Adaptives Intelligenz Diagnostikum


Bei der Testbatterie AID handelt es sich um eine Intelligenz-Testbatterie aus dem Inventar der psychologisch-diagnostischen Verfahren, die der Erfassung komplexer und basaler kognitiver Fähigkeiten ("Intelligenz") bei Kindern und Jugendlichen dient.

Geschichte

Das Adaptive Intelligenz Diagnostikum (AID) erschien erstmals 1985[1][2]. Entsprechend der Forderung der DIN 33430, dass die Eichung einschlägiger Verfahren spätestens alle acht Jahre hinsichtlich ihrer Aktualität überprüft werden soll, wurde die 2. Generation dieses Verfahrens eingeführt (AID 2 - Version 2.1[3]), welche auch neue Zusatztests anbietet; geringfügige Änderungen vor allem in den Eichtabellen weist die Version 2.2 des AID 2 auf[4]. Dieser Ausgabe liegt auch eine Version AID 2-Türkisch bei, welche für den Einsatz bei in deutschsprachigen Ländern lebenden Kindern und Jugendlichen mit Türkisch als Muttersprache entwickelt wurde und auch für deutschsprachige Testleiter gedacht ist. Dabei wird pro Untertest jeweils in derjenigen Sprache (Deutsch oder Türkisch) getestet, welche die Testperson besser beherrscht.

Der diagnostische Mehrwert von Einzeltestsituationen

Diese Intelligenz-Testbatterie orientiert sich am Zeitgeist einerseits, nämlich möglichst ökonomisch (d. h. mit relativ wenig zeitlichem Aufwand) möglichst genau vielfältige kognitive Bereiche zu messen, und an der modernen psychologischen Testtheorie (Item-Response-Theorie, IRT) andererseits, welche ökonomisches Testen über eine besondere Technik, nämlich adaptives Testen, erst bewerkstelligt. Dabei ist sie dem "diagnostischen Mehrwert von Einzeltestsituationen" entsprechend als Individualverfahren konzipiert, d. h. ein Testleiter (Psychologe/in) testet jeweils eine einzige Testperson (Kind/Jugendliche(n)) im interaktiven Kontext[5].

Einsatzbereich

Die Testbatterie AID 2 kann für eine Altersgruppe von 6;0 bis 15;11 Jahren in der Schulpsychologie, Klinischen Psychologie sowie in der Bildungs- und Berufsberatung zur

  • ausbildungs- und berufsbezogenen Eignungsdiagnostik,
  • ausbildungs- und berufsbezogenen Rehabilitationsdiagnostik,
  • Entwicklungsdiagnostik im frühen Kindesalter sowie zur
  • neuropsychologischen Diagnostik (Teilleistungsstörungsdiagnostik)

eingesetzt werden.

Die Bereitstellung sprachfreier Instruktionen für sämtliche Untertests sowie Zusatztests zur Messung von manuell-visuellen Fähigkeiten erweitern die Einsatzmöglichkeiten, indem das Verfahren auch für diverse Fragestellungen bei fremdsprachigen Testpersonen eingesetzt werden kann, die Deutsch kaum oder gar nicht beherrschen.

Vorgabe

Beim AID 2 handelt es sich um ein Individualverfahren.

Eine Besonderheit liegt darin, dass trotz Papier-Bleistift-Vorgabe für die meisten Untertests adaptives Testen realisiert wird, was mit relativ wenigen Aufgaben relativ hohe Messgenauigkeit ermöglicht. Und zwar wird dabei das sogenannte Branched-Testing umgesetzt, d. h. je nach Leistungsverhalten der Testperson werden weitere Aufgaben gemäß eines bestimmten Ablaufssystems ausgewählt: Altersabhängig wird jeder Testperson eine erste Aufgabengruppe von fünf Aufgaben vorgegeben; wird davon höchstens eine gelöst, erhält die Testperson als nächstes eine leichtere Aufgabengruppe, werden mindestens vier Aufgaben gelöst, eine schwierigere Aufgabengruppe und in dem Fall, dass sie zwei oder drei Aufgaben (ungefähr 50%) löst, eine nächste Aufgabengruppe mit gleichem Schwierigkeitsniveau. Grundsätzlich sind zwei solche Verzweigungen vorgesehen.

Da die betreffenden Items dem Rasch-Modell entsprechen, sind die Testleistungen von Testpersonen, die unterschiedliche Aufgaben bearbeiten, vergleichbar.

Für etliche Untertests stehen Parallelformen sowie Kurzformen zur Verfügung.

Testkonzept

Mit Bezug zur Investmenttheorie sensu Raymond B. Cattell wird "Intelligenz" als "die Gesamtheit aller kognitiven Voraussetzungen, die notwendig sind, um Wissen zu erwerben und Handlungskompetenzen zu entwickeln"[6] definiert. Im Sinne einer pragmatischen intelligenztheoretischen Position soll eine Profilinterpretation mit Leistungshöhen und -tiefen in Bezug auf möglichst viele kognitive Fähigkeiten ermöglicht werden; es geht also unmittelbar um förderungsorientierte Diagnostik, insbesondere unter Bezug auf die Gegenüberstellung von "fluider" und "kristallisierter Intelligenz". Ebenso im Sinne förderungsorientierter Diagnostik dient der Einsatz des AID 2 als Screening-Verfahren zur Erfassung von Teilleistungsstörungen (nach der Tradition von Alexander R. Luria). Konkret wird im AID 2 von einem hierarchischen Modell der Teilleistungen ausgegangen: Wahrnehmen (Erkennen), Merken und Verarbeiten/Benutzen bei visuellen, akustischen und taktil-kinästhetischen Informationen/Aufgabenmaterialien. Diese Prozesse beziehen sich auf verschiedene Teilleistungsfähigkeiten:

  • Differenzierungs- und Gliederungsfähigkeit sowie Raumlageorientierung
  • Serialitätsfähigkeit
  • Merkfähigkeit
  • Sprachliche Informationsverarbeitung

Die Untertests der Intelligenz-Testbatterie AID 2 sind gemäß ihrer Aufgabenstellung dem verbal-akustischen oder manuell-visuellen Bereich zuzuordnen. Die verbal-akustischen Aufgabenstellungen prüfen das akustische Auffassen und verbalisierte Agieren der Testperson im Umgang mit Worten oder Symbolen. Die manuell-visuellen Aufgabenstellungen prüfen das visuelle Auffassen und manuelle Agieren der Testperson durch das Handhaben und Tätigwerden mit Gegenständen und dem Auffassen von visuellen Gestalten.

Aufbau

Die Testbatterie setzt sich aus elf Untertests und drei Zusatztests zusammen.

Untertests (verbal-akustischer Bereich) Aufgabenstellung Geprüfte Fähigkeit
1 Alltagswissen Fragen beantworten sich Sachkenntnisse über Inhalte anzueignen, die in der heutigen Gesellschaft alltäglich sind
3 Angewandtes Rechnen Textrechnungen lösen bei der Problemlösung alltäglicher Aufgabenstellungen durch entsprechende Schlussfolgerungen die passenden Rechenoperationen anzuwenden
5 Unmittelbares Reproduzieren - numerisch ("vorwärts" und "rückwärts") Zahlenreihen wiederholen Kapazität der seriellen Informationsverarbeitung (im verbal-akustischen Bereich)
6 Synonyme finden Fragen beantworten elementares Sprachverständnis; Erfassen der Bedeutung sprachgebundener Begriffe bzw. Verfügen über einen Wortschatz, der solche Begriffe alternativ ausdrücken lässt
9 Funktionen Abstrahieren Fragen beantworten durch Abstraktion zu einer Begriffsbildung zu gelangen
11 Soziales Erfassen und Sachliches Reflektieren Fragen beantworten Begreifen von Sachzusammenhängen der "gesellschaftlichen" Umwelt bzw. Ausmaß an Sozialisierung in dem Sinn, dass über sozial angepasste Verhaltensweisen und gesellschaftliche Bedingungen Bescheid gewusst wird
Untertests (manuell-visueller Bereich) Aufgabenstellung Geprüfte Fähigkeit
2 Realitätssicherheit Fehlende Details auf Bildkarten entdecken die Wirklichkeit um Dinge des Alltags zu verstehen bzw. kontrollieren zu können
4 Soziale und Sachliche Folgerichtigkeit Bildfolgen ordnen die Abfolge sozialen Geschehens bzw. alltäglicher Sachgegebenheiten zu verstehen und zu kontrollieren
7 Kodieren und Assoziieren Symbole zuordnen Informationsverarbeitungsschnelligkeit und die Fähigkeit zum inzidentellen Lernen
8 Antizipieren und Kombinieren - figural Teile zusammensetzen schlussfolgerndes Denken in der Hinsicht, Teile eines (konkreten) Ganzen erkennen und dieses Ganze gestalten zu können
10 Analysieren und Synthetisieren - abstrakt Muster nachlegen komplexe (abstrakte) Gestalten durch eine geeignete Strukturierung reproduzieren zu können
Zusatztests Aufgabenstellung Geprüfte Fähigkeit
5a Unmittelbares Reproduzieren - figural/ abstrakt Bilderreihen wiederholen Kapazität der seriellen Informationsverarbeitung (im visumotorischen Bereich)
5b Merken und Einprägen Sinnfreie Silben wiederholen Behaltenskapazität, welche durch eine einmalige Wiederholung der Reizdarbietung erreichbar ist
10a Strukturieren - visumotorisch Muster dekomponieren komplexe (abstrakte) Gestalten in elementare Teilkomponenten zerlegen zu können

Testkennwerte

Anstatt eines Intelligenzquotienten (IQ) als Durchschnittswert aller gemessener Leistungen, der eine kompensatorische Wirkung der einzelnen Untertests in Bezug auf die Intelligenz der Testperson voraussetzen würde, propagiert die Testbatterie AID 2 eine Profilinterpretation in Bezug auf die Leistungen in den einzelnen Untertests bzw. eine Interpretation von Leistungshöhen und -tiefen.

Dazu dienen 15 Testkennwerte für die elf Untertests und drei Zusatztests in T-Werten. Für neun dieser Testkennwerte stehen auch die absoluten (d. h. altersunabhängigen) Fähigkeitsparameter ξv (im Sinne des Rasch-Modells) zur Verfügung.

Zusätzliche besondere Testkennwerte des AID 2:

  • Als globales Maß der kognitiven Fähigkeit wird die (untere Grenze der) "Intelligenzquantität" definiert, d. h. die minimale Untertestleistung wird als kognitive Mindestfähigkeit interpretiert. Üblicherweise als Prozentrang angegeben, kann dieser Testkennwert aufgrund von Anforderungen aus der Praxis auch in ein IQ-Äquivalent überführt werden.
  • Die zweitniedrigste Untertestleistung sollte als kognitive Mindestfähigkeit dann zur Interpretation herangezogen werden, wenn die niedrigste Untertestleistung einer möglichen singulären Teilleistungsschwäche entspricht, eine relative weniger bedeutende Fähigkeit betrifft oder auf situative Zufälligkeiten oder energetisch-motivationale Beeinträchtigungen zurückzuführen ist (Angabe als Prozentrang).
  • Der Range der "Intelligenz" entspricht der maximalen Differenz aller Untertestleistungen als Prozentrang. Diese wird als Grad der Differenziertheit des erfassten Fähigkeitsspektrums interpretiert.
  • Der Faktor-Score für den Faktor "Informationsverarbeitung in der gesellschaftlichen Umwelt" als "Primär-IQ" in IQ-Werten.

Gütekriterien

Skalierung: Zwei Untertests erfüllen dieses Gütekriterium definitionsgemäß ("Ein Test erfüllt das Gütekriterium Skalierung, wenn die laut Verrechnungsvorschriften resultierenden Testwerte die empirischen Verhaltensrelationen adäquat abbilden"[7] , die übrigen Unter- und Zusatztests nachweislich wegen der Geltung des Rasch-Modells bzw. einer Verallgemeinerung davon.

Objektivität: Verrechnungssicherheit und Interpretationseindeutigkeit sind gegeben. In zwei Untertests wurden gewisse Testleitereffekte nachgewiesen.

Reliabilität: Die Split-Half-Reliabilitäten reichen von 0,70 bis 0,95. Die innere Konsistenz ist aufgrund der Geltung des Rasch-Modells gegeben. Die Stabilitäten der Untertests liegen bei Wiederholung nach einem Monat zwischen 0,64 und 0,95 (mit Ausnahme des Zusatztests Merken und Einprägen)

Validierung: Die inhaltliche Gültigkeit ist aufgrund von Expertenratings gegeben. Die Konstruktvalidität in Bezug auf ein hierarchisches Modell zu Specific Learning Disorders ist erfüllt. Die diskriminante Valididät ist (z. B. in Bezug auf WMT, 3DW, Test d2 und PFK 9-14) gegeben. Die Übereinstimmungsvalididät hinsichtlich ausgewählter spezieller Leistungstests ist mittel bis niedrig.

Eichung: Die Eichung wurde an einer repräsentativen Stichprobe von N=977 Personen vorgenommen, durch die AID (Vorläufer)-Repräsentativerhebung (N=2.144) adjustiert und an einer Eichungskontrolle (N=844) teilweise revidiert.

Einzelnachweise

  1. Kubinger, K. D. & Wurst, E. (1985). Adaptives Intelligenz Diagnostikum (AID). Weinheim: Beltz.
  2. Kubinger, K. D. & Wurst, E. (1991). Adaptives Intelligenz Diagnostikum (AID) (3. ergänzte Aufl.). Weinheim: Beltz.
  3. Kubinger, K. D. & Wurst, E. (2000). Adaptives Intelligenz Diagnostikum - Version 2.1 (AID 2). Göttingen: Beltz.
  4. Kubinger, K. D. (2009). Adaptives Intelligenz Diagnostikum - Version 2.2 (AID 2) samt AID 2-Türkisch. Göttingen: Beltz.
  5. Kubinger, K.D., Deimann, P. & Kastner-Koller, U. (2012, in Druck). Der diagnostische Mehrwert von Einzeltestsituationen. In K. D. Kubinger & S. Holocher-Ertl (Hrsg.), Fallbuch AID. Göttingen: Hogrefe.
  6. Kubinger, K. D. (2009). Adaptives Intelligenz Diagnostikum - Version 2.2 (AID 2) samt AID 2-Türkisch. Göttingen: Beltz. S. 23
  7. Kubinger, K. D. (2009). Psychologische Diagnostik: Theorie und Praxis psychologischen Diagnostizierens (2. überarb. und erw. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. S. 82. ISBN 978-3-8017-2254-8

Literatur

  • Holocher-Ertl, S., Kubinger, K. D. & Hohensinn, C. (2008). Hochbegabungsdiagnostik: HAWIK-IV oder AID 2. Kindheit und Entwicklung, 17, 99-106.
  • Horn, R. (2003). Intelligenztests für Kinder, Heft 1/03. Eine kritische Anmerkung zum K-ABC. Report Psychologie, 28 (3), S. 189.
  • Jacobs, C., Heubrock, D. & Petermann, F. (2003). Adaptives Intelligenz Diagnostikum 2 (AID 2) von Klaus D. Kubinger und Elisabeth Wurst (Testinformationen). Diagnostica, 49 (4), 184-188.
  • Jacobs, C. & Petermann, F. (2009). Adaptives Intelligenz Diagnosticum 2 (AID 2; Version 2.2) [Testbesprechung]. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 57 (4), 297-299.
  • Kubinger, K. D. (2003). Kommentar zur Testrezension von Gerolf Renner, Hermann-Josef Baur & Barbara Lischke zum AID 2 (Adaptives Intelligenz Diagnostikum, Version 2.1). Report Psychologie, 28 (11/12), 677-679.
  • Kubinger, K. D. (2004). On a practitioner's need of further development of Wechsler scales: Adaptive Intelligence Diagnosticum (AID 2). Spanish Journal of Psychology, 7, 101-111.
  • Kubinger, K. D. (2008). Towards economic Wechsler-like testing: Adaptive Intelligence Diagnosticum (AID 2). In M. A. Lange (Ed.), Leading-Edge Psychological Tests and Testing Research (pp. 173-182). New York: Nova Science Publisher.
  • Kubinger, K. D. (2008). The intelligence test-battery AID 2 as a prototypical globalized test. Testing International, 19, 13-14.
  • Kubinger, K. D. (2010). Testfairness für „globalisierte“ türkische Kinder: Die Intelligenz-Testbatterie AID 2-Türkisch. Report Psychologie, 35, 72-81.
  • Kubinger, K. D. & Holocher-Ertl, S. (2008). Diagnostische Verfahren. In G. Hörmann & W. Körner (Hrsg.), Einführung in die Erziehungsberatung (S. 86-100). Stuttgart: Kohlhammer.
  • Preusche, I. & Leiss, U. (2003). Intelligenztests für Kinder. HAWIK-III, AID 2 und K-ABC im Vergleich. Report Psychologie, 28 (1), 12-26.
  • Preusche, I., Koller, M. & Kubinger, K. D. (2006). Sprachfreie Administration von Intelligenztests nicht ohne Äquivalenzprüfung: Am Beispiel des AID 2. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 55, 559-569.
  • Renner, G., Baur, H.-J. & Lischke, B. (2003). Testbesprechung zum Adaptiven Intelligenz Diagnostikum 2. Report Psychologie, 28 (11/12), 668-676.
  • Schaarschmidt, U. (2000). Adaptives Intelligenz-Diagnostikum 2 (AID 2). In E. Fay (Hrsg.), Tests unter der Lupe III (S. 9–20). Lengerich: Pabst.
  • Schmidt, I. & Leiss, U. (2002). Kurzbeiträge zu: Neue Tests im Vergleich, neue Forschungsergebnisse zu Problemen des diagnostischen Prozesses, erste Lösungsansätze von schon lange ungelösten Problemen der Psychologischen Diagnostik. Gegenüberstellung von Intelligenztests für Kinder und Jugendliche: HAWIK-III, AID 2 und K-ABC. Psychologie in Österreich, 22 (2-3), 16-21.
  • Titscher, A. & Kubinger, K. D. (2008). An Innovative Method for Testing Children’s Achievement-Related Reactions. School Psychology International, 29, 452-465.

Weblinks