António Damásio


António Damásio

António R. Damásio (* 25. Februar 1944 in Lissabon) ist ein portugiesischer Neurowissenschaftler. Er wurde vor allem bekannt durch seine Arbeiten zur Bewusstseinsforschung.

Leben

António Rosa Damásio ist verheiratet mit Hanna Damásio. Beide haben an der Universität Lissabon ihre akademische Ausbildung erhalten und mit dem Doktortitel in Medizin abgeschlossen. Im Jahre 1971 gründeten sie das „Centro de Estudos de Linguagem Egas Moniz“ (Studienzentrum für Sprache Egas Moniz).

Kurz nach der Nelkenrevolution 1974 wurden sie eingeladen, die Forschungsabteilung der Neuen Universität Lissabon aufzubauen. Das Projekt konnte nicht finanziert werden. Von 1976 bis 2005 lehrten sie an der University of Iowa. Seit 2005 ist António Damásio Professor für Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und leitet dort das Brain and Creativity Institute.[1] Das Ehepaar Damásio, das teilweise auch gemeinsam forscht und publiziert, gehört zu den derzeit angesehensten Neurologen der Welt.

Forschungsschwerpunkte von Hanna Damásio liegen im Bereich der neuroanatomischen Basis der Kognition und im Bereich der Entwicklung neuer Techniken des Neuroimaging, die In-Vivo-Untersuchungen von Gehirnstrukturen erlauben.

Arbeitsgebiete

António Damásios Untersuchungen beziehen sich zum einen auf den Bereich der gehirnanatomischen Substrate komplexen Verhaltens und zum anderen auf die neuronalen Grundlagen von Sprache und Kognition sowie den Zusammenhang von Gefühl, Emotion und Vernunft. Die Neurobiologie der Emotionen hat durch António R. Damásio entscheidende Impulse erhalten.

Eines seiner Arbeitsgebiete ist die direkte Korrelation von morphologischen Ausfällen im CT und MRT mit den funktionellen neurologischen Ausfällen bei dem betroffenen Patienten. Insbesondere beim Schlaganfall ist diese Methode sehr erfolgreich, um lokalisierte Hirnprozesse zu erkennen, da sich der Funktionsverlust innerhalb kürzester Zeit einstellt und damit klarer erkennbar ist.

Damásio ist Mitarbeiter des Mind and Life Institutes, bzw. ein an den „Mind and Life“-Dialogen beteiligter Wissenschaftler. Er ist auf der Webseite des Mind & Life Institutes erwähnt als einer der Science & Contemplative Affiliates. An der 2. Konferenz – Mind and Life II –, die im Oktober 1989 in Newport Beach, Kalifornien, stattgefunden hat, hat er als Vortragender teilgenommen.[2]

Descartes’ Irrtum

In seinen Abhandlungen Descartes’ Irrtum (im Original: Descartes’ Error: Emotion, Reason, and the Human Brain), Ich fühle, also bin ich (The Feeling of What Happens: Body and Emotion in the Making of Consciousness) und Der Spinoza-Effekt (Looking for Spinoza) untersucht er vor allem die Wechselwirkungen zwischen Körper und Bewusstsein und kommt – durch zahlreiche empirische Belege – zu dem Schluss, dass die jahrhundertelang angenommene, vor allem von Descartes postulierte, Trennung zwischen Körper und Geist ein Irrtum sei. Stattdessen konstatiert er einen unauflösbaren Zusammenhang zwischen Körper und Geist, die sich ständig gegenseitig beeinflussen.

Seine These der Untrennbarkeit zwischen Geist und Materie untermauert Damásio u. a. durch zwei Fallbeispiele:

Phineas Gage

1848 wird Phineas Gage, damals 25-jähriger Vorarbeiter bei einer Eisenbahngesellschaft, Opfer eines schweren Unfalls. Bei einer Sprengung im Rahmen der Verlegung von Schienen durch den US-Bundesstaat Vermont bohrt sich eine 6 kg schwere, 1,10 m lange und 3 cm dicke Eisenstange mit einer Spitze von 6 mm von unterhalb des linken Wangenknochens bis zu den vorderen Schädelknochen durch Gages Schädel und fliegt danach noch 30 m weiter. Es entsteht eine ca. 4–5 cm große, kraterförmige Wunde.

Trotz des offensichtlich schweren Unfalls ist Gage während der gesamten Zeit bei Bewusstsein. Er ist in der Lage, über den gesamten Hergang des Unfalls zu berichten, und überlebt ihn. Seine Verletzung heilt innerhalb von zwei Monaten, nur der Verlust des linken Auges ist körperlich irreversibel. Die Ärzte stellen keine Beeinträchtigung von Wahrnehmung, Gedächtnisleistung, Intelligenz, Sprachfähigkeit oder Motorik fest.

Trotzdem kommt es in der Zeit nach dem Unfall zu auffälligen Persönlichkeitsveränderungen bei Gage: War er zuvor verantwortungsbewusst, besonnen, ausgeglichen und freundlich, erscheint er seiner Umgebung nun zunehmend ungeduldig, launisch, wankelmütig und respektlos. Darüber hinaus kommt es zu einer Störung seiner Entscheidungsfähigkeit: Er trifft Entscheidungen, die seinen Interessen offensichtlich zuwiderlaufen, er kann seine Zukunft nicht mehr vernünftig planen und erleidet als Folge einen beruflichen und sozialen Abstieg.

Elliot

Als einen „modernen Phineas Gage“ beschreibt Damásio einen seiner Patienten, dem aufgrund eines Tumors ein Teil des präfrontalen Cortex entfernt wurde. Nach dem operativen Eingriff veränderte sich auch Elliots Persönlichkeit radikal. Zwar kommt es auch bei ihm nicht zur Einschränkung von kognitiven, motorischen oder sensorischen Fähigkeiten, jedoch weist er eine empfindliche Störung seiner Entscheidungsfähigkeit und einen Mangel an Gefühlen auf. Bilder von Situationen, die ihn einst erregten, lösen nun bei ihm keinerlei Reaktionen aus. Die Korrelation zwischen Gefühlsarmut und Entscheidungsunfähigkeit führt Damásio zur Theorie der somatischen Marker.

Die Theorie der somatischen Marker

Damásio vermutet, dass Elliots Gefühllosigkeit ihn daran hindert, verschiedenen Handlungsalternativen emotionale Werte beizumessen, die anderen Menschen bei der Entscheidungsfindung helfen.

Damásio stellt die Theorie auf, dass alle Erfahrungen des Menschen im Laufe seines Aufwachsens in einem emotionalen Erfahrungsgedächtnis gespeichert werden. Dieses Erfahrungsgedächtnis teilt sich laut Damásio über ein körperliches Signalsystem mit, das dem Menschen bei der Entscheidungsfindung hilft und das Damasio als somatische Marker beschreibt. Bei der Vorstellung verschiedener Handlungsalternativen geben die somatischen Marker also eine durch bisherige Erfahrungen bestimmte Rückmeldung, die dem im Entscheidungsprozess befindlichen Menschen helfen, indem sie zunächst alle emotional nicht tragbaren Handlungsmöglichkeiten ausschließen.

Die somatischen Marker sind also ein automatisches körpereigenes System zur Bewertung von Vorhersagen. Sie wirken oft unbewusst als „Alarmglocke“ oder Startsignal, nehmen einem aber prinzipiell nicht das Denken ab, sondern helfen beim Denken, indem sie Alternativen, die − aufgrund individueller Erfahrung – als günstig oder gefährlich zu bewerten sind, als solche erscheinen lassen.

Als neuronales System, das den Erwerb der somatischen Marker erlaubt, glaubt Damásio die präfrontalen Rindenfelder im Gehirn lokalisiert zu haben. Seine Theorie von den somatischen Markern erklärt den Zusammenhang zwischen Phineas Gages und Elliots Gefühlsstörungen und ihrer Unfähigkeit, sich zu entscheiden, und stellt den offenbar unauflösbaren Zusammenhang zwischen rationalen Entscheidungsprozessen und Gefühlen auf.

Das Kern-Bewusstsein

Bewusstsein ist der Oberbegriff für all jene geistigen Phänomene, die den Vorgang ermöglichen, aus dem man als Beobachter oder Erkennender der beobachteten Dinge hervorgeht, als Besitzer der aus der eigenen Perspektive gebildeten Gedanken und als potentieller Handlungsträger der Szene. Wenn man z. B. diese Seite betrachtet und diese Wörter liest, spürt man automatisch und unablässig (ob man es will oder nicht), dass man selbst die oder der Lesende ist – man selbst und kein anderer. Man spürt, dass man die Objekte, die man im Moment wahrnimmt, aus der eigenen Perspektive heraus wahrnimmt und dass die Gedanken, die sich im eigenen Geist bilden, einem selbst gehören und niemand anderem. Man spürt auch, dass man auf diese Situation einwirken kann, wenn man das will: dass man fähig ist, mit dem Lesen aufzuhören und zum Beispiel aufzustehen und einen Spaziergang zu machen.

Die Erforschung des Bewusstseins bedeutet damit die Betrachtung zweier „Akteure“, nämlich des Organismus und des Objekts sowie deren Beziehungen zueinander. Der Organismus ist damit beschäftigt, Bezug zu einem Objekt herzustellen, und das Objekt dieser Beziehung ruft eine Veränderung im Organismus hervor.

Individuelle Perspektive, individuelle Besitznahme des Denkens und individuelle Urheberschaft sind die entscheidenden Aspekte, die das Kern-Bewusstsein zum geistigen Prozess beiträgt. Das Wesen des Kern-Bewusstseins ist eine Vorstellung von sich selbst, das Gefühl von sich selbst als individuellem Wesen, das mit dem Erkennen der eigenen Existenz und der Existenz anderer beschäftigt ist.

Das Kern-Bewusstsein wird pulsierend für jeden Inhalt, dessen wir uns bewusst werden, immer wieder neu erzeugt. Es ist die Erkenntnis, die sich materialisiert, wenn wir einem Objekt begegnen, ein neuronales Muster dafür erzeugen und (automatisch) entdecken, dass die nun prägnante Vorstellung des Objektes in unserer Perspektive gebildet worden ist, uns gehört und wir sogar darauf einwirken können. Es gibt keinen schlussfolgernden Prozess, den wir dorthin führen, keinerlei sprachliche Vorgänge – es gibt einfach nur die Vorstellung dieses Objektes und gleich darauf das Empfinden, dass wir es besitzen. Das Kern-Bewusstsein ist das unmittelbare Empfinden unseres individuellen Organismus im Akt des Erkennens, wobei die Zeit von wesentlicher Bedeutung ist, dass damit die ursächliche Verbindung zwischen der Vorstellung eines Objektes und unserer „Inbesitznahme“ hergestellt wird.[3]

Empirische Belege

Um die Theorie der somatischen Marker zu beweisen, führte Damásio mehrere Experimente durch. Eines davon ist das so genannte „Glücksspielexperiment“:

Bei diesem Versuch, der mit gesunden Patienten und Patienten mit Schädigung des präfrontalen Cortex durchgeführt wurde, erhielten diese jeweils ein Darlehen von 2000 US-Dollar und sollten dieses mittels eines Kartenspiels, dessen Regeln sie nicht kannten, so weit wie möglich vergrößern.

Zur Auswahl standen den Probanden vier Stapel mit Spielkarten, im Folgenden A, B, C und D genannt. Nahmen sie eine Karte von Stapel A oder B, gewannen sie 100 Dollar, während das Aufnehmen einer Karte von Stapel C oder D nur 50 Dollar Gewinn einbrachte. Nach einer zufällig bestimmten Anzahl von Karten brachte ihnen das Aufnehmen einer Karte der Stapel A und B allerdings einen Verlust, der bis zu 1250 Dollar betragen konnte. Auch durch die Aufnahme von Karten der Stapel C und D kam es in ähnlichen Abständen zu Verlusten. Hier betrug dieser aber maximal 100 Dollar, sodass die Stapel C und D sich langfristig als gewinnbringend herausstellten, während Stapel A und B langfristig zu Verlusten führten.

Nicht geschädigte wie geschädigte Probanden zeigten zunächst eine Vorliebe für die Stapel A und B, bei denen man mehr gewann. Während auf Grund der hohen Verluste die nicht geschädigten Personen nach ca. 30 Karten zu C und D wechselten, blieben die Patienten mit Schädigung des Stirnhirns bei ihrer Vorliebe für die Stapel A und B, obwohl ihnen vollkommen bewusst war, dass diese auch zu viel höheren Strafen führten. Nach der halben vorher festgelegten Spieldauer waren diese Probanden bankrott und mussten ein zusätzliches Darlehen aufnehmen.

Damásio leitete von diesem Experiment her, dass die Bestrafung bzw. Belohnung der Stirnhirngeschädigten – also Probanden ohne somatische Marker – bei diesen nicht zur „Markierung“ schlechter Handlungsalternativen mit emotionalen Reaktionen führt, sodass bei diesen immer die unmittelbar belohnende Wahlmöglichkeit vorgezogen wird. Hanna Damásio untermauerte diese Erkenntnisse, indem sie die Hautleitungsreaktionen der Probanden während eines solchen Experiments untersuchte. In der ersten Phase des Experiments erzeugte die Belohnung bzw. Bestrafung nach dem Umdrehen jeder Karte sowohl bei gesunden Probanden als auch bei frontal geschädigten Patienten eine Hautleitungsreaktion. Nach einer gewissen Anzahl von Karten wurde bei gesunden Versuchspersonen jedoch schon eine solche Reaktion erzeugt, bevor sie eine Karte aus dem nachteiligen Stapel auswählten. Diese Reaktion nahm mit wachsender Spieldauer an Intensität zu, das heißt, die gesunden Probanden lernten allmählich ein schlechtes Ergebnis vorherzusagen, während die präfrontal geschädigten Patienten keinerlei antizipatorische Reaktion zeigten. Damásio schloss daraus, dass die Gehirne der präfrontal geschädigten Probanden nicht lernten, schlechte Ergebnisse vorherzusagen – der automatische Sichtungsprozess, durch den die wahrscheinliche Qualität des Stapels Eingang in das Denken findet, ist also gestört.

„Basale Regelsysteme des Körpers schaffen […] die Voraussetzung für bewusste kognitive Prozesse.“

António R. Damásio

Gefühle und Emotionen

Damásio trennt zwischen Emotionen („emotions“), die er als die durch somatische Marker verursachten Körperzustände beschreibt, und Gefühlen („feelings“), die das bewusste Wahrnehmen der emotionalen Körperzustände darstellen. So lernt der Mensch im Laufe seiner Entwicklung beispielsweise, den Körperzustand, der mit der reflexartigen Flucht vor einer Gefahr verbunden ist, als Angst, also ein bewusstes Gefühl, wahrzunehmen. Während die Emotionen angeboren sind und ein von außen beobachtbares körperliches Verhalten produzieren, beruhen die Gefühle auf Erfahrungen und ermöglichen somit weitere Schutzstrategien gegen Gefahren von außen.

Die deutschen Übersetzungen der englischen Worte emotions und feelings, die Damásio von dem Psychologen und Philosophen William James entlehnte, sind leider nicht einheitlich. In dem Werk Ich fühle, also bin ich von Damásio (2004 als List-Taschenbuch erschienen) findet sich auf S. 12 eine „Vorbemerkung des Übersetzers und des Fachlektors“, dass in diesem Werk anders als bei Descartes’ Irrtum „emotion and feeling“ mit „Emotion und Gefühl“ übersetzt wird.

Trivia

Die Kindheitsforscherin Alice Miller hat ihrem Buch Die Revolte des Körpers ein Zitat von António R. Damásio vorangestellt: Emotionen sind kein Luxus, sondern ein komplexes Hilfsmittel im Daseinskampf.

Auszeichnungen

  • 1990 Prix Beaumont
  • 1992 Preis Fernando Pessoa für Hanna Damásio und António R. Damásio
  • 1995 Golden Brain Award
  • 1997 Prix de la Plasticité Neuronal
  • 2002 Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der RWTH Aachen für Hanna Damásio und António R. Damásio
  • 2004 Jean-Louis-Signoret-Preis
  • 2005 Prinz-von-Asturien-Preis für wissenschaftliche und technische Forschung
  • 2011 Internationaler Literaturpreis Corine für Selbst ist der Mensch – Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewußtseins

Literatur

  • António R. Damásio: Ich fühle, also bin ich – Die Entschlüsselung des Bewusstseins. List, München 2000, ISBN 3-548-60164-2.
  • António R. Damásio: Descartes’ Irrtum – Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. List, München 1994, ISBN 3-471-77342-8.
  • António R. Damásio: Der Spinoza-Effekt – Wie Gefühle unser Leben bestimmen. List, München, ISBN 3-471-77352-5
  • António R. Damásio: Self Comes to Mind : Constructing the Conscious Brain. New York: Pantheon Books, 2010. (dt.: Selbst ist der Mensch : Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins. München: Siedler, 2011. ISBN 978-3-88680-924-0)
  • Hanna Damásio: Human Brain Anatomy in Computerized Images
  • António R. Damásio, Hanna Damásio, Yves Christen: Neurobiology of Decision-Making, Berlin: Springer, 1996. ISBN 3-540-60143-0
  • Jean-Pierre Changeux, António R. Damásio, Wolf Singer: Neurobiology of Human Values, November 2005

Referenzen

  1. A. Damasio an der University of Southern California
  2. Inhalt, teilnehmende Personen und Programm von Mind and Life II: Dialogues Between Buddhism & the Neurosciences
  3. Damasio, A. (2000): Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins. München: List. S. 155-156.

Weblinks

Commons: António Damásio – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Bas Kast: Emotionen: Ich fühle, also bin ich. 10. August 2008 (spiegel.de).

Die News der letzten Tage