Abstehende Ohren


Abstehende Ohren (lat.: Otapostasis oder Apostasis otum) – umgangssprachlich oft als „Segelohren“ bezeichnet – liegen dann vor, wenn eine oder beide Ohrmuscheln mehr als 30° vom Kopf abstehen oder der Abstand zwischen Rand der Ohrmuschel und Kopf mehr als 20 mm beträgt. Abstehenden Ohren liegen genetische Veranlagungen mit familiärer Häufung zugrunde. Abstehende Ohren sind an sich keine Erkrankung, sondern eine anatomische Variante, können aber bei Hänseleien durch das soziale Umfeld Krankheitswert erlangen.[1] Plastische Chirurgen sprechen zum Teil auch von einer Dysplasie I. Grades (oder „geringgradigen Missbildung“).[2]

Klassifikation nach ICD-10
Q17.5 Abstehende Ohrmuscheln
ICD-10 online (WHO-Version 2019)
Abstehende Ohren
Durch Operation angelegte Ohren

Ohranatomie

Das Ohr besteht aus einem einzigen Stück Knorpel, dieser ist mit einer dünnen Haut bedeckt (Vorderseite: 0,8 bis 1,2 mm, Rückseite: 1,2 bis 3 mm). Die Haut ist auf der Hinterseite etwas verschiebbar, aber auf der Vorderseite fest am Knorpel verwachsen. Die Hinterseite der Ohrmuschel ist relativ glatt und zeigt nur wellenförmige Veränderungen. Die Vorderseite der Ohrmuschel zeigt ein kompliziertes Relief entsprechend der Knorpelstruktur (z. B. Anthelixfalte; siehe Ohrmuschel).

Merkmale einer als „ästhetisch“ bezeichneten Ohrform:[3]

  • Die Längsachse der Ohrmuschel zeigt eine Neigung von 15 bis 20° nach hinten
  • Das Ohr ist vom Rand des Jochbeines um etwa 1 Ohrlänge (5,5 bis 7 cm) nach hinten positioniert
  • Die Breite der Ohrmuschel macht etwa 50 bis 60 % der Länge aus
  • Der Winkel zwischen der Ohrmuschel und dem Schädel (Planum mastoideum ) liegt bei 21 bis 30°[4].
  • Der Rand der Ohrmuschel (Helix) ist vom Kopf etwa 1,5 bis 2 cm entfernt
  • Das Ohrläppchen und die Anthelixfalte liegen parallel
  • Das Ohrläppchen schließt sich mit der Halshaut im spitzen Winkel an
  • In Frontalansicht ist der Helixrand oben oft um etwa 2 bis 5 mm weiter herausprojiziert als die Anthelixfalte

Messung

Die Stellung der Ohrmuschel in Relation zum Kopf kann einerseits mit dem Winkel zur Kopfebene (Planum mastoideum) angeben werden, wobei dieser im Durchschnitt 21 bis 30° misst. Bei diesem Messwert handelt es sich um den sogenannten scapho-chonchalen Winkel (siehe Ohrmuschel). Andererseits besteht die Möglichkeit, den Abstand des Ohrmuschelrandes zum Kopf zu messen. Die Durchschnittswerte liegen oben bis ≈19 mm, in der Mitte bis 20 mm und im Ohrläppchenbereich bis 16 mm. Wenn diese Werte überschritten werden, trifft laut Weerda das Merkmal „abstehende Ohren“ zu.[5]

Allgemeine Folgen

Abstehende Ohren haben beim Menschen keine Auswirkungen auf das Hörvermögen. Anders ist es in der Tierwelt, wo die Richtungswahrnehmung durch Lokalisation der Schallquellen überlebenswichtig ist und neben dem Hörvermögen auch die Stellung und Beweglichkeit der Ohren von großer Bedeutung ist. Die Tiere können die Ohren wirklich spitzen, was beim Menschen eher nur im übertragenen Sinne zutrifft – auch wenn beim Menschen die Reste von sieben Muskeln noch nachweisbar sind, die ursprünglich diese Funktion hatten.

Psychische Folgen

Abstehende Ohren können bei Kindern und Erwachsenen verschiedenartige psychische Störungen begünstigen. So kann die für jeden sichtbare Abweichung von einer wahrgenommenen Norm zur Herausbildung eines Minderwertigkeitskomplexes führen, verbunden mit der Angst, verspottet zu werden. Die psychischen Folgen von abstehenden Ohren können mit den Messergebnissen (Millimeter oder Winkelstellung) nicht adäquat erfasst werden.

Eine wissenschaftliche Studie, bei der mit 285 Personen eine große Anzahl von Patienten untersucht wurden, lieferte das Ergebnis, dass durch Hänseleien und die Angst, immer wieder der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden, sowohl die Jahre der Kindheit als auch das Erwachsenenalter erheblich getrübt werden können.[6] Deshalb kann eine Beseitigung des Form- und Stellungsfehlers sinnvoll sein. Eine Korrektur sollte indessen möglichst vor der Einschulung vorgenommen werden.[7]

Korrektur

Zur Ohranlegung stehen chirurgische Verfahren zur Verfügung, siehe hierzu → Otopexie.

Literatur

  1. Michael Reiß: Facharztwissen HNO-Heilkunde: Differenzierte Diagnostik und Therapie. Springer, 2009, ISBN 3540894403, S. 195.
  2. Hilko Weerda: Chirurgie der Ohrmuschel. Georg Thieme Verlag, 2004, ISBN 3131301813, S. 119.
  3. J.E. Janis, R.J. Rohrich, K.A. Gutowski: Otoplasty.. In: Plastic and Reconstructive Surgery. 115, 4, 2005
  4. Leslie G. Farkas: Anthropometry of the Head and Face. 2. Auflage, Raven Press, New York 1994, S. 333, ISBN 0781701597
  5. H. Weerda: Chirurgie der Ohrmuschel. Thieme, Stuttgart – New York 2004, ISBN 3-131-30181-3
  6. D.M.C. Ju: The Psychological Effect of Protruding Ears. Plastic and Reconstructive Surgery, 31, 5, 1963
  7. Hoffmann-LaRoche, Urban & Schwarzenberg (Hrsg.): Lexikon Medizin. Das Nachschlagewerk für Ärzte, Apotheker, Patienten. 3., neubearb. Aufl., München 1993, S. 1220, ISBN 3-541-11213-1.

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