Wie eine urzeitliche Seekuh von mehreren Raubtieren angegriffen wurde
Bio-News vom 12.09.2024
Die Entdeckung einer prähistorischen Seekuh, die zunächst von einem Krokodil und anschließend von einem Hai attackiert wurde, liefert neue Erkenntnisse über Jagdverhalten und Nahrungsketten von vor Millionen Jahren.
Eine aktuelle Studie zur Interaktion zwischen Raub- und Beutetieren in prähistorischer Zeit, durchgeführt von Forschenden der Universität Zürich, des Natural History Museum of Los Angeles County und des Museo Paleontológico de Urumaco in Venezuela, hat einen ungewöhnlichen Vorfall enthüllt, bei dem ein einzelnes Tier von mehreren Raubtieren attackiert wurde. Die Untersuchung offenbart, dass in der Region des heutigen Nordwest-Venezuela vor rund 23 bis 11,6 Millionen Jahren eine nun ausgestorbene Seekuhart zuerst von einem prähistorischen Krokodil gejagt und anschließend von einem Tigerhai verzehrt wurde.
Interaktionen in der urzeitlichen Nahrungskette
Tiefe Bisswunden an der Schnauze der Seekuh lassen darauf schließen, dass das Krokodil versucht haben könnte, seine Beute zu erdrosseln, indem es sie an der Nase festhielt. Weitere große Schnitte deuten darauf hin, dass das Krokodil die Seekuh danach zog und riss, vermutlich um eine "Todesrolle" durchzuführen – ein Verhalten, das auch bei heutigen Krokodilen beobachtet werden kann. Ein Zahn eines Tigerhais, der nahe dem Hals der Seekuh gefunden wurde, sowie Bissmarken am Skelett, weisen darauf hin, dass die Überreste später von einem Hai verzehrt wurden. Diese Funde unterstützen die These, dass Nahrungsketten in prähistorischer Zeit ähnlich wie in der Gegenwart funktionierten.
Publikation:
Benites-Palomino, A., Aguirre-Fernández, G., Velez-Juarbe, J., Carrillo-Briceño, J. D., Sánchez, R., & Sánchez-Villagra, M. R.
Trophic interactions of sharks and crocodylians with a sea cow (Sirenia) from the Miocene of Venezuela
Journal of Vertebrate Paleontology (2024)
„Heutzutage beobachten wir oft, dass Kadaver, die von Raubtieren erbeutet werden, von anderen Tieren gefressen werden – aber fossile Beweise für dieses Verhalten sind selten“, sagt der Hauptautor Aldo Benites-Palomino vom Paläontologischen Institut der Universität Zürich. „Während wir bereits früher feststellten, dass Pottwale von mehreren Haiarten gefressen wurden, zeigt diese neue Entdeckung die Bedeutung der Seekühe in der prähistorischen Nahrungskette.“
Obwohl fossile Beweise für Wechselwirkungen in der Nahrungskette existieren, sind sie in der Regel lückenhaft und schwer zu interpretieren. „Unsere Ergebnisse bieten einen seltenen Einblick in die komplexen Raubtier-Beute-Beziehungen des Miozäns vor etwa 23 bis 11,6 Millionen Jahren und sind einer der wenigen Belege dafür, dass sich mehrere Raubtiere von derselben Beute ernährten“, fügt Benites-Palomino an.
Tipp vom Bauern führte zum Fundort
Die Entdeckung der Fossilien erfolgte in der Agua Clara-Formation, die dem frühen bis mittleren Miozän zugeordnet wird, nahe Coro in Venezuela. Die Expedition, geleitet von dem Mitautor Marcelo R. Sanchez-Villagra, brachte ein Teilskelett zum Vorschein, das Teile eines Schädels und achtzehn Wirbel beinhaltete, an einer Stelle, die 100 Kilometer von bisherigen Fundorten in der Region entfernt ist. „Wir erfuhren von dem Fundort durch einen dort ansässigen Bauern, der einige ungewöhnliche Felsen bemerkte“, sagt Sanchez-Villagra, Direktor des Paläontologischen Instituts und Museums der UZH. „Die ersten Fossilien, die wir fanden, stellten sich als Teile von Seekuh-Schädeln heraus – eine überraschende Entdeckung.“
Durch eine gründliche Untersuchung der Geologie und der Sedimente am Fundort war es möglich, das Alter der Fossilien zu bestimmen. Die komplizierte Bergung des Skeletts fand in mehreren Phasen statt, um das große Tier von den umgebenden feinen Sedimenten zu befreien. Der unberührte Zustand der Fundstätte erlaubte es dem Team, die Spuren des Raubtiers klar zu identifizieren. „Wir organisierten eine paläontologische Rettungsaktion, bei der die Fossilien vorsichtig mit einem Schutzgehäuse geborgen wurden“, erklärt Sanchez-Villagra. „Die Bergung dauerte mit einem fünfköpfigen Team etwa sieben Stunden. Die Präparierung und Restaurierung der Schädelelemente nahmen nochmals mehrere Monate in Anspruch.“
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Zürich via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.