Überleben am oberen Temperaturlimit



Bio-News vom 27.01.2022

Forschende entdecken überraschende Überlebensstrategie von Mikroorganismen an der absoluten Grenze des Lebens bei Untersuchungen von Bohrkernen aus 120°C heißen Sedimenten: Schneller Stoffwechsel repariert Hitzeschäden. Das liefert weitere Argumente zur Erhöhung der aktuellen oberen Temperaturgrenze von 80°C für die Bewohnbarkeit des Untergrunds.

Ein großer Teil des mikrobiellen Lebens auf unserem Planeten findet in den Meeressedimenten unter der Erdoberfläche statt. Mit zunehmender Tiefe steigen dort die Temperaturen in Bereiche von über 80 °C, die als sehr lebensfeindlich gelten. Kürzlich haben Forschende in Sedimentkernen des Nankai-Trogs vor der Japanischen Ostküste eine kleine mikrobielle Gemeinschaft gefunden. Unklar blieb, wie sie bei den dort herrschenden extrem heißen Temperaturen von 120 °C überleben konnte. Das hat nun ein großes internationales Team, geleitet von Tina Treude, University of California Los Angeles (UCLA), unter Beteiligung von Florian Schubert und Jens Kallmeyer vom Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) mithilfe extrem empfindlicher Radio-Tracer-Methoden und Modellierungen herausgefunden. Demnach können die Mikroorganismen bei 120 °C nur deshalb überleben, weil sie einen extrem schnellen Stoffwechsel haben. Er sorgt dafür, dass Hitzeschäden an den Zellen repariert werden können. Diese Beobachtung steht in Widerspruch zu der gängigen Meinung, dass das Leben in der Tiefen Biosphäre mit extrem niedrigen Stoffwechselraten abläuft. Und sie erhärtet die Erweiterung der oberen Temperaturgrenze für Leben Die Studie ist jetzt im Fachmagazin Nature Communications erschienen und wurde als Editor’s Highlight ausgewählt.


Bohrschiff Chikyu von JAMSTEC vor der japanischen Küste.

Publikation:


Beulig, F., Schubert, F., Adhikari, R.R. et al.
Rapid metabolism fosters microbial survival in the deep, hot subseafloor biosphere
Nat Commun 13, 312 (2022)

DOI: 10.1038/s41467-021-27802-7



Leben am Temperatur-Limit

Auch mehr als zwei Kilometer unter dem Meeresboden, in über 100 Millionen Jahre alten Sedimenten können Mikroorganismen überleben. Allerdings wird das Leben mit zunehmender Tiefe immer schwieriger, da es weniger organisches Material gibt, das sich zur Ernährung und Energiegewinnung eignet, und die stark steigenden Temperaturen zunehmend die Zellen der Lebewesen schädigen. Auch außerhalb heißer aber dennoch extrem nährstoffreicher Schwarzer Raucher wurden jedoch in jüngerer Vergangenheit Mikroben nachgewiesen, die noch in 120 °C heißer Umgebung überleben. Zum Beispiel in den Sedimenten des Nankai-Trogs.

Der Nankai-Trog vor Kap Muroto an der japanischen Ostküste ist ein weltweit einzigartiger Ort für die Forschung an den Temperaturgrenzen für Leben: Weil die Temperaturen dort mit der Tiefe unter dem Meeresboden schneller als sonst üblich stark ansteigen, können bereits Bohrungen von nur 1.177 Meter in den Temperaturbereich von 120 °C vorstoßen. Bei einer Wassertiefe von über 4.700 Metern ist auch das noch eine Herausforderung an die Technik.


Heißer, brodelnder Schlamm.
Extreme Lebensbedingungen auch in einer geothermischen Region in Island.

Internationales Team mit Bohrschiff und hypersensiblen Messmethoden

Die Ausfahrt im Jahr 2016 mit dem japanischen Bohrschiff Chikyu war Teil eines Projektes des International Ocean Discovery Programs (IODP) unter Beteiligung von Forschungsgruppen aus Japan, Deutschland, Dänemark, der Schweiz und den USA. Seniorautorin Tina Treude von der UCLA war an Bord des Schiffes und hat die Proben gesammelt, die wichtigsten Analysen wurden von Erstautor Felix Beulig (Uni Bayreuth) und Florian Schubert (GFZ) gemacht. Sie wiesen durch Messung der Umsatzraten mittels Radiotracer-Methoden verschiedene Stoffwechselprozesse der Mikroben nach: die sogenannte Methanogenese, also die Erzeugung von Methan (Beulig), und die Sulfatreduktion, also die Umwandlung von Sulfat in Sulfid (Schubert).

Dafür wird unter hochreinen Bedingungen aus dem Inneren des Sedimentbohrkerns Probenmaterial gelöst und mit künstlichem, sterilem Meerwasser vermischt. Diesem Gemisch werden radioaktive Marker zugesetzt, welche dann von den Mikroorganismen umgesetzt werden. Auf diese Weise konnten die Stoffwechselprodukte Methan und Sulfid nachgewiesen werden.

Trotz der hohen Temperaturen konnten die Forschenden bis zur tiefsten Probe mikrobielle Zellen nachweisen. Bei Temperaturen oberhalb von 50 °C war ihre Konzentration allerdings sehr gering. Bei 120 °C schließlich lassen sich nur noch 10 bis 500 Zellen pro Kubikzentimeter finden, verglichen dazu leben an der Sedimentoberfläche hunderte von Millionen oder sogar Milliarden Zellen in einem Kubikzentimeter. „Der Nachweis der Mikroben und ihres Stoffwechsels unter diesen Bedingungen ist daher eine große Herausforderung, das gelingt nur mit Methoden extrem hoher Sensitivität und unter äußerst reinen Bedingungen. Außerdem müssen viele Kontrollmessungen gemacht werden, um andere Effekte auszuschließen“, erläutert Florian Schubert, Doktorand aus der GFZ-Sektion Geomikrobiologie. Insgesamt wurden mehr als 700 Proben vermessen, davon rund 200 Kontrollmessungen. Thermodynamische Modellierungen ergänzten die Laborexperimente.

Überraschend schneller Stoffwechsel zur Reparatur von Hitzeschäden

Die Forschenden fanden heraus, dass die Mikroorganismen an der absoluten Temperaturgrenze für Leben nur deshalb überleben können, weil sie einen extrem schnellen Stoffwechsel haben. „Unsere Entdeckung steht in starkem Widerspruch zu der gängigen Meinung, dass das Leben im tiefen Untergrund, der sogenannten Tiefen Biosphäre, mit extrem niedrigen Stoffwechselraten abläuft. Das scheint aber nur so lange zu stimmen, bis die Temperaturen einen bestimmten Wert überschreiten. Dann wird die thermische Zersetzung von Biomolekülen in den Zellen so massiv, dass die Organismen einen immer schnelleren Stoffwechsel benötigen, um diese Zerstörungen zu reparieren“, erläutert Florian Schubert. Aufgrund der insgesamt lebensfeindlichen Bedingungen im tiefen Untergrund kann daher in diesem Grenzbereich auch nur eine kleine Population von wenigen zehn bis Hunderten Zellen pro Kubikzentimeter überleben.



Kallmeyer weiter: „Unsere Ergebnisse manifestieren, was wir bereits im vergangenen Jahr beschrieben haben: Die Bewohnbarkeit des marinen Untergrunds geht weit über die bislang vorgeschlagene 80 °C-Schwelle hinaus.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Helmholtz-Zentrums Potsdam - Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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