Xenophanes



Xenophanes von Kolophon (* um 570 v. Chr. in Kolophon; † um 470 v. Chr.) war ein vorsokratischer Philosoph und Dichter der griechischen Antike.

Leben

Geboren im kleinasiatischen Kolophon, führte Xenophanes ein unstetes Wanderleben: Mit 25 wurde er aus seiner Heimatstadt vertrieben (Diogenes Laertios IX 19) und wanderte 67 Jahre durch die griechischen Lande, eventuell sogar nach Ägypten. Er übersiedelte nach Elea in Süditalien und war wohl als Rhapsode, das heißt als Rezitator der alten Epen (vor allem Homers) und vermutlich auch eigener Werke tätig (die allerdings verloren gegangen sind). Auch seine philosophischen Werke verfasste er stets in lyrisch gebundener Form: Elegien und Silloi.[1]

Bedeutung, Lehre, Wirkung

Als Vertreter einer Zeit des Wandels, der Morgenröte des klassischen Hellas, hebt Xenophanes ganz im Sinne Hegels das Erbe der vorklassischen Welt auf; er ist der erste, der dies auf eine greifbar systematische Art tut, der „Sturmvogel der griechischen Aufklärung“, der Ideen der Religionskritik und des Rationalismus der Aufklärung vorwegnimmt. Nicht zufällig ist Xenophanes, wie Werner Jaeger sagt, „der erste griechische Denker, der als Persönlichkeit fassbar ist“.

Xenophanes’ Lehre war schon Platon und Aristoteles recht unklar. Bereits Heraklit hatte über ihn gesagt, dass das Kennenlernen vieler Dinge ihn nicht Verstehen gelehrt habe, und Aristoteles hielt ihn für etwas schlicht (Metaphysik 986b 26). Aus der Antike haben wir sonst kaum Zeugnisse; auch zu seiner Philosophie gibt es nur wenige einzelne Bemerkungen. In der modernen Debatte änderte sich das deutlich, wenn diese auch komplex und kontrovers geführt wurde und teilweise auch noch wird. Die Faszination des Fragmentarischen steigert die Möglichkeit zu kreativer Interpretation mit all ihren Gefahren.

Xenophanes schrieb analytisch und satirisch unter anderem über die Vielzahl und Menschenähnlichkeit der griechischen Götter. Er leistete somit Kritik an der Göttervorstellung des Homer und Hesiod und wurde daher auch von Albert Regenfelder als „Anti-Homer im Gewand des homerischen Sängers“ bezeichnet. Ihm zufolge schufen nicht die Götter die Menschen, sondern die Menschen die Götter („Wenn die Pferde Götter hätten, sähen sie wie Pferde aus“), ein religionssoziologischer Ansatz (Anthropomorphismus). In seinem philosophischen Hauptwerk (Über die Natur) vertritt er einen Monotheismus, dessen Gott ewig, einheitlich, unbeweglich und von vollkommener Gestalt ist, wobei das Pantheon der (ursprünglich und vorhomerisch durchaus lokalen) Gottheiten erhalten bleibt.

Von Karl Popper[2][3] wird Xenophanes als Vorläufer des kritischen Rationalismus angesehen (siehe Erkenntnistheorie). Das menschliche Wissen besteht ihm zufolge aus Vermutung (Meinung), die Wahrheit sei nicht als solche erkennbar. Gleichzeitig sei es möglich, sich der Wahrheit allmählich anzunähern: „Nicht von Anfang an haben die Götter den Sterblichen alles Verborgene gezeigt, sondern allmählich finden sie suchend das Bessere.“

Diese Auffassung führt dann bei Parmenides von Elea zur strikten Unterscheidung zwischen der wahren, durch die Sinne nicht wahrnehmbaren Welt und der Welt der Erscheinungen (Weg der Meinung). Xenophanes’ Rationalismus führte ihn zu einer gleichsam agnostischen Position in Bezug auf die Götter. Zwar stellte er deren Existenz nicht in Frage, urteilte aber, dass der Mensch niemals etwas Gesichertes über die Götter wissen könne.

Bis in die 1950er-Jahre hinein wurde – auf Grund falscher doxographischer Überlieferung schon seit der Antike, unter anderem des Aristoteles – häufig angenommen, Xenophanes sei ein eleatischer Philosoph gewesen, da er auch in Elea (römisch: Velia) an der großgriechischen Küste Lukaniens (Unteritalien) gewirkt hat. Mit den Eleaten ist er aber nach heutiger übereinstimmender Ansicht nicht direkt verbunden, auch nicht mit Parmenides (oder gar Zenon von Elea) – wie Friedrich Nietzsche bereits erkannt hatte: Anwesenheit am selben Ort genügt als Beleg nicht.

Xenophanes hat aus Fossilienfunden auf einem Berg geschlossen, dass das Wasser einst die ganze Erde bedeckt haben müsse (siehe Neptunismus). Er meinte, alles sei aus Wasser und Erde entstanden (Ur-Schlamm) und vergehe schließlich wieder zu Wasser. Die Erde werde vom Wasser weggeschwemmt und entstehe danach wieder neu. Das Meer sei zudem der Ursprung der Wolken; Sonne und Gestirne entstünden wiederum aus diesen Wolken. Der Regenbogen sei eine besonders geartete Wolke.

Werke

  • E. Zeller, Die Philosophie der Griechen, 1. Teil, S. 378-395, Verlag Ludwig Friedrich Fues, Tübingen, 1856 (dzt. aktuell: unveränderter Nachdruck der 6. Auflage (von 1919), Darmstadt, 2006, ISBN 978-3-534-19504-6)
  • H. Diels, W. Kranz (Hrsg.): Die Fragmente der Vorsokratiker. S. 38-58, 1. Auflage, Verlag Weidmann, Berlin, 1903, archive.org: metadata PDF, (dzt. aktuell: unveränderter Nachdruck d. 6. Aufl. (Standardausgabe), Georg Olms Verlag, 2004, ISBN 3-615-12201-1)
  • B. Gentili, C. Prato (Hrsg.): Poetarum Elegiacorum Testimonia et Fragmenta. Bd 1. Teubner, Leipzig 1988. ISBN 3-322-00457-0 (bester Griechischer Text)
  • Ernst Heitsch (Hrsg.): Xenophanes, Die Fragmente, München/Zürich: Sammlung Tusculum 1983 (zweisprachige Ausgabe mit ausführlichem Kommentar)
  • J. E. Lesher (Hrsg.): Xenophanes of Colophon, Fragments. A Text and Translation with a Commentary by J. H. Leser, Toronto/Buffalo/London: University of Toronto Press 1992. ISBN 0-8020-5990-2 (zweisprachige Ausgabe mit ausführlichem Kommentar)

Literatur

  • W. Drechsler, R. Kattel: Mensch und Gott bei Xenophanes. In: M. Witte (Hrsg.): Gott und Mensch im Dialog. Festschrift für Otto Kaiser zum 80. Geburtstag. de Gruyter, Berlin – New York 2004, 111–129. ISBN 3-11-018354-4.
  • Hermann Fränkel: Xenophanesstudien. In: Hermes. Steiner, Stuttgart 60.1925, 174–192. ISSN 0018-0777.
  • Ernst Heitsch: Xenophanes und die Anfänge kritischen Denkens. Akad. der Wiss. und der Literatur, Mainz 1994. ISBN 3-515-06592-X.
  • Werner Jaeger: The Theology of the Early Greek Philosophers. Gifford Lectures 1936. Greenwood, Westport Ct 1947, 1980 (repr.). ISBN 0-313-21262-7.
  • Karl Jaspers: The Great Philosophers. Bd 3. Harcourt, New York u. a. 1966, 1993, ISBN 0-15-607500-8.
  • R. Kattel: The Political Philosophy of Xenophanes of Colophon. In: Trames. Teaduste Akad. Kirjastus, Tallinn 1.1997,51/46, 125–142. ISSN 1406-0922.
  • Otto Kaiser: Der eine Gott und die Götter der Welt. In: Zwischen Athen und Jerursalem. Studien zur griechischen und biblischen Theologie, ihrer Eigenart und ihrem Verhältnis. de Gruyter, Berlin – New York 2003, 135-152. ISBN 3-11-017577-0.
  • Adolf Lumpe: XENOPHANES von Kolophon. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 14. Bautz, Herzberg 1998, ISBN 3-88309-073-5, Sp. 273–278.* Christian Schäfer: Xenophanes von Kolophon. Teubner, Stuttgart 1986, 1996. ISBN 3-519-07626-8.
  • Hartmut Westermann: Religiöse und doppelte Poesie. Götterkritik und Gottesbegriff bei Xenophanes und im Kulturentstehungsmythos des Sisyphos (DK 88, B 25). In: Guido Löhrer, Christian Strub, Hartmut Westermann (Hrsg.), Philosophische Anthropologie und Lebenskunst – Rainer Marten in der Diskussion. Fink, München 2005, S. 81-98. ISBN 3-7705-4059-X.
  • Konrat Ziegler: Xenophanes von Kolophon, ein Revolutionär des Geistes. In: Gymnasium. Winter, Heidelberg 72.1965, 289–302. ISSN 0342-5231.

Weblinks

Wikisource: Xenophanes – Quellen und Volltexte
Commons: Xenophanes – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Wolfgang Schadewaldt, Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen
  2. K. Popper/L. Bennett: In Search of a Better World. Lectures and Essays from Thirty Years, S. 192, 1996
  3. K. Popper/A. Friemuth Petersen/J. Mejer: The World of Parmenides. Essays on the Presocratic Enlightenment, S. 46ff., 1998