Neues von Orang-Utans und ihren ausgestorbenen Vorfahren
Bio-News vom 09.08.2022
Ökologische Kontinuität zwischen Orang-Utans und ausgestorbenen Vorfahren zeigt Abhängigkeit von intakten Regenwäldern. Ein internationales Forschungsteam hat im Rahmen des Kooperationsprojektes EVEPRIMASIA der Universitäten Tübingen und Poitiers (Frankreich) den Lebensraum von Orang-Utan-Vorfahren im heutigen Myanmar rekonstruiert. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen die Abhängigkeit der Orang-Utans von intakten Waldflächen und die Notwendigkeit, ihre letzten Rückzugs- und Lebensräume zu schützen.
Im Unterschied zu anderen Menschenaffen wie Gorillas oder Schimpansen sind von Orang-Utans (Pongo) gleich mehrere fossile Vorfahren bekannt. Heute sind Orang-Utans nur noch auf den südostasiatischen Inseln Borneo und Sumatra heimisch und dort stark bedroht. „Das Verbreitungsgebiet ihrer Vorfahren im späten Miozän dagegen erstreckte sich über ein riesiges Gebiet von der Türkei, über das östlichste Pakistan, Indien, Nepal und Myanmar bis nach Thailand“, berichtet Paläobiologin Sophie Habinger.
Publikation:
Habinger, S.G., Chavasseau, O., Jaeger, JJ. et al.
Evolutionary ecology of Miocene hominoid primates in Southeast Asia
Sci Rep 12, 11841 (2022)
DOI: 10.1038/s41598-022-15574-z
Im Zentrum der Studie steht der Orang-Utan-Vorfahr Khoratpithecus ayeyarwadyensis, dessen Fossilien in der Irrawaddy-Formation im heutigen Myanmar gefunden wurden, sowie weitere fossile Vertreter der Subfamilie Ponginae wie Indopithecus, Sivapithecus und Gigantopithecus. Die Rekonstruktion ihres Lebensraums und dessen Nutzung ermöglicht wichtige Rückschlüsse für die Bedürfnisse und den Schutz heutiger Orang-Utans: „Um effiziente Strategien zum Schutz bedrohter Arten auszuarbeiten, brauchen wir ein gutes Verständnis ihrer ökologischen Flexibilität. Ein Weg, an diese Information zu gelangen, ist die Erforschung der Ökologie ihrer Vorfahren“, erläutert Letztautor Hervé Bocherens.
Die Forschenden nutzten ein Verfahren zur Messung stabiler Kohlenstoff- und Sauerstoff-Isotope in fossilem Zahnschmelz, um den Lebensraum des Orang-Utan-Vorfahren K. ayeyarwadyensis und der ihn umgebenden Säugetierfauna zu rekonstruieren: Im späten Miozän war das Gebiet der Irrawaddy-Formation – heute eine eher karge Region – ein Mosaik von dichten und offeneren Waldflächen, unterbrochen von Flussläufen. Seine Nahrung aus Früchten und Blättern suchte K. ayeyarwadyensis wohl in den oberen Bereichen des Baumkronendachs.
„Damit war der Lebensraum von K. ayeyarwadyensis dem heutiger Orang-Utans sehr ähnlich. Insgesamt zeigt der Vergleich auch mit anderen Vorfahren wie Sivapithecus, dass sich die ökologischen Nischen der Arten ähneln: Alle sind Baumbewohner, die sich hauptsächlich von Früchten ernähren. Gleichzeitig konnten wir auch sichtbare Unterschiede bei der Nutzung des Lebensraums rekonstruieren – beispielsweise bei der Nahrungszusammensetzung – und damit eine Anpassung an eine ganz bestimmte Nische“, berichtet Bocherens.
Im Laufe des Pleistozäns verschob sich der Lebensraum der Ponginae nach Süden, vermutlich bedingt durch ein stetig kühler und trockener werdendes Klima, das die Vegetation veränderte und die Waldflächen ausdünnte. Die Vorfahren der Orang-Utans verschwanden. „Die Ergebnisse unserer Studie deuten auf eine ökologische Kontinuität zwischen allen fossilen und heute lebenden Ponginae hin. Dabei legt die Verschiebung des Verbreitungsgebietes innerhalb der letzten 10 Millionen Jahre eine geringe Toleranz dieser Gruppe für weniger bewaldete und trockenere Ökosysteme nahe“, erklärt Olivier Chavasseau von der Université de Poitiers.
Habinger führt aus, was diese Erkenntnisse für die heute lebenden Orang-Utans bedeuten: „Die Orang-Utans auf Sumatra und Borneo sind beständigem Druck durch den Menschen und den Verlust von Lebensraum ausgesetzt. Wenn auch dort der Wald durch Rodungen immer weiter fragmentiert wird, droht den Orang-Utans dasselbe Schicksal wie ihren Vorfahren: Sie werden aussterben. Hier müssen effiziente Maßnahmen zum Schutz ihres Lebensraums entgegenwirken.“
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseen via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.