Eine dunkle Facette des tierischen Verhaltens



Nur wenige Verhaltensweisen im Tierreich haben so viele kontroverse Diskussionen über Sinn und Zweck ausgelöst wie der Infantizid, die Tötung von Jungtieren der eigenen Art.

Dieses Verhalten, das auch beim Menschen vorkommt, wirft zahlreiche Fragen auf: Warum entwickelt sich die Tötung abhängiger Nachkommen als adaptive Strategie? Warum begehen vor allem männliche Tiere diesen Akt der Aggression? In diesem Artikel werden wir die Hintergründe, Theorien und Beispiele für Infantizid bei Primaten untersuchen.

Pavian mit totem Säugling

Infantizid: Ein Überblick

Infantizid, die Tötung von Jungtieren, tritt nicht nur bei Primaten, sondern auch bei anderen Tierarten wie Löwen, Vögeln und Nagetieren auf. Im Tierreich wird dieses Verhalten oft mit Männchen in Verbindung gebracht und steht im Zusammenhang mit dem Wettbewerb um den Zugang zu Weibchen. Interessanterweise wurde Infantizid auch beim Menschen beobachtet und wurde in verschiedenen Kulturen, von Jägern und Sammlern bis zu Ackerbauern, praktiziert. Sogar bei ausgestorbenen Menschenarten wie Homo erectus oder Homo neanderthalensis gibt es Hinweise auf absichtliche Kindstötung.

Infantizid bei Primaten

Die umfassende Forschung zu Primaten hat gezeigt, dass Infantizid bei verschiedenen Arten, darunter Lemuren, Brüllaffen, Schlankaffen, Meerkatzen, Paviane, Berggorillas und Schimpansen, vorkommt. In der Regel wird Infantizid, obwohl selten und schwer zu beobachten, häufig von Männchen begangen, insbesondere wenn neue Männchen in die Gruppe eintreten. Etwa 60 Fälle von gut dokumentiertem Infantizid wurden bisher registriert.

Theorien zur Ursache von Infantizid

Verschiedene Theorien versuchen, das Phänomen des Infantizids zu erklären. Eine davon legt nahe, dass es sich um fehlgeleitetes Verhalten handelt, das auf Überbevölkerung oder ungewöhnliche Umstände zurückzuführen ist. Allerdings wurde Infantizid auch in Populationen beobachtet, die nicht von Überbevölkerung betroffen sind.

Eine andere Theorie basiert auf der Biologie weiblicher Primaten. Die Produktion von Milch und das Stillen unterdrücken bei vielen Primatenweibchen für längere Zeit ihren Sexualzyklus. Alpha-Männchen könnten durch Infantizid den Fortpflanzungszyklus beschleunigen, indem sie den Nachwuchs töten, der nicht ihrer eigenen Zeugung entspringt.

Eine dritte Theorie betrachtet Infantizid als unbeabsichtigten Nebeneffekt von Aggressionen bei einem Wechsel des Haremsbesitzers. In dieser Sichtweise geraten Jungtiere einfach öfter zwischen die Fronten bei aggressiven Auseinandersetzungen.

Infantizid bei Schimpansen

Schimpansen, unsere biologisch nächsten Verwandten, weisen ebenfalls Infantizid auf. Allerdings können die bisherigen Theorien nicht vollständig erklären, warum dieses Verhalten bei Schimpansen auftritt. Weder die Überbevölkerung noch die Beschleunigung des Fortpflanzungszyklus durch Tötung der Jungen erklären alle Fälle von Infantizid bei dieser Primatenart.

Schutzmechanismen gegen Infantizid

Interessante Beobachtungen zeigen, dass enge soziale Bindungen zwischen männlichen und weiblichen Primaten als Abwehrmechanismus gegen Infantizid entstehen können. Beispielsweise versuchen Weibchen der Bärenpaviane, kurz vor der Geburt freundschaftliche Beziehungen zu bestimmten erwachsenen Männchen aufzubauen. Diese Männchen sind dann eher bereit, die Jungen gegen mögliche Angreifer zu verteidigen.

Evolutionäre Bedeutung von Infantizid

Trotz seiner negativen Konnotation könnte Infantizid evolutionär betrachtet die Ausbildung positiver sozialer Bindungen fördern. Die Entstehung von starken Bindungen zwischen Männchen und Weibchen bei vielen Primatenarten könnte auf die Notwendigkeit zurückzuführen sein, sich gegen das Risiko von Infantizid zu schützen.

Insgesamt bleibt Infantizid bei Primaten ein faszinierendes, wenn auch dunkles, Forschungsfeld. Die verschiedenen Theorien versuchen, das komplexe Verhalten zu erklären, das tiefe Einblicke in die evolutionären Prozesse und sozialen Dynamiken dieser faszinierenden Tiere ermöglichen könnte.

Literatur

Palombit R. 2001. Why primates kill their young: Incidences of Infanticide in Monkey and Ape Species. In: D. Macdonald (ed.) The New Encyclopedia of Mammals. p. 370. Oxford University Press