Genom des Grönlandhais entschlüsselt



Bio-News vom 12.09.2024

Mit einer geschätzten Lebenserwartung von etwa 400 Jahren ist der Grönlandhai (Somniosus microcephalus) das langlebigste Wirbeltier der Welt. Einem internationalen Forscherteam ist es jetzt gelungen, das Genom dieses bedrohten Bewohners der Tiefen des nördlichen Atlantiks und des Arktischen Ozeans zu sequenzieren. Erste Ergebnisse wurden jetzt auf der Plattform bioRxiv veröffentlicht.

Die Analyse der Daten legt nahe, dass eine verbesserte DNA-Reparatur eine wichtige Rolle für seine extreme Langlebigkeit spielen könnte. Die Arbeit des Teams zur Entschlüsselung des Erbgutes soll dabei helfen, neues Licht auf die allgemeinen Mechanismen der Langlebigkeit zu werfen.



Die Forscher erwarten, dass die Studie über den Grönlandhai auch für viele andere Organismen von entscheidender Bedeutung sein kann. „Die Erforschung der genetischen Grundlagen des großen Spektrums von Lebensspannen im Tierreich ermöglicht es uns auch, die allgemeinen Mechanismen der Langlebigkeit besser zu verstehen“, erklärt Alessandro Cellerino, Neurobiologe und Assoziierter Forschungsgruppenleiter am FLI und Professor an der Scuola Normale Superiore (SNS) in Pisa, Italien.


Schnauze vom Grönlandhai

Publikation:


Arne Sahm, Alexander Cherkasov, Hequn Liu et al.
The Greenland shark (Somniosus microcephalus) genome provides insights into extreme longevity

biorXiv Preprint

DOI: https://doi.org/10.1101/2024.09.09.611499



Nur wenige komplexe Tiere können den Menschen überleben, z.B. Riesenschildkröten wie Jonathan, ein 191-jähriges Exemplar, das derzeit auf St. Helena lebt. Doch diese Rekorde verblassen im Vergleich zum Grönlandhai. Das Wissenschaftlerteam des FLI, der Ruhr-Universität Bochum, der SNS und der Universität Kopenhagen, Dänemark, hat in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen das Genom dieser besonderen Art sequenziert und erste Ergebnisse auf der Plattform bioRxiv veröffentlicht. Auch die Genomsequenz ist nun verfügbar. Erste Analysen deuten darauf hin, dass die Fähigkeit des Grönlandhais, seine DNA zu reparieren, einer der Schlüssel zu seiner extremen Langlebigkeit sein könnte.

Eine der ersten Herausforderungen des Projekts war die schiere Größe des Hai-Genoms. Mit 6,5 Milliarden Basenpaaren ist der genetische Code des Grönlandhais doppelt so lang wie der des Menschen und das umfangreichste aller zurzeit bekannten Hai-Genome. „Bisher wurden nur wenige Tiere sequenziert, die ein noch größeres Genom aufweisen“, sagt Arne Sahm, der Erstautor der Studie, und verweist dabei auf den Axolotl und kürzlich veröffentlichte Genomstudien zum Lungenfisch.


An der Studie beteiligte Forscher des Fritz-Lippmann-Instituts (FLI) in Jena

Ebenso wie beim Axolotl und dem Lungenfisch ist die enorme Größe des Grönlandhai-Genoms in erster Linie auf das Vorhandensein repetitiver und sich häufig selbst replizierender Elemente zurückzuführen. Solche transponierbaren Elemente, manchmal auch als springende Gene bezeichnet, machen über 70 % des Grönlandhai-Genoms aus. Dies ist erstaunlich, da ein hoher Anteil transponierbarer Elemente zumeist als schädlich angesehen wird. Tatsächlich können springende Gene die Integrität anderer Gene zerstören und die Gesamtstabilität des Genoms verringern. Im Fall des Grönlandhais scheint der hohe Anteil springender Gene die Lebensdauer der Art aber nicht begrenzt zu haben.

Im Gegenteil: Sahm und Kollegen vermuten, dass die Aktivität transponierbarer Elemente sogar zur extremen Langlebigkeit des Grönlandhais beigetragen haben könnte. Grund dafür könnte sein, dass auch andere Gene die Maschinerie transponierbarer Elemente „kapern“ gekapert haben, um sich zu vervielfältigen. Das Team vermutet, dass während der Evolution des Grönlandhais mehrere Gene diese Gelegenheit ergriffen haben. Überraschenderweise waren das häufig solche Gene, die auch an der Reparatur von DNA-Schäden beteiligt sind.

„In jeder unserer Zellen wird die DNA täglich tausende Male beschädigt und spezialisierte molekulare Mechanismen reparieren sie ständig“, erklärt Cellerino. Ein bemerkenswertes Ergebnis vergleichender Genomstudien ist, dass langlebige Säugetierarten ihre DNA außergewöhnlich effizient reparieren können. Die Ergebnisse des Teams sind also ein weiterer Hinweis darauf, dass die DNA-Reparatur ein allgemeiner Mechanismus sein könnte, der der Evolution außergewöhnlicher Langlebigkeit zugrunde liegt. „Unter Umständen hat die Evolution des Grönlandhais einen Weg gefunden, die negativen Auswirkungen transponierbarer Elemente auf die DNA-Stabilität auszugleichen – indem sie die Maschinerie der transponierbaren Elemente selbst gekapert hat“, fügt Arne Sahm hinzu. Die Forscher möchten auch mehr über die Mechanismen erfahren, die die Verbreitung transponierbarer Elemente steuern. „Wir können nun damit beginnen, die Frage zu beantworten, ob die Stilllegung transponierbarer Elemente bei Grönlandhaien anders funktioniert als bei anderen Arten“, sagt Helene Kretzmer vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin.

Bemerkenswerterweise fand das Team auch eine spezifische Veränderung im Protein p53 – auch bekannt als „Wächter des Genoms“. Viele Studien zeigen, dass p53 als Kontrollzentrum fungiert, das auf DNA-Schäden sowohl im Menschen als auch bei vielen anderen Arten reagiert. „Dieses Protein ist bei etwa der Hälfte aller menschlichen Krebserkrankungen mutiert und der wichtigste Tumorsuppressor, den wir kennen. Daher ist p53 auch ein essenzielles Gen für die Langlebigkeit“, sagt Steve Hoffmann. Es sind jedoch weitere Studien erforderlich, um zu zeigen, inwieweit die beobachteten Veränderungen in kritischen Genen (wie p53 und molekularen Signalwegen, z. B. Vervielfältigungen von DNA-Reparaturgenen oder Veränderungen in Tumorsuppressoren) zur außergewöhnlichen Langlebigkeit des Grönlandhais beitragen.

„Unser Genomprojekt bietet nun eine Grundlage für viele unabhängige Studien, die uns helfen werden, die Evolution dieser bemerkenswerten Art besser zu verstehen“, unterstreicht Paolo Domenici vom CNR – IBF, Pisa. „Dies ist einer der Gründe, warum wir beschlossen haben, das Genom der wissenschaftlichen Gemeinschaft sofort zur Verfügung zu stellen“, fügt Alessandro Cellerino hinzu. Die Genomsequenz und die entsprechenden Webressourcen, die das Team nun veröffentlicht hat, ermöglichen es Forschern weltweit, die Gene zu analysieren, die sie interessieren. „Diese Arbeit ist ein Meilenstein für ein besseres Verständnis der Grundlagen der außergewöhnlichen Physiologie des Grönlandhais. Darüber hinaus hilft sie uns, erstmals seine genomische Vielfalt und damit die Populationsgröße dieser gefährdeten Art einzuschätzen“, kommentiert John Fleng Steffensen von der Universität Kopenhagen, der diese riesigen Tiere seit fünfzehn Jahren in ihrer natürlichen Lebensumgebung erforscht.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Instituts e.V. (FLI) via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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