Ein Wrack und ein Strand als Real-Labor
Bio-News vom 14.07.2022
Über fünf Milliarden Plastikteilchen schwimmen an der Oberfläche unserer Meere, zum großen Schaden für die Lebewesen und das empfindliche Ökosystem unter Wasser, ja sogar für das Klima. Wie lange es dauert, bis das Plastik vollständig abgebaut ist, ließ sich bisher nur aus Labordaten hochrechnen.
Forschende aus Stuttgart führten nun an Kunststoffpellets, die bei einem Schiffsunglück im Roten Meer freigesetzt wurden, eine Studie durch, die hilft, die Alterungsprozesse von Plastik besser zu verstehen.
Publikation:
Brümmer, F., Schnepf, U., Resch, J., Jemmali, R., Abdi, R., Kamel, H. M., Bonten, C., & Müller, R.-W.
In situ laboratory for plastic degradation in the Red Sea
Sci Rep 12, 11956 (2022)
DOI: 10.1038/s41598-022-15310-7
Download als PDFEs war ein Schiffsunglück zum Nutzen der Wissenschaft: Im Juni 1993 havarierte das Frachtschiff SS Hamada in schwerer See über einem Korallenriff vor der Küste Ägyptens, brach in zwei Teile und sank – voll beladen mit Plastikgranulat – mitten im Naturschutzgebiet. Doch die Katastrophe barg auch eine Chance: Ein Teil der Kunststoffpellets wurde an den Strand gespült, der andere Teil verblieb bis heute in den gefluteten Laderäumen des Wracks. Dadurch ergab sich erstmals die Möglichkeit, vergleichende Untersuchungen zum Abbau der Kunststoffpellets unter diesen sehr unterschiedlichen Bedingungen durchzuführen.
Bisher gab es zwar Schätzungen, wonach es mehrere Jahrhunderte bis einige Jahrtausende dauert, bis beispielsweise Polyethylen, einer der am häufigsten hergestellten Kunststoffe, vollständig in den Ozeanen abgebaut wird. Diese Zahlen sind allerdings mit einer großen Unsicherheit behaftet, da die Hochrechnungen zum größten Teil auf Laboruntersuchungen beruhen. „Langzeitstudien zum Abbau von Plastik in den Meeren hingegen fehlen bislang, da es unter anderem nicht möglich ist, das Alter des Plastikmülls zu bestimmen“, erklären Prof. Dr. Franz Brümmer und Uwe Schnepf vom Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme der Universität Stuttgart.
Die beiden Wissenschaftler leiten ein Konsortium, dem die Wissenschaftliche Tauchgruppe (WiTUS) und das Institut für Kunststofftechnik der Universität Stuttgart, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie ein ägyptischer Kooperationspartner angehören. Im Jahr 2016 wurden zunächst im Rahmen von wissenschaftlichen Tauchgängen Kunststoffpellets aus dem Wrack gesammelt, ebenso auch vom Strand. Diese Pelletproben untersuchte das Konsortium dann mit unterschiedlichen Methoden.
Große Unterschiede beim Abbau
In den mikroskopischen, chemischen und mechanischen Tests zeigten sich schnell große Unterschiede hinsichtlich der Abbauprozesse: „Während der Zerfall der Plastikpellets am Strand bereits im vollen Gange ist, zeigen die Plastikpellets, die in 18 m Wassertiefe im Wrack eingeschlossen sind, bisher kaum Anzeichen für einen beginnenden Abbau“, berichten Brümmer und Schnepf. Damit tragen die Ergebnisse der Stuttgarter Studie tragen dazu bei, den Einfluss verschiedener Umweltfaktoren wie UV-Strahlung, hohe Temperaturen und große Temperaturunterschiede auf die Alterung von Plastik besser zu verstehen und so letztlich genauere Erkenntnisse für den Abbau von Plastik im Meer zu erhalten.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Stuttgart via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.