Tanzlinde


Eine Tanzlinde ist eine – meist mehrere hundert Jahre alte – Linde, die der Mittelpunkt dörflicher Tanzfeste und Bräuche war.

  • Tanzlinden im engeren Sinne sind eine besondere Form von geleiteten Linden. Ursprünglich wurden als Tanzlinden nur geleitete Linden bezeichnet, die Podeste trugen, damit in der Baumkrone getanzt werden konnte.
  • Tanzlinden im weiteren Sinne sind geleitete Linden, bei denen am Boden unter der Linde oder außerhalb des Astbereiches um sie herum getanzt wird.
  • Sonstige Tanzlinden sind Linden, die im Mittelpunkt von Tanzbräuchen stehen oder standen, ohne einer besonderen Formgebung unterzogen worden zu sein und ohne über Gerüstkonstruktionen zu verfügen.
  • Die beiden Hauptformen gehören zur übergeordneten Kategorie der „Geleiteten Linden“; darunter fallen dann zusätzlich noch Linden, deren an Tanzlinden erinnernde Formgebungen gar nichts mit Tanzgebräuchen zu tun haben sowie auch viele andere Lindenformen wie z. B. Linden-Lauben.

Allgemeines

Bei beiden geleiteten Hauptformen der Tanzlinden ist um den Stamm der Linde herum, auf Höhe des unteren Astkranzes, ein Gerüst gebaut, das u. a. dem Verziehen der Äste dient. Bei den Objekten dieser Kategorien gilt als Besonderheit, dass sie in der Regel nicht nur herausragende Naturdenkmale, sondern oftmals auch Baudenkmale sind, die einem kulturellen Zweck, meist den dörflichen Traditionen und Tanzbräuchen in Zusammenhang mit den früher in vielerlei Hinsicht sehr bedeutsamen Kirchweihfesten, dienen; auf dieser einmaligen, harmonischen Vereinigung dreier Elemente beruht auch die besondere, weit über die Standortdörfer und -regionen hinausgehende besondere kulturelle Bedeutung der Tanzlinden.

Tanzlinden im engeren Sinne

Bei den Tanzlinden im engeren Sinne wachsen die Äste des untersten Astkranzes, meist in einer Höhe zwischen zwei Metern und drei Metern unter einem Gerüst aus massiven Holzbalken entlang und dann außerhalb an laubenartigen (über-)mannshohen Spalieren mit Fensterausschnitten oder an Balustraden wieder nach oben, so dass es aussieht, als ob die Äste die Balkenkonstruktion trügen. Tatsächlich werden diese Konstruktionen aber hauptsächlich von Säulen getragen, die meistens aus Sandstein oder Holz bestehen (bei anderen Kategorien manchmal auch aus Metall) und die am Rand der Baumkrone ringförmig um den Stamm mit Radien zwischen drei Metern und fünf Metern angeordnet sind; je nach statischem Bedarf werden manchmal auch noch Säulen innerhalb des Ringes aufgestellt. Die horizontale Balkenlage ist entweder dauerhaft oder nur zu den Tanzfesten mit Brettern belegt; diese Tanzfläche ist dann über eine Treppe zu erreichen. So entstehen imposante, luftige Baumpavillons, die Tanzpaaren und manchmal sogar den Musikkapellen Platz bieten, früher angeblich manchmal sogar auf zwei Ebenen verteilt.

Die letzten Tanzlinden in diesem engeren Sinne, die auch heute noch zum Tanzen genutzt werden (können), stehen in

  • Limmersdorf (Oberfranken, 1686)
  • Langenstadt (Oberfranken, Nachpflanzung 1995), öffentlich genutzt, aber auf privatem Grund stehend
  • Peesten (Oberfranken, Nachpflanzung 1951)
  • Effelder (Thüringen, 1707)
  • Sachsenbrunn (Thüringen, ca. 1650)
  • Oberstadt (Thüringen, 1800), betriebsbereit

Podest ohne Astkranz

  • Galenbeck (Mecklenburg-Vorpommern), Privatbesitz

Podest ohne Mittelstamm und ohne Stütz-Gerüst

  • Gescher (Westfalen, ca. 1880), Privatbesitz

Podest zur Aussicht und evtl. für Musikanten

  • Rehnsdorf (Sachsen), Privatbesitz

bzw. sind (wieder) im Entstehen in

  • Bärstadt (Hessen, Neupflanzung 2004)
  • Leeden (Westfalen, Neupflanzung 2005)
  • Limmersdorf II (Oberfranken, 1990), vorsorgliche Nachpflanzung und Demonstrationsobjekt im Deutschen Tanzlindenmuseum
  • Limmersdorf III (Oberfranken, 1991), Demonstrationsobjekt im Deutschen Tanzlindenmuseum
  • Wald (Baden-Württemberg, Neupflanzung 2008).

Baumveteranen, die früher vermutlich Tanzlinden im engeren Sinne waren, stehen z. B. noch in

  • Himmelsberg (Hessen)
  • Niedenstein (Hessen)
  • Isling (Oberfranken)
  • Bexten (Westfalen)
  • Schenklengsfeld (Hessen; mit bis zu 1275 Jahren vermutlich ältester Baum Deutschlands)

Tanzlinden im weiteren Sinne

Bei den geleiteten Tanzlinden im weiteren Sinne ist das Zusammenspiel von Baum und Gerüst anders herum: Dort wachsen die Äste über den Konstruktionsbalken, weil in der Regel die Gerüste die Äste tragen. Deshalb konnte bzw. kann nicht auf, sondern lediglich unter den Linden getanzt werden (Platz- oder Plan-Tanz).

Solche Tanzlinden stehen z. B. in

  • Effeltrich (Oberfranken)
  • Hilgershausen (Felsberg) (Hessen)
  • Rheine (Westfalen)

Sonstige Tanzlinden

Bei den sonstigen Tanzlinden ist hingegen kein Gerüst vorhanden, das umgebende Gelände dient jedoch als Tanzplatz; in einigen Fällen wird die Bezeichnung Tanzlinde auch ohne jeden erkennbaren Bezug zu Tanzbräuchen als Interpretation der Form des Baumes benutzt.

Linden dieser Art stehen z. B. in

  • Kaltennordheim (Thüringen)
  • Neudrossenfeld (Oberfranken)
  • Guttenberg (Oberfranken)
  • Schloss Spangenberg (Hessen)
  • Dorla (Hessen)
  • Langenbeutingen (Baden-Württemberg).

Stufenlinden

Eine besondere Form geleiteter Linden, die oftmals als Tanzlinden bezeichnet werden, sind die Stufenlinden. Diese eindrucksvollen Bäume mit bis zu zehn Astkränzen erhielten aber in der Regel nicht zu Tanzzwecken, sondern als rein ästhetisch-romantische Spielart ihre Form. Die bekanntesten davon stehen in

  • Untertheres (Unterfranken)
  • Grettstadt (Unterfranken)
  • Salz (Unterfranken)
  • Tabarz (Thüringen).

Geschichte

Tanzlinden waren sowohl Orte der Gerichtsbarkeit als auch Versammlungsstätten. Linden wurden und werden deshalb oftmals an zentralen Plätzen innerhalb von Siedlungen gepflanzt und erreichen dort zum Teil imposante Größen.

Verbreitung

Tanzlinden sind heute vorwiegend noch in kleineren Orten zu finden, in denen sie sowohl das Ortsbild als auch die dörflichen Feste prägen. Schwerpunkt dieser Tradition sind eindeutig die Regionen Oberfranken/Thüringen und südlich von Kassel im angrenzenden Bundesland Hessen; aber auch in Hohenlohe, einem württembergischen Gebiet mit alten fränkischen Wurzeln, ist die Tradition verbreitet gewesen und wird zur Zeit wiederbelebt.

Vereinzelt existieren ähnliche Bäume auch in anderen deutschen Regionen (z. B. Westfalen) und angrenzenden europäischen Ländern (Schweiz, Frankreich, Belgien, Österreich).

Tanz auf der Linde

Die heutzutage bekannteste Tanzlinde steht im oberfränkischen Limmersdorf im Landkreis Kulmbach, das seit 1978 zum Markt Thurnau gehört. Die dortige Lindenkirchweih ist das älteste, ununterbrochen seit mindestens 1729 veranstaltete Fest, bei dem der Tanz auf der Linde und der Platztanz unter der Linde im Mittelpunkt des Kirchweihfestes stehen. Sogar die Musikkapelle hat ein eigenes kleines Häuschen in der Plattform. Am Linden- und Kirchweihplatz, unmittelbar neben der 500-jährigen Kirche „St. Johannes der Täufer“, ist in Limmersdorf wegen der besonderen Bedeutung der Limmersdorfer Tanzlinde und dieses Brauchtums in Oberfranken das Deutsche Tanzlindenmuseum im Aufbau; auch die Deutsche Tanzlindenroute sowie der Tanzlindenradweg rund um Thurnau (Limmersdorf – Langenstadt – Peesten – Limmersdorf, ca. 30 km) nehmen dort ihre Anfänge.

Literatur

  • Michel Brunner: Bedeutende Linden – 400 Baumriesen Deutschlands. Haupt Verlag, Bern 2007, ISBN 978-3-258-07248-7.
  • Friedrich Gollwitzer: Die Tanz- und Platzlinden im Bezirk Kulmbach. in: Fränkische Heimat 6 (1927), S. 180.
  • Rainer Graefe: Geleitete Linden. in: Daidalos Nr. 23, Baum und Architektur, Gütersloh 1987.
  • Uwe Kühn, Stefan Kühn, Bernd Ulrich: Bäume, die Geschichten erzählen. BLV 2005, ISBN 3-405-16767-1.
  • Anette Lenzing: Gerichtslinden und Thingplätze in Deutschland. Die Blauen Bücher, Königstein im Taunus, ISBN 3-7845-4520-3.
  • Oskar Moser: Lindentanz und Kirchweihrecht. in: Festschrift für Franz Koschier. Klagenfurt 1974, S. 58.
  • Herrmann Röttger: Über die Dorflinde. in: Bayerischer Heimatschutz 24 (1928), S. 24–30.
  • Friedrich Stützer: Die größten, ältesten oder sonst merkwürdigen Bäume Bayerns in Wort und Bild. Piloty & Löhle, München 1900.
  • Andreas Zehnsdorf: Thüringens merkwürdige Linden. In: Thüringer Hefte für Volkskunde, Erfurt 2009.

Weblinks

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