Schwarmintelligenz als Folge physikalischer Mechanismen



Bio-News vom 14.01.2023

Scheinbar spontan koordiniertes Schwarmverhalten in großen Tierverbänden ist ein faszinierendes und auffälliges kollektives Phänomen. Experimente von Forschenden der Universität Leipzig an laserbetriebenen synthetischen Mikroschwimmern zeigen nun, dass vermeintliche Schwarmintelligenz zuweilen auch die Folge simpler und generischer physikalischer Mechanismen sein kann.

Ein Physikerteam um Prof. Dr. Frank Cichos und Prof. Dr. Klaus Kroy fand heraus, dass Schwärme synthetisch hergestellter Brownscher Mikroschwimmer den Eindruck erwecken können, dass sie sich spontan entscheiden, ihren Zielpunkt zu umkreisen statt diesen direkt anzusteuern.


Ein natürlicher Schwarm.

Publikation:


Wang, X., Chen, PC., Kroy, K. et al.
Spontaneous vortex formation by microswimmers with retarded attractions
Nat Commun 14, 56 (2023)

DOI: 10.1038/s41467-022-35427-7



Ihre Erkenntnisse haben sie gerade in dem renommierten Fachjournal “Nature Communications” veröffentlicht. "Die wissenschaftliche Erforschung von Herden- und Schwarmverhalten basiert in der Regel auf Feldbeobachtungen. In solchen ist es meistens schwierig, die inneren Zustände der Herdentiere zuverlässig zu erfassen“, erklärt Kroy. Daher stütze man sich in der Interpretation der Beobachtungen häufig auf plausibel klingende Vermutungen darüber, welche individuellen Verhaltensregeln für die beobachteten komplexen kollektiven Verbände nötig sind. Deshalb suchten und fanden die Forschenden der Universität Leipzig ein experimentelles Modellsystem von Mikroschwimmern, das Eigenschaften natürlicher Schwarmintelligenz hervorbringt, aber gleichzeitig eine vollständige Kontrolle über die internen Zustände, Strategien und Wahrnehmungs-Reaktions-Schaltkreise der Individuen bietet.


Das Foto zeigt die im Experiment für die Koordination von Schwärmen aus synthetischen Brownschen Mikroschwimmern verwendete Laseroptik.

Dank einer ausgeklügelten Laserheizung (siehe Bild) können sich die nur unter dem Mikroskop sichtbaren kolloidalen Schwimmer in einem Wasserbehälter einerseits durch eine Art "thermophoretischen Raketenantrieb" aktiv selbst fortbewegen, während ihre Fahrt andererseits durch die Brownsche Molekularbewegung permanent in zufälliger Weise gestört wird. "Der experimentelle Aufbau bietet abgesehen von der in der Mikrophysik allgegenwärtigen Brownschen Zufallsbewegung eine vollständige Kontrolle über die physikalischen Parameter und Navigationsregeln der einzelnen Kolloide und ermöglicht Langzeitbeobachtungen an Schwärmen variabler Größe“, sagt Cichos.

Schwimmer bilden auf einmal ein Karussell

Schon mit einer sehr einfachen und generischen Navigationsregel, die von allen Schwimmern identisch befolgt wird, ergebe sich ein überraschend komplexes Schwarmverhalten, so Cichos. Zielen beispielsweise alle Schwimmer auf denselben festen Raumpunkt, kann sich anstelle eines dichten Pulks auch eine Art Karussell bilden. Ähnlich wie Satelliten oder Atom-Elektronen umkreisen die Schwimmer dann ihr Attraktionszentrum auf unterschiedlich hohen Kreisbahnen. Die einzige dazu nötige "intelligente" Verhaltensregel ist, dass der Raketenantrieb mit einer gewissen Zeitverzögerung auf die Umgebungswahrnehmung reagiert, was in natürlichen Schwarmphänomenen vom Mückentanz bis zum Straßenverkehr sowieso meist unvermeidlich sein dürfte.

Es stellt sich heraus, dass ein derartiger "Spätzünder"- oder "Schrecksekunden"-Effekt allein ausreicht, um komplexe dynamische Muster zu bilden, wie etwa das erwähnte Karussell. "Physikalisch gesprochen, kann jeder einzelne Schwimmer spontan die radiale Symmetrie des Aufbaus brechen und in Kreisbewegung übergehen, wenn das Produkt aus Verzögerungszeit und Schwimmgeschwindigkeit nur groß genug wird“, erläutert Kroy. Dagegen seien die Umlaufbahnen größerer Schwärme und deren Synchronisation und Stabilisation von weiteren Details abhängig, wie etwa von den sterischen, phoretischen und hydrodynamischen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Schwimmern.



Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Leipzig via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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