Gibt es fischverträgliche Wasserkraftwerke?



Bio-News vom 07.10.2020

Auch moderne Wasserkraftwerke schützen Fische nicht immer besser als konventionelle. Neben der Technologie spielen auch der spezifische Standort des Kraftwerks und die dort vorkommenden Fischarten beim Fischschutz eine Rolle. Ein Forschungsteam an der Technischen Universität München (TUM) hat verschiedene Anlagentypen verglichen und systematisch untersucht, welche Wirkungen diese auf Fische und ihren Lebensraum haben. Detaillierte Erkenntnisse können künftig Planungen und Umrüstungen verbessern.

Wasserkraftwerke leisten einen Beitrag zur nachhaltigen Energieversorgung. Sie sind emissionsarm und damit klimafreundlich. Doch sie beeinflussen den Lebensraum von Fischen und anderen Lebewesen im Fließgewässer. Jürgen Geist, Professor für Aquatische Systembiologie an der TUM, untersucht mit seinem Team seit 2014 Wasserkraftanlagen hinsichtlich ihrer Wirkung auf abwärts wandernde Fische sowie deren Auswirkungen auf den Gewässerlebensraum.

Sieben Anlagen mit vier unterschiedlichen Kraftwerkstechnologien hat das Forschungsteam bisher in Bayern analysiert. Dies sind sowohl moderne Wasserkraftwerke als auch konventionelle Anlagen.


Kontrollieren der unterhalb des Kraftwerks angebrachten Fangnetze und Entnahme der gefangenen Fische.

Publikation:


Müller, M., Knott, J., Pander, J., Geist, J.
Fischökologisches Monitoring an innovativen Wasserkraftanlagen

Technische Universität München



Fischschäden und Qualität des Lebensraums im Wasser beurteilen

Um herauszufinden, ob Fische durch die Wasserkraftanlagen zu Schaden kommen, hat das Team von Prof. Geist stromabwärts der Turbinen, Überläufe und Fischpässe Netze aufgestellt, in denen mehr als 70.000 Fische gefangen wurden. Die Forschenden haben untersucht, ob und wie Fische verletzt wurden und ob sie dadurch gestorben sind. Rund 8.500 Fische wurden zusätzlich geröntgt, um Hinweise auf innere Verletzungen zu erhalten. Zudem hat das Team um Prof. Geist auch die Zusammensetzung der aquatischen Lebensgemeinschaft (Fische, Wirbellose, Wasserpflanzen, Algen) und Umweltfaktoren (z.B. Temperatur, gelöster Sauerstoff, pH-Wert) im Ober- und Unterwasser der Wasserkraftanlagen untersucht.

Neue Wasserkraftanlagen sind nicht immer besser für Fische

„Die Mortalitätsraten an den technisch neueren Anlagen waren nicht immer geringer als an den konventionellen Anlagen“, berichtet Geist über die Ergebnisse seiner umfangreichen Studie. Bislang war man davon ausgegangen, dass moderne Anlagen, wie etwa Wasserkraftschnecken oder Kraftwerke mit VLH-Turbinen, Fische besser schützen können. VLH steht für „Very-low-head“ (sehr niedrige Fallhöhe) – die Turbinen sind langsam drehend und gelten daher als „fischverträglich“, da Fische hindurchschwimmen können. Die Studie zeigt allerdings: Es gibt keine Anlagen- und Turbinentechnik, die per se Fische besser schützt als andere. Vielmehr hängt der Tierschutz davon ab, wie die Technologien eingesetzt werden, welche Arten im Gewässer vorkommen und welche Gegebenheiten an den jeweiligen Standorten vorzufinden sind.

Bei VLH-Turbinen, wie sie am Untersuchungsstandort Au an der Iller verbaut ist, kam es zu „relativ geringen Schäden“, sagt Prof. Geist. Zu beachten sei aber hier, dass bei einer Fallhöhe von vier Metern an einem anderen Untersuchungsstandort auch bei diesem Anlagentyp die Überlebenswahrscheinlichkeit für Fische deutlich sinkt. Auch der Aspekt, ob die Anlage in Voll-Last oder Teil-Last läuft, wirkt sich auf das Wohl der Fische aus. Die Empirie hat gezeigt, dass Äschen und Bachforellen beim Betrieb der VLH-Turbine mit hoher Last mit einer höheren Wahrscheinlichkeit wohlbehalten das Kraftwerk passieren, als wenn die Anlage mit niedriger Last betrieben wird.

Ausweichmöglichkeiten für Fische optimieren

Der Großteil des Fischbestands, insbesondere kleine Fische, folgten der Hauptströmung und wurde auch durch Fischschutzrechen nicht davon abgehalten, die Turbinenräume zu passieren. Die an den Kraftwerken angelegten Bypässe, in denen die Fische die Anlagen bei ihrer Wanderung flussaufwärts umschwimmen können, werden von den meisten Tieren für den Abstieg nicht verwendet. Ein weiteres Ergebnis: Aalrohre werden praktisch nicht genutzt. Zum Aalschutz im natürlichen Verbreitungsgebiet des Aals in Bayern (komplettes Main-Einzugsgebiet) schlagen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor, während der Hauptwanderzeiten in den Nächten im Herbst die Spülklappen, die an Wehren zum Durchlassen von Ästen oder größeren Anschwemmungen vorhanden sind, 10 bis 20 Zentimeter zu öffnen. Dieses Angebot nehmen Aale den Beobachtungen zufolge deutlich lieber wahr.

Lebensraum Fluss verbessern

Auch die Gewässerökologie rund um die Anlage nahmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Blick. „Die negativen Auswirkungen der Unterbrechung des Fließgewässers durch die Querbauwerke sollten bestmöglich kompensiert werden. Wir empfehlen, dass Ersatzlebensräume für Fische und andere Lebewesen im Wasser geschaffen werden und wann immer möglich eine Renaturierung erfolgen sollte“, erklärt Geist. „Die Ergebnisse der Studie wurden für jeden Untersuchungsstandort mit allen Beteiligten vor Ort diskutiert. Deshalb sind bereits Verbesserungen erarbeitet worden“, sagt Geist. Die differenzierte Untersuchung bietet nun einen breiten Katalog an Einflussfaktoren, die für weitere Planungen von Kraftwerken oder bei Wiederbewilligungen helfen können.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Technischen Universität München via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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