Verbale Entwicklungsdyspraxie


Klassifikation nach ICD-10
F80.0-F80.9 Umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache
R48.2 Apraxie
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Die Verbale Entwicklungsdyspraxie (VED) ist eine Entwicklungsstörung kindlichen Sprechens, die durch eine mangelhafte Aussprache gekennzeichnet ist.[1] Der Ursprung ist bisher nicht sicher geklärt, eine Theorie sieht das Problem auf der Ebene der Sprechbewegungsplanung und -programmierung, wodurch die Fähigkeit, die für Sprechproduktionen erforderlichen Bewegungen in ihre räumliche und zeitliche Beziehung zu setzen, stark beeinträchtigt ist. [2] Daraus resultiert das Unvermögen oder die eingeschränkte Fähigkeit für eine geplante Äußerung die Artikulationsorgane willkürlich und kontrolliert einzusetzen. Die VED übt einen störenden Einfluss auf das gesamte, sich gerade entfaltende Sprachsystem aus. Das Sprachverständnis ist von der Störung nicht betroffen [3], es handelt sich daher um eine Sprechstörung.

Ätiologie

Als Ursachen werden diskutiert: genetische Disposition,[4] neurologische Auffälligkeiten oder Stoffwechselstörungen.[5]

Symptomatik

Ein frühes Merkmal ist häufig: kaum Lall- und Plapperproduktionen in der Säuglingszeit. Charakteristika der Störung sind: extrem verzögerter Spracherwerb, kaum verständliche Sprache, höchst variable Lautbildungsfehler, evtl. „Verlust“ bereits beherrschter Wörter; evtl. Suchbewegungen und/oder stilles Positionieren der Lippen und Zunge vor und während einer Äußerung.

Das Hauptsymptom ist die gestörte Lautbildung: Es kommen vielfache Lautbildungsfehler, wie Auslassungen, Substitutionen, Vertauschungen, Additionen, Wiederholungen und Verlängerungen von Konsonanten und Vokalen vor.

Therapie

Häufig entsteht der Verdacht auf eine Verbale Entwicklungsdyspraxie erst aufgrund mangelnder oder minimaler Fortschritte trotz langer Sprachtherapie. In einer Cochrane-Analyse von 2008 wird resümiert, dass die Studienlage keine Therapieform erlaubt anzugeben, die erfolgreich sei. [6] Aus klinischer Erfahrung scheinen mundmotorische Übungen nicht zielführend zu sein. Ein möglicher Ansatz ist die multisensorielle Assoziationsmethode, bei der den einzelnen Lauten visuelle und taktil-kinästhetische Hinweisreize zugeordnet werden.[7] Die Wiederholungsrate der jeweiligen Übungsinhalte muss dazu extrem hoch sein, um die Automatisierung von Sprechbewegungsabläufen erreichen zu können. Daher ist die intensive Einbindung der Bezugspersonen in die Therapiearbeit noch mehr als sonst unabdingbar für den Erfolg der Therapie.

Literatur

  • Position Statement der American Speech-Language-Hearing Association (ASHA): Childhood Apraxia of Speech. 2007 [1]
  • Schulte-Mäter, A. (1996): Verbale Entwicklungsdyspraxie. Eine Analyse des derzeitigen Erkenntnisstandes. Frankfurt: Peter Lang Verlag
  • Schulte-Mäter, A. (2001): Verbale Entwicklungsdyspraxie. In: M. Grohnfeldt (Hrsg.): Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Band 2, Erscheinungsformen und Störungsbilder. Stuttgart: Kohlhammer, 254-261
  • Schulte-Mäter, A. (2003): Verbale Entwicklungsdyspraxie. In: M. Grohnfeldt (Hrsg.): Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Band 4, Beratung, Therapie und Rehabilitation. Stuttgart: Kohlhammer. 296-302
  • Schulte-Mäter, A. & Ziegler, W. (2009): Sprechapraxie. In: M. Grohnfeldt (Hrsg.): Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Band 3, Diagnostik, Prävention und Evaluation. Stuttgart: Kohlhammer. 291ff., 2.,überarbeitete Auflage
  • Schulte-Mäter, A. (2006): Verbale Entwicklungsdyspraxie. In: Siegmüller J., Bartels H. (Hrsg.): Leitfaden Sprache; Sprechen, Stimme, Schlucken. München: Elsevier. 119-122
  • Schulte-Mäter, A. (2007): Verbale Entwicklungsdyspraxie. In: M. Grohnfeldt (Hrsg.): Lexikon der Sprachtherapie. Stuttgart: Kohlhammer. 364-365
  • Schulte-Mäter, A, (2007): Verbale Entwicklungsdyspraxie. In Schöler H, Welling A. (Hrsg.): Sonderpädagogik der Sprache, Band 1 Handbuch Sonderpädagogik. Hogrefe-Verlag.

Einzelnachweise

  1. Dannenbauer F. M.: Verbale Entwicklungsdyspraxie (VED) – eine noch wenig verstandene Entwicklungsstörung kindlichen Sprechens. (pdf-Datei)
  2. Grigos MI Kolenda N: The relationship between articulatory control and improved phonemic accuracy in childhood apraxia of speech: A longitudinal case study. Clin Linguist Phon. 2010 January; 24(1): 17–40. Freier Artikel
  3. Schulte-Mäter, A. (2001): Verbale Entwicklungsdyspraxie. In: M. Grohnfeldt (Hrsg.): Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Band 2, Erscheinungsformen und Störungsbilder. Stuttgart: Kohlhammer, 254-261
  4. D. F. Newbury, A. P. Monaco: Genetic advances in the study of speech and language disorders. In: Neuron. Band 68, Nummer 2, Oktober 2010, S. 309–320, ISSN 1097-4199. doi:10.1016/j.neuron.2010.10.001. PMID 20955937. PMC 2977079 (freier Volltext). (Review).
  5. L. D. Shriberg, N. L. Potter, E. A. Strand: Prevalence and phenotype of childhood apraxia of speech in youth with galactosemia. In: JSLHR. Band 54, Nummer 2, April 2011, S. 487–519, ISSN 1558-9102. doi:10.1044/1092-4388(2010/10-0068). PMID 20966389. PMC 3070858 (freier Volltext).
  6. Morgan AT, Vogel AP: Intervention for childhood apraxia of speech. Cochrane Database Syst Rev. 2008 Jul 16;(3):CD006278. PMID 18646142
  7. Schulte-Mäter, A. (2003): Verbale Entwicklungsdyspraxie. In: M. Grohnfeldt (Hrsg.): Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Band 4, Beratung, Therapie und Rehabilitation. Stuttgart: Kohlhammer. 296-302