Zuckerwurzel



Zuckerwurzel

Zuckerwurzel (Sium sisarum)

Systematik
Euasteriden II
Ordnung: Doldenblütlerartige (Apiales)
Familie: Doldenblütler (Apiaceae)
Unterfamilie: Apioideae
Gattung: Merk (Sium)
Art: Zuckerwurzel
Wissenschaftlicher Name
Sium sisarum
L.

Die Zuckerwurzel (Sium sisarum), auch Gierlen, Görlin, Zuckerwurz, Süßwurzel oder Zuckermerk[1] genannt, ist eine Pflanzenart, die zur Familie der Doldenblütler (Apiaceae) gehört. Sie ist eine uralte Nutzpflanze aus Osteuropa und Asien. Die ursprüngliche Wildform ist vom Kaukasus bis nach Sibirien verbreitet. Der Name Zuckerwurzel leitet sich vom süßen Geschmack der Wurzel ab.[2]

Beschreibung

Sium sisarum wächst als mehrjährige krautige Pflanze.[3] Sie erreicht Wuchshöhen von etwa 100 bis 150 Zentimeter.[4] Es wird ein Bündel weißer verdickter (etwa fingerdicker) Wurzeln gebildet, die den Wurzeln der Süßkartoffeln oder Dahlien[4] ähnlich sehen jedoch deutlich dünner sind und eine Länge von 15 bis 20 Zentimetern erreichen.[5] Einzelne sogar bis 30 cm.[6] Die mittlere Wurzel wird am stärksten ausgebildet.[7] Die Farbe der Wurzeln ist grau bis weiß und das Fleisch ist weiß.[8] Sie sind zylindrisch und leicht spitz zulaufend. Es werden 10–15 Einzelwurzeln gebildet.[6] Die Wurzeln besitzen einen etwas verholzten faserigen Kern.[9] Sie ist winterhart. Die Laubblätter sind unpaarig gefiedert mit drei bis elf Fiederblättchen.[10] Die schmalen Fiederblättchen besitzen einen gesägten Blattrand. Bei jüngeren Pflanzen enden die Blätter spitz bei älteren runder. Zur Blüte kommt die Pflanze im Juli und August.[6] Sie wird erst im 2. Jahr nach der Aussaat gebildet.[3] Die Blüten stehen in endständigen doldigen Blütenständen zusammen. Die kleinen, duftenden Blüten sind sternförmig. Die Kronblätter sind weiß. Die braunen Früchte sind kurz und ähneln denen der Karotten.[5] Ebenso wie Karotten haften die Teilfrüchte aneinander. Der Same ist 0,75–1 mm breit und dick und 2–2,5 mm lang.[6] Bei den Früchten handelt es sich um Achänen.[2]

Herkunft und Geschichte

Die Zuckerwurzel stammt aus dem östlichen Asien.[11] Die meisten sehen China als Herkunftsland.[2] Sie war im Altertum noch unbekannt.[12] Jacobus Theodorus „Tabernaemontanus“ schreibt zwar in seinem Kräuterbuch von 1625: „Es soll der Keyser Tiberius, wie Plinius LIB.19.CAP5.28.schreibet/ ein solchen Lust zu diesen Rüblein zu essen gehabt haben, dass er sie alle Jahr am Rheinstrom bestellen lassen und im Italiam hab führen lassen, dann sie seindt dem Magen nütz und gut“. Auch Lenz zitiert die gleiche Stelle.[11] Hierbei handelt es sich aber wahrscheinlich um eine Verwechslung mit der Pastinake (Pastinaca sativa), ebenfalls ein Doldenblütler, da die Zuckerwurzel nicht in Deutschland heimisch war. Sie kam sicher schon im 15. Jahrhundert des Mittelalters über Russland nach Europa.[9] Während der Renaissance sollen an englischen Tafeln erstmals Kuchen und andere feine Gerichte aus der Zuckerwurzel serviert worden sein. Auch zur Herstellung von Zucker wurde die Wurzel verwendet.[13] Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie noch in Italien und Deutschland angebaut.[11] Zum 19. Jahrhundert hin verschwand sie aus dem Anbau und wurden nur noch in Apothekergärten angebaut.[1] Sie wurde durch die Popularität der Kartoffel abgelöst.[2] Heute ist die Zuckerwurzel weitgehend unbekannt. Dass sie nicht mehr angebaut wird liegt vermutlich am faserigen Kern und der durch die Form gegebenen aufwändigeren Verarbeitung.[9] In Anatolien wird Zuckerwurzel wie viele andere Wildpflanzen speziell von Frauen auf sogenannten „Frauen-Märkten“ verkauft.[14] Die Pflanze wurde bisher nicht Züchterisch bearbeitet. Der Anbau ist heute fast nicht mehr vorhanden.[15] In China, Japan und Korea existiert heute noch nennenswerter Anbau.[2]

Nutzung

Anbau und Ernte

Die Kulturdauer beträgt 6–8 Monate.[5] Für den Anbau wird ein Standort mit leichterem nährstoffreichen Boden gewählt, der Längenwächstum der Wurzeln und das Ernten erleichtert.[6] Zuckerwurzel ist gut an mitteleuropäisches Klima angepasst. Die Pflanze verträgt keine Staunässe. Für die Kultur der Zuckerwurzel sollte der gleiche Fruchtwechsel eingehalten werden wie für Karotten, weil sie sich nicht gut selbst im Nachbau vertragen.[2] Vermehrt wird die Pflanze generativ über Samen oder vegetativ durch Wurzelabschnitte oder Teilung des Wurzelstocks.[4][1] Die Saat führt wegen der geringen genetischen Variabilität der Zuckerwurzel zu gleichmäßigen Pflanzen im Bestand.[9] Die Aussaat erfolgt im März. Sie kann auch schon im Herbst[4] auf nicht frisch (mit Stalldung) angereichertem Boden erfolgen, da sie winterhart ist.[1] Vorteil der Herbstaussaat besteht im Wachstumsvorsprung denn der Same keimt sehr langsam.[16] Er benötigt zur Keimung etwa 35 Tage.[6] Um die Keimzeit und -Sicherheit etwas zu verkürzen und zu verbessern kann der Samen in Wasser vorgequollen (vorgekeimt) werden.[2] Danach wird er nochmals schonend etwas getrocknet, damit er säfähig (rieselfähig)ist. Der Reihenabstand für Saat ist auf 20–30 cm zu wählen.[5][2] Der End-Abstand in der Reihe soll etwa 15 cm betragen.[3][16] Gesät wird etwas dichter und auf 0,5 inch tief.[5] Für die Saat von 1 m² werden 4 g Samen benötigt.[16] Wenn die Pflanzen im 4-Blatt-Stadium sind kann die Saat verzogen (vereinzelt) werden.[17] Die dabei gewonnenen Pflanzen können auch noch gepflanzt werden.[3] Oft wird auch auf Saatbeeten vorkultiviert und später verpflanzt.[8] Dies geschieht ebenfalls im 4- bis 5-Blatt-Stadium.[18] Vegetative Vermehrung führt schneller zu großen Pflanzen als die Aussaat. Dazu werden Wurzeln gewählt, die eine gute Form und möglichst groß sind, was bei mehrjährigem Anbauzyklus so die Sorte verbessert.[17] Die Pflanzung erfolgt etwa 2 bis 4 Wochen später (Ende März bis Anfang April) als die Aussaat.[4] Die Teilpflanzen oder Wurzelteile werden in gleichem Abstand wie bei Saat auf 2 inch tief gepflanzt.[5] Danach verhält sich die Kultur gleich wie bei Aussaat. Düngung entspricht der der Karotten und sollte auf 2–4 Gaben gesplittet werden.[2] Während des Hauptwachstums benötigt die Zuckerwurzel wie auch Karotten, Pastinake und Wurzelpetersilie viel Wasser.[4] Durch längere Trockenheit entwickelt sich verstärkt der faserige Kern in der Wurzel.[2] Die Ernte beginn ab Herbst und kann dann vorzu geschehen, auch während des Winters, da die Pflanze frosthart ist. Für den Hausgebrauch können die Wurzeln auch in Sand eingeschlagen und im Keller eingelagert werden.[6] Nur junge Wurzeln der Einjährigen Pflanze sind brauchbar.[16][6] Die mechanische Ernte erfolgt mit ähnlichen Maschinen wie sie auch für Chicorée-Wurzeln, Schwarzwurzel oder Karotten üblich sind.[19] Der Ertrag beträgt 1–2 kg/m².[2]. Bussard gibt 1,2–1,5 kg/m² an (120–150 kg/Are) an.[18] Auch das Treiben in dunklen Treibräumen für gebleichte Sprossen ist bekannt. So können die 10 bis 15 cm langen Sprosse 30 bis 40 g pro Pflanze erreichen.[20]

Samenbau und Vermehrung

Sobald die Samen auf den Dolden braun werden kann man die Dolden zum Trocknen abschneiden und geschützt nachtrocknen.[3] Dies ist von August bis Oktober gegeben.[18] Die Hauptreife erstreckt sich von August bis September.[6] Ein Gramm Samen enthält etwa 600 Korn und ein Liter Samen entspricht etwa 400 g. Die Samen sind 3 Jahre keimfähig.[4] Samen sollten nur von Pflanzen im zweiten Standjahr genommen werden. Genauso wichtig ist die Entnahme von Pflanzen mit gewünschter Wurzelentwicklung. Als Zuchtziele gelten geringer Faseranteil im Wurzelkern, möglichst großer Durchmesser und Länge und guter Geschmack.[18] Am besten werden die Wurzeln vor der Vermehrung sortiert, eingelagert und aufs neue Jahr separat ausgepflanzt. Da die Pflanze mehrjährig ist kann jedes Jahr wieder Samen geerntet werden.[6]

Krankheiten und Schädlinge

Es kommen die meisten Krankheiten und Schädlinge vor, die auch bei Karotten, Pastinaken und Petersilie zugegen sind. Besonders Mäuse haben es auch auf die süßen Wurzeln abgesehen.[2]

Verwendung

Küche

In erster Linie wird die Pflanze als Wurzelgemüse verwendet, wobei sie züchterisch weitgehend in der Naturform erhalten ist. Die Wurzel wird in Wasser gekocht.[14]Das Fleisch schmeckt süß, aromatisch mit mehliger Konsistenz.[18] Besonders die einjährigen Wurzeln schmecken besser.[2] Nach dem Kochen kann leicht der faserige Kern entfernt werden.[11] Auch die Blätter werden verwendet.[21] Am meisten kommen die anfangs Frühjahr austreibenden Blätter zur Verwendung, die sehr aromatisch sind.[9] Die Wurzeln werden bei 180° im Backofen goldbraun gebraten, nachdem sie vorher mit der Bürste im Wasser von Erdverschmutzungen befreit und dann abgetrocknet in Erdnussöl geschwenkt wurde. Lauwarm und mit karamelisierten Limettenfilets als Vorspeise serviert. Die Blätter könnten als Mischpartner für Mischsalate dienen.[9] Aus den Wurzeln kann auch Branntwein hergestellt werden.[22]

Lagerung

Geerntete Wurzeln lassen sich in Sand eingebettet einige Wochen lagern.[2]

Inhaltsstoffe

Das rohe Wurzelfleisch enthält 4 bis 8 % Zucker (Saccharose) und eine Trockensubstanz von 16 %. Die Trockensubstanz enthält 63–65 % Sucrose.[9] Die Trockensubstanz der Blätter beträgt knapp 8 % und sind mit 25 beziehungsweise 12 % der Trockensubstanz reich an Proteinen und Zucker. Die Sprossen enthalten mehr Vitamine als die Wurzeln und der Vitamingehalt ist nach Produktion im Treibhaus höher.[21] Deshalb wurde sie früher viel angebaut, als Zucker noch selten und teuer war. Weiter enthält die Wurzel auch Mineralstoffe und Pektine.[19]

Medizinische Bedeutung

  • Leonhart Fuchs beschreibt die Zuckerwurzel, den „Sisern“. als lieblich und süß, im Geschmack den gelben Rüben gleich. „Der Same gedörrt, gepulvert und in Wein eingenommen ist gut so den Heschen (Schluchzen) haben und Grimmen im Leib. Sisern machen Lust zu dem ehelichem Werken, stärken das Herz, sind nützlich denen, so sich sehr erbrochen haben. “.[23]
  • Nicholas Culpeper (1614–1645), ein englischer Arzt und Astrologe, schreibt, die Pflanze wirke „öffnend, reinigend und harntreibend“. Die Wurzel hilft der Leber und stärkt die Verdauung. Und wie manch andere Doldenblütler wie Sellerie oder Giersch hat auch die Zuckerwurzel aphrodisierende Eigenschaften.

Besonders die in Mitteleuropa heimische und mit der Zuckerwurzel verwandte Art Sium latifolium wurde bis ins 20. Jahrhundert als Heilpflanze genutzt.[19]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 H. Jäger: Illustrierte Bibliothek des landwirtschaftlichen Gartenbaues – des Obst- und Gemüsebaues und des Gartenbetriebes in Frankreich und England, Dritte Abteilung – Der Apotekergarten – Die Zuckerwurzel, Verlag von Otto Spamer Leipzig, 1859, S. 325–328
  2. 2,00 2,01 2,02 2,03 2,04 2,05 2,06 2,07 2,08 2,09 2,10 2,11 2,12 2,13 G. Vogel et al., Handbuch des speziellen Gemüsebaus – 127 Zuckerwurzel, 1996, Ulmer Verlag, ISBN 3-8001-5285-1, S. 1049–1052
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 C.H. Kleemann und R.E. Clemen: Allgemeines Handbuch des Gartenbaues, Druck und Verlag von C Flemming, 1859, S. 102
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 4,6 Vilmorin-Andrieux & Cie, Les Plantes Potagères, Troisième Édition, 1904, S. 91
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 5,4 5,5 J.M. Stephens, Skirret – Sium sisarum L., University of Florida IFAS Extension, Document HS667, 1994 (Review 2009), S. 1
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 6,4 6,5 6,6 6,7 6,8 6,9 J. Becker-Dillingen, Handbuch des gesamten Gemüsebaues,5. Auflage, Verlag Paul Parey, 1950, S. 701-705
  7. A. Ypey, Vervolg op de Afbeeldingen der artseny-gewassen met derzelver Nederduitsche en Latynsche beschryvingen. Druck J.C. Sepp und Sohn, 1813, S. 70
  8. 8,0 8,1 H.C. Thompson, Vegetable Crops, Fourth Edition, McGraw-Hill Book Company, 1949, S. 350
  9. 9,0 9,1 9,2 9,3 9,4 9,5 9,6 J.Y. Péron: Potentialities of the Widening in the Vegetable Assortment in the Umbelliferae: The Case of tuberous-rooted Chervil and Skirret, Acta Hort No. 242, 1989, S. 123–134
  10. O. Maly: Anleitung zur Bestimmung der Gattungen der in Deutschland wildwachsenden und allgemein kultivierten Phanerogamischen Pflanzen, 2. vermehrte Auflage, Druck: W. Baummüller, Wien, 1858, S. 53
  11. 11,0 11,1 11,2 11,3 H.O. Lenz: Botanik der alten Griechen und Römer – deutsch in Auszügen aus deren Schriften, Druck: Verlag von E.F. Theinemann, Gotha, 1859, S. 97
  12. E.L. Sturtevant, History of Garden Vegetables – Skirret Sium sisarum L., in The American Naturalist, Vol. 24, No. 284, 1890, S. 719-744
  13. J.C. Gotthard: Handbuch der praktischen Technologie oder Manufaktur-, Fabrik- und handwerkskunde – Drittes Kapitel: Die Zuckersiederei, Druck: Hamburg und Mainz bei Gottfried Vollmer, Basel, 1805, S. 89–208
  14. 14,0 14,1 K. Hüsnü can Baser, Current Knowledge on the wild Food an Non-Food Plants of Turkey, Medicinal and Aromatic Plant and Drug Research Center (TBAM), Andola University, Turkey, 1994?
  15. A. Meyer und R. Vögel: Rote Liste für gefährdete Kulturpflanzen in Deutschland, Studie im Auftrag des BMVEL, Eberswalde, Heft Nr. 100, 2005, S. 33
  16. 16,0 16,1 16,2 16,3 L. Müller, Gemüsebau – Ein Hand- und Lehr-buch für die gärtnerische Praxis, Verlagsgesellschaft H. Rillinger, Nordhausen am Harz, 1937?, S. 233
  17. 17,0 17,1 H. Settegast, Illustriertes Handbuch des Gartenbaues, Verlag von J.J. Arnd, 1909?, S. 687
  18. 18,0 18,1 18,2 18,3 18,4 L. Bussard: Culture Potagère et Culture Maraîchère, 2. Edition, Verlag: Librairie J.-B. Baillière et Fils, 1909, S. 143–144
  19. 19,0 19,1 19,2 E. Hetz: Gemüse-Biographien (47) – Zuckerwurzel, Taspo Gartenbaumagazin November, 1996, S. 49
  20. G. Liebster, Warenkunde Obst und Gemüse, Band 2, Marion Verlag GmbH, Düsseldorf, 1996, S. 318–319
  21. 21,0 21,1 J. Leclerc und J.Y. Péron: Mineral, Sugar and Vitamin Contents of Skirret (Sium sisarum L.), Acta Hort Nr. 242, 1989, S. 325–328
  22. D.A.J.G.K. Batsch: Versuch einer Anleitung zur Kenntnis und Geschichte der Pflanzen, 2. Teil, Druck: J.J. Gebauer, 1859, S. 68
  23. L. Fuchs: New Kreüterbuch, gedruckt durch Michael Isingrin, Basel, 1543, S. 742–746 (Online)

Weblinks

Commons: Sium sisarum – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

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