Bioinspirierte Robotik: Von Libellen lernen
Bio-News vom 20.01.2021
Forschungsteam der Uni Kiel entschlüsselt Fangapparat der aquatischen Jäger. Es ist eine Hochgeschwindigkeitsbewegung: In Sekundenbruchteilen schnellt das Mundwerkzeug der Libellenlarve nach vorn, um ihre Beute zu greifen. Jahrzehntelang waren Forschende davon ausgegangen, dass es sich hierbei um einen hauptsächlich hydraulischen Vortrieb handeln müsse.
Nun ist es Wissenschaftlern der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) erstmals gelungen, das biomechanische Funktionsprinzip der sogenannten Fangmaske der Libellenlarve vollständig zu entschlüsseln. Maßgeblich dazu beigetragen hat die Entwicklung eines bioinspirierten Roboters, für den das Team um Dr. Sebastian Büsse vom Zoologischen Institut die Funktionsweise des komplexen Mundwerkzeugs adaptiert hat, um die eigenen Hypothesen zu überprüfen – und dessen Technologie eine signifikante Verbesserung für agile Robotersysteme bedeuten könnte. Die Ergebnisse des ambitionierten Forschungsvorhabens wurden am Mittwoch, 20. Januar, in der renommierten Fachzeitschrift Science Robotics veröffentlicht.
Bewegungsabläufe durch Robotik anschaulich machen
„Einer der großen Vorteile von bioinspirierten Robotern ist die Möglichkeit, Ideen über biologische Funktionsprinzipien zu testen, die anders sehr schwer zu überprüfen wären. Robotik funktioniert idealerweise in zwei Richtungen. Wir lernen etwas über die Biologie und entwickeln etwas technisch Anwendbares“, erläutert Erstautor Büsse die Methodik hinter seinem Projekt.
Mithilfe verschiedener interdisziplinärer Analysetechniken konnte das Team zunächst die Funktionsweise der Fangmaske entschlüsseln. Berechnungen ergaben, dass ihre Muskulatur nicht über ausreichend Leistung verfügt, um die beobachteten Bewegungen ohne zusätzliche Energiespeicher auszuführen. Der Vortrieb der Mundwerkzeuge der Libellenlarven funktioniere demnach vielmehr über ein steuerbares Katapultsystem: eine innere, elastische Struktur im Libellenkopf, die wie eine Sprungfeder von einem Muskel gespannt wird. Hierbei werde die Energie des Muskels gespeichert. Die beiden Segmente der Fangmaske sind miteinander verbunden und werden durch einen gemeinsamen Mechanismus arretiert und ausgelöst.
Nach vielfältigen, modernen Struktur- und Bewegungsanalysen am Ende einen funktionierenden, bioinspirierten Roboter hier in Kiel zu entwickeln, der durch seinen speziellen Aufbau einen tieferen Einblick in die Funktionsweise des biologischen Vorbildes ermöglicht hat – das war fantastisch.
Professor Stanislav N. Gorb
Derartige Systeme seien im Tierreich zwar weit verbreitet und fänden sich beispielsweise bei Heuschrecken, Zikaden oder Fangschreckenkrebsen, so die Kieler Forscher. Die Besonderheit bei der Libellenlarve liege jedoch darin, dass hier erstmals ein synchronisiertes, duales Katapultsystem beschrieben sei. „Zwei Katapulte liegen in einer Struktur, können aber individuell vorgespannt werden. Sie arbeiten zusammen, um die Fangmaske präzise zu steuern“, ergänzt Alexander Köhnsen, Student und Projektbeteiligter.
Mit Biomechanik zu effizienteren Robotersystemen
„Wir haben unsere Hypothese des komplexen Ablaufes mittels 3D-Animationen der Vorgänge visualisiert, um sie verständlicher zu kommunizieren“, so Köhnsen weiter. Dabei wurde auch deutlich, dass die unabhängige Steuerung von zwei Katapulten innerhalb eines Systems eine bessere Kontrolle bedeute. Anwendung könnte die Technologie in der Entwicklung besonders agiler Roboter finden. „Unser System erlaubt eine bessere Steuerung eines katapultgetriebenen Vorganges, zum Beispiel dem Springen, wodurch zusätzliche Kontroll- und Stabilisationssysteme kleiner und leichter ausfallen sollten. Dies könnte die Leistung und Effizienz solcher Roboter erhöhen“, so Projektleiter Büsse.
Publikation:
Büsse, S., Koehnsen A., Rajabi H., Gorb S.N.
A controllable dual-catapult system inspired by the biomechanics ofthe dragonfly larvae’s predatory strike
Science Robotics 6, eabc8170 (2021)
©Esther Appel
Förderung
Das Forschungsprojekt „Von der Larve zum Imagine - Morphologie und Materialzusammensetzung der Mundwerkzeugen von Odonata mit Fokus auf die Biomechanik und Ontogenese” wird seit 2014 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Einen ersten Testlauf dafür hat es bereits gegeben. Um seine Hypothesen zu überprüfen, hat das Forschungsteam erfolgreich einen Roboter im 3D-Druckverfahren gefertigt. Professor Stanislav N. Gorb, Leiter der Abteilung Funktionelle Morphologie und Biomechanik und Seniorautor der Studie zieht Bilanz: „Nach vielfältigen, modernen Struktur- und Bewegungsanalysen am Ende einen funktionierenden, bioinspirierten Roboter hier in Kiel zu entwickeln, der durch seinen speziellen Aufbau einen tieferen Einblick in die Funktionsweise des biologischen Vorbildes ermöglicht hat – das war fantastisch.“
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.