Kollisionsrisiko für Fledermäuse bei großen Windkraftanlagen
Bio-News vom 14.11.2022
Um Fledermäuse vor der Kollision mit Windenergieanlagen zu schützen, werden in Genehmigungsverfahren akustische Erhebungen durchgeführt. Diese erfassen die Aktivität der Tiere in der Risikozone der drehenden Rotorblätter und helfen somit, Abschaltzeiten zur Verminderung des Kollisionsrisikos zu definieren. In einer neuen Untersuchung zeigte ein Forschungsteam, dass diese akustischen Erhebungen unzureichend sind, wenn Fledermäuse ungleichmäßig in der Risikozone verteilt sind und wenn der Erfassungsbereich der akustischen Detektoren zu klein ist – wie es bei großen Anlagen der Fall ist.
Aufgrund dieser Forschungsergebnisse sollten die akustischen Erhebungen regelmäßig durch Schlagopfersuche begleitet und die akustischen Erhebungen gegebenenfalls um weitere Ultraschalldetektoren zum Beispiel am unteren Streifpunkt der Rotorblätter ergänzt werden, so das Team in einem Aufsatz in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Conservation Science and Practice“.
Publikation:
Voigt CC, Scherer C, Runkel V
Modelling the power of acoustic monitoring to predict bat fatalities at wind turbines
Conservation Science and Practice (2022)
DOI: 10.1111/csp2.12841
Energieproduktion aus Windkraft ist ein wichtiges Standbein der deutschen Energiewende, um die Abhängigkeit von fossilen und nuklearen Energieträgern zu reduzieren und eine klimaneutrale Energieproduktion zu erreichen. Die Bundesregierung formulierte jüngst ehrgeizige Ziele zum schnellen Ausbau der Windenergieproduktion auf 2 Prozent der Fläche Deutschlands. Um die Energieausbeute zu maximieren, kommen dabei immer häufiger große Windenergieanlagen (WEA) mit besonders langen Rotorblättern zum Einsatz. Jedoch kollidieren viele seltene und geschützte Fledermäuse an Windenergieanlagen.
„Das massenhafte Sterben lässt sich verhindern, wenn die Anlagen in Zeiten hoher Fledermausaktivität zeitweise abgestellt werden. Die Einbußen in der Energieproduktion sind klein und sollten angesichts der günstigen Energieproduktion aus Windkraft tolerierbar sein“, sagt PD Dr. Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Leibniz-IZW.
Im Rahmen von Genehmigungsverfahren wird die Aktivität von Fledermäusen in der Risikozone von WEA – jener Bereich, der von den Rotorblättern durchstreift wird – mit Hilfe von Ultraschalldetektoren erfasst. Damit sollen jene Zeiten und Umweltbedingungen wie Umgebungstemperatur und Windstärke ermittelt werden, bei denen Fledermäuse aktiv sind und bei denen somit die Anlagen zeitweise abgestellt werden sollten. „Um wirksame Abschaltzeiten für den Fledermausschutz zu formulieren, müssen die akustischen Erhebungen insbesondere in der Risikozone der drehenden Rotorblätter durchgeführt werden. Tatsächlich werden aktuell die WEA immer größer und die akustische Erfassung mit Ultraschalldetektoren hält mit dieser technischen Entwicklung nicht Schritt. Die technischen Lösungen zum Schutz von Fledermäusen könnten deshalb an großen Anlagen unwirksam werden, was potenziell auf Kosten der Fledermäuse wie auf Kosten der Energieproduktion geht.“
Gemeinsam mit einem Kollegen des Leibniz-IZW sowie einem Experten für die akustische Erfassung von Fledermäusen an WEA untersuchte Voigt deshalb, welche Faktoren die Vorhersagegüte der relevanten analytischen mathematischen Modelle beeinflussen. Dazu variierten sie in einer mathematischen Simulation sowohl die räumliche Verteilung der Fledermäuse als auch den Erfassungsbereich der Ultraschalldetektoren in der Risikozone der Rotorblätter. Der Erfassungsbereich der Ultraschallgeräte nimmt mit der Länge der Rotorblätter und mit zunehmender Echoortungsfrequenz der lokal vorkommenden Fledermäuse ab. Hochfrequente Echoortungsrufe werden bei der Schallausbreitung besonders stark gedämpft und können deshalb von Ultraschalldetektoren nur über kurze Distanzen von 10-20 Metern erfasst werden.
Die Autoren stellten fest, dass bei einer gleichmäßigen Verteilung der Durchflüge von Fledermäusen in der Risikozone der WEA die Vorhersagen der Modelle akkurat sind, auch bei großen Anlagen. Fledermausarten mit tieffrequenten Echoortungsrufen wurden ebenfalls ausreichend erfasst, da deren Rufe über relativ weite Distanzen tragen.
Wenn jedoch die Fledermäuse ungleichmäßig in der Risikozone verteilt sind, kommt es je nach räumlicher Verteilung zu Unter- oder Überschätzungen der akustischen Aktivität in der Risikozone und somit zu fehlerhaften Abschaltzeiten. Eine Unterschätzung kann es auch dann geben, wenn an den WEA besonders häufig Fledermäuse mit hochfrequenten Echoortungsrufen anfliegen. „Wird die akustische Aktivität der Fledermäuse unterschätzt, werden die WEA zu kurz und zu falschen Zeiten abgeschaltet und es kommen viele Fledermäuse zu Tode. Wird hingegen die akustische Aktivität überschätzt, sind die Abschaltungsvorschriften zu strikt und die WEA produzieren keine Energie, obgleich keine Fledermäuse in Gefahr sind“, sagt Voigt. „Wir könnten die akustische Erfassung bei großen WEA zum Beispiel durch empfindlichere und zusätzliche Ultraschalldetektoren verbessern. Und natürlich würde es helfen, wenn wir die räumliche Verteilung der Durchflüge von Fledermäusen an WEA besser verstünden und somit lokal präzise vorhersagen können.“ Dadurch ließe sich der Schutz von Fledermäusen vor allem an den neuen großen Anlagen unter Optimierung der Energieausbeute verbessern. Zusätzlich müsste über die Schlagopfersuche an neuen WEA geprüft werden, ob die empfohlenen Abschaltzeiten greifen. „Vertrauen in solche Modelle ist gut, Kontrolle ist besser“, empfiehlt Voigt.
WEA stellen weltweit ein großes Artenschutzproblem dar, da viele Fledermäuse und Greifvögel an den Anlagen zu Tode kommen. Besonders ziehende Fledermausarten und solche, die im offenen Luftraum nach Insekten jagen, sind vom Schlag an WEA betroffen. Der wirksamste Schutz für Fledermäuse besteht darin, nur an solchen Orten WEA zu errichten, an denen eine geringe Fledermausaktivität besteht, so die Autoren. Wenn die WEA in Betrieb genommen werden, solle die Anlage darüber hinaus in Zeiten hoher Fledermausaktivität abgestellt werden. Dies wird bei ungefähr 25% der 30.000 Anlagen, die in Deutschland in Betrieb sind, praktiziert. Bei mehr als 20.000 Altanlagen wird in Deutschland kein Fledermausschutz praktiziert. Da im Durchschnitt an jeder WEA pro Jahr 15 Fledermäuse zu Tode kommen, liegt die geschätzte Schlagopferzahl von Fledermäusen an WEA in Deutschland bei einhundert bis zweihundert tausend Fledermäusen pro Jahr. „Präzise und wirksame Abschaltauflagen für den Fledermausschutz sollten sowohl für neue als auch für alte WEA die Regel sein, um eine ökologisch nachhaltige Energiewende zu erreichen“, schließt Voigt.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V. via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.