Tote Greifvögel durch Nagetiergifte



Bio-News vom 23.03.2021

Der vermehrte Einsatz von Chemikalien in vielen Bereichen unseres Lebens führte in den letzten Jahrzehnten zu einer Belastung von Wasser, Böden und (Wild-)tieren. Neben Pflanzenschutzmitteln sowie Human- und Veterinärarzneimitteln führten auch Nagetiergifte (Rodentizide) zu toxischen Effekten in Wildtieren.

Eine neue Untersuchung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), des Umweltbundesamtes (UBA) und des Julius-Kühn-Instituts (JKI) belegt, dass diese Stoffe in der Leber von Greifvögeln in Deutschland nachweisbar sind. Häufig gefunden wurden Blutgerinnungshemmer (Antikoagulantien), die gegen Nagetiere in der Land- und Forstwirtschaft und in Städten eingesetzt werden. Besonders mit Rodentiziden belastet sind Habichte im städtischen Raum in Berlin sowie Rotmilane. Der Nachweis dieser Gifte auch in Seeadlern zeigt, dass auch Vögel, die eher menschenferne Lebensräume bevorzugen, nicht vor Belastungen gefeit sind. Die Untersuchung, die vom WWF Deutschland unterstützt wurde, ist in der Fachzeitschrift „Environmental Research“ veröffentlicht.


Habicht in Berlin

Publikation:


Badry A, Schenke D, Treu G, Krone O
Linking landscape composition and biological factors with exposure levels of rodenticides and agrochemicals in avian apex predators from Germany

Environmental Research 193, 110602 (2021)

DOI: 10.1016/j.envres.2020.110602



Vogelbestände in Europa verzeichnen einen erheblichen Rückgang. Zu den Treibern dieses Rückgangs gehören fortschreitende Verstädterung, zunehmende Intensivierung der Agrarlandschaft, massiver Rückgang der Insektenpopulationen sowie der Eintrag von Stoffen in die Umwelt, die mit den genannten Landnutzungsformen in Verbindung stehen. „Es ist bekannt, dass Greifvögel besonders empfindlich auf Schadstoffe reagieren, die sich in den Körpern akkumulieren“, sagt Dr. Oliver Krone, Greifvogelspezialist in der Leibniz-IZW-Abteilung für Wildtierkrankheiten. Gemeinsam mit Doktorand Alexander Badry vom Leibniz-IZW und den Kollegen Dr. Detlef Schenke vom JKI und Gabriele Treu vom UBA analysierte er nun im Detail, welche Substanzen in zwischen 1996 bis 2018 verstorbenen Rotmilanen (Milvus milvus), Habichten (Accipiter gentilis), Sperbern (Accipiter nisus), Seeadlern (Haliaeetus albicilla) und Fischadlern (Pandion haliaetus) nachweisbar sind.

Insgesamt überschritten 18 Prozent der Habichte und 14 Prozent der Rotmilane den Schwellenwert von 200 ng/g Körpergewicht für akute Vergiftungen, was vermutlich zu sinkenden Überlebensraten von Rotmilanen in Deutschland beiträgt. „Bei Seeadlern fanden wir in fast 40 Prozent unserer Proben Rodentizide in niedrigeren Konzentrationen, während die Akkumulation bei Sperbern und Fischadlern gering oder gleich null war.“ Insgesamt wiesen mehr als 50 Prozent der Vögel Rodentizide in ihrem Lebergewebe auf, in etwa 30 Prozent fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr als eines der insgesamt 6 nachgewiesenen Rodentizide.

„Vergiftungen durch Rodentizide stellen eine wichtige Todesursache für Greifvögel dar“, folgern Badry und Krone. Es habe sich gezeigt, dass Arten mit Aas als regelmäßigem Bestandteil ihres Nahrungsspektrums ein hohes Risiko aufweisen, mit den Nagetiergiften in Kontakt zu kommen. Der Einsatz dieser Rodentizide ist nicht auf die landwirtschaftliche Anwendung in Ställen oder zur Feldmausbekämpfung beschränkt, denn sowohl in forstwirtschaftlichen Nutzflächen als auch in Städten und Kanalisationen werden häufig Rodentizide zur Bestandsminderung von Nagetierpopulationen eingesetzt.

Die Analysen zeigten, dass je näher der Fundort eines toten Vogels bei menschlichen Strukturen wie Industrieanlagen oder Siedlungen war, desto wahrscheinlicher war der Vogel Rodentiziden ausgesetzt. „Es ist für einen Greifvogel wahrscheinlicher, in der Nähe von Städten Rodentiziden ausgesetzt zu sein, aber dies bedeutet nicht automatisch, dass sich diese Substanzen stärker anreichern“, erklären die Autorinnen und Autoren. Artspezifische Eigenschaften wie regelmäßiges Aasfressen (vor allem Kleinsäuger) oder die Jagd auf Vögel, die direkten Zugang zu Rodentizid-Köderboxen haben, scheinen eher für das Ausmaß der Anreicherung der Gifte verantwortlich zu sein als die Nutzung städtischer Lebensräume an sich. Die Akkumulation geschieht in vielen Einzelschritten und erstreckt sich häufig über das gesamte Leben eines Individuums, weshalb erwachsene Vögel öfter nachweisbare Mengen der Substanzen in der Leber aufweisen als Jungvögel.

Neben Rodentiziden wiesen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch Arzneistoffe wie Ibuprofen (14,3 %) oder Fluorchinolon-Antibiotika (2,3 %) in tot aufgefundenen Vögeln nach. Unter den Pflanzenschutzmitteln wiesen sie in zwei Rotmilanen das bis 2019 zugelassene Insektizid Dimethoat und dessen Metabolit Omethoat nach, in zwei weiteren Rotmilanen das bis 2021 zugelassene Neonicotinoid Thiacloprid. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Gehalte an Dimethoat eine Folge von vorsätzlichen Vergiftungen sind. Die Thiacloprid-Rückstände deuten aufgrund der kurzen Halbwertszeiten in Vogelorganen auf eine Exposition kurz vor dem Tod hin.

Die Ergebnisse dieser Analysen zeigen deutlich, dass insbesondere Rodentizide und vorsätzliche Vergiftungen eine Bedrohung für Greifvögel darstellen, schlussfolgern die Autorinnen und Autoren. Dies gilt sowohl für Aasfresser als auch für Greifvögel, die in oder in der Nähe von städtischen Lebensräumen leben. Daher müssen die Quellen von Rodentiziden entlang der Nahrungskette im Sinne von Sekundärvergiftungen und potenzieller Toxizität für Greifvögel neu bewertet werden, die häufig an der Spitze der Nahrungskette stehen. Darüber hinaus deuten die bei Seeadlern nachgewiesenen Konzentrationen von Rodentiziden darauf hin, dass weitere Untersuchungen zu den Quellen und Verteilungsmechanismen dieser Substanzen in der Umwelt erforderlich sind, da die Zielarten der Rodentizide nicht zum klassischen Nahrungsspektrum des Seeadlers gehören.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V. via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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