf den empörten und massiven Druck süddeutscher Politiker hin hat Bundesminister Ramsauer nochmals erklärt[30], dass Grundlage für die Verhandlungen der Bundesrepublik Deutschland mit der Schweiz die Stuttgarter Erklärung sei.[31] Die Staatsvertragsverhandlungen zwischen der Schweiz und Deutschland sind bereits in der zweiten Verhandlungsrunde aufgrund scheinbar unüberbrückbarer Positionen an einem toten Punkt angelangt, dass ihr Scheitern und einseitige Maßnahmen Deutschlands zur Verschärfung der 220. DVO drohen.[32] Die deutsche Verhandlungsdelegation hat in der Verhandlungsrunde nochmals verdeutlicht, dass sie zu Zugeständnissen bei den Anflugbeschränkungen in den Tagesrandzeiten nicht bereit ist.[33]

Am 2. Juli 2012 hat sich die deutsch-schweizerische Verhandlungsdelegation für die Öffentlichkeit diesseits und jenseits des Rheins überraschend schnell auf einen Staatsvertrag geeinigt. Der in der Schlussphase der Verhandlungen, nach Auszug der südbadischen Landräte [34], wohl mit recht heißer Nadel paraphierte Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizer Eidgenossenschaft über die Auswirkungen des Betriebs des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland[35] – wie das Fehlen eines Verbs in Artikel 1 Nr. 2 und die fehlerhafte Verweisung in Artikel 1 Abs. 4 des Vertrages zeigen – trifft bei Kommunalpolitikern und Bürgerinitiativen in Deutschland [36] und der Schweiz [37] auf breite Ablehnung, wobei Wertungen wie „Landesverrat“ und „Lügenbarone“ die Verdrossenheit mit dem Kompromiss zeigen. Der gefundene Kompromiss beinhaltet im Wesentlichen ab dem Jahr 2020 eine deutliche Ausweitung der Sperrzeiten zugunsten Südbadens am Abend (ab 18.00 Uhr), die (nicht vertragliche) Verpflichtung der Schweiz, das Betriebsreglement während der Sperrzeiten auf Ostanflüge auszurichten und hierzu die notwendigen Ausbaumaßnahmen am Pistensystem des Flughafens durchzuführen. Die Ausweitung der Sperrzeiten am Abend würde dabei zu einer Verringerung der Anflüge über Südbaden in der Größenordnung von 20 bis 25 TSD Flügen im Jahr führen. Deutschland verzichtet im Staatsvertrag hierfür auf eine zahlenmäßige Begrenzung der Anflüge und gesteht der Schweiz werktags Anflüge bereits ab 6.30 Uhr zu, während die Sperrzeiten in den lärmempfindlichen Zeiten am Wochenende und an den Feiertagen voll erhalten bleiben.[38] Die im Staatsvertrag enthaltene Option, ab dem Jahr 2020 den „gekröpften Nordanflug“ einzuführen, wird hinsichtlich der Realisierungschancen selbst in der Schweiz mehr als skeptisch beurteilt und eher als eine „Beruhigungspille“ für den Süden angesehen.[39] In Schweizer Medienkommentaren wird das Verhandlungsergebnis nicht als Sieg, sondern als Hypothek für den Flughafen und den Kanton Zürich gewertet.[40] Ob sich im Schweizer National- und Ständerat für die Ratifizierung des Staatsvertrages und im Zürcher Kantonsrat für den Pistenausbau eine Mehrheit finden wird, ist nicht absehbar, da die erforderliche Lärmverteilung in der Schweiz nur schwer konsensfähig sein wird.[41]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. (Rechtssache T-319/05).
  2. Ergebnis einer kleinen Anfrage im Deutschen Bundestag, 11. Januar 2005
  3. Pressemitteilung des Bundesverkehrsministeriums, 8. Oktober 2001
  4. Botschaft des Schweizerischen Bundesrates, 8. März 2002
  5. Chronologie: Ein Vierteljahrhundert Fluglärmstreit, srf Schweizer Radio und Fernsehen
  6. Bundesrat lehnt Ratifizierungsgesetz ab Pressemitteilung 147/2002 vom 21. Juni 2002
  7. Luftverkehrs-Abkommen gescheitert news.ch, 18. März 2003
  8. Staatsvertrag: Sondierungsgespräche Schweiz-Deutschland. BAZL, Bern, 12. März 2003
  9. Rechtsgutachten für den Flughafen Zürich, 2001
  10. Position der südbadischen Region
  11. Inhalt der Seite des Bundesjustizministeriums
  12. Inhalt der 220. DVO der LuftVO , 4. Mai 2005
  13. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts , 4. Mai 2005
  14. EuG, Urteil vom 9. September 2010
  15. Rechtssache C-547/ 10 P
  16. Fluglärmgegnerseiten
  17. Bericht aus der NZZ, 30. Oktober 2007
  18. Pressemitteilung des Landrats des Landkreises Waldshut, 3. März 2008
  19. Kanton Aargau: Änderung des vorläufigen Betriebsreglements und Genehmigung eines neuen Anflugverfahrens 30. Juni 2008
  20. Zaghafter Neubeginn im Fluglärmstreit, Neue Zürcher Zeitung, 29. April 2008
  21. Zugriff zu Berichten und Lärmbelastungskarten BAZL, 29. Oktober 2009. Eingesehen am 26. Jan. 2012
  22. Auswertungen Anzahl der lärmbelasteten Personen und lärmbetroffene Übernachtungen Tourismus der Projektuntergruppe im Auftrag der deutsch-schweizerischen Arbeitsgruppe Flughafen Zürich (PDF, 14,1 MB) Webseite des „Verein Flugschneise Süd – NEIN“
  23. Kommentar (ark): Konzentration aufs ökonomisch-politische Parkett NZZ Online, 9. September 2010
  24. Liliane Minor: Kommentar: Noch ein Irrtum wäre einer zu viel Tagesanzeiger, 10. September 2010
  25. Weiteres Treffen der Arbeitsgruppe Schweiz-Deutschland zum Fluglärm Medienmitteilung BAZL, Bern, 15. März 2011
  26. Schreiben der Staatssekretärin Dr. Gisela Splett im baden-württembergischen Ministerium für Verkehr und Infrastruktur vom 5. Juli 2011 (PDF)
  27. Davoser Absichtserklärung
  28. Alle sind sauer auf Ramsauer Badische Zeitung vom 30. Januar 2012
  29. Auch diesem Staatsvertrag droht die Abfuhr NZZ vom 29. Januar 2012
  30. Thomas Dörflinger MdB: „Ramsauer: Stuttgarter Erklärung ist Grundlage“ Pressemitteilung vom 30. Januar 2012
  31. Stuttgarter Erklärung
  32. Schweiz hält die Ohren zu Südkurier vom 5. April 2012
  33. Fluglärm-Verhandlungen stehen praktisch still Tagesanzeiger vom 8. April 2012
  34. Politische Winkelzüge Badische Zeitung vom 2. Juli 2012
  35. Staatsvertrag in der Version der Paraphierung vom 2. Juli 2012 (PDF-Datei)
  36. Streit um Flughafen Welt online vom 5. Juli 2012
  37. Kantonsrat kann Pistenausbau blockieren NZZ vom 4. Juli 2012
  38. Durchbruch beim Fluglärmstreit Tagesanzeiger vom 2. Juli 2012
  39. Kritische Fragen zum gekröpften Nordanflug NZZ vom 4. Juli 2012
  40. Kein Sieg, sondern eine Hypothek baz-online vom 2. Juli 2012
  41. Die Lärmverteilung wird unumgänglich sein NZZ vom 5. Juli 2012

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