123 Jahre Citizen Science: Eiderenten in Island und ihre Feinde
Bio-News vom 17.10.2023
Ein Forschungsteam hat mit Hilfe ungewöhnlicher Citizen-Science-Daten aus über 100 Jahren gezeigt, dass der Amerikanische Nerz die heimische Eiderente stark dezimiert hat. Dabei sind Eiderenten durchaus an räuberische Säugetiere gewöhnt. In einer isländischen Insellandschaft, dem Purkey-Archipel, hatte etwa die Rückkehr des heimischen Polarfuchses keinen erkennbaren Einfluss auf die Eiderentenpopulation – vermutlich aufgrund der gemeinsamen evolutionären Geschichte, in der die Eiderenten geeignete Abwehrstrategien gegen den Fuchs entwickelt haben.
Vögel auf Inseln sind durch invasive Tierarten stark bedroht. Ein prominentes Beispiel ist der neuseeländische Kiwi, dessen Bestand durch Frettchen und weitere invasive Räuber stark zurückgegangen ist. Aber auch andere Vögel auf anderen Inseln sind betroffen, zum Beispiel in Island: Ein Team unter Leitung des Forschungszentrums Snæfellsnes der Universität von Island und des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat mit Hilfe ungewöhnlicher Citizen-Science-Daten aus über 100 Jahren gezeigt, dass der Amerikanische Nerz die heimische Eiderente im Brokey-Archipel um ungefähr 60 Prozent dezimiert hat.
Publikation:
Jónsson, J.E., Rickowski, F.S., Ruland, F., Ásgeirsson, Á. & Jeschke, J.M.
Long-term data reveal contrasting impacts of native versus invasive nest predators in Iceland
Ecology Letters (2023)
DOI: 10.1111/ele.14313
Dabei sind Eiderenten – anders als der neuseeländische Kiwi – durchaus an räuberische Säugetiere gewöhnt. In einer anderen isländischen Insellandschaft, dem Purkey-Archipel, hatte etwa die Rückkehr des heimischen Polarfuchses keinen erkennbaren Einfluss auf die Eiderentenpopulation – vermutlich aufgrund der gemeinsamen evolutionären Geschichte, in der die Eiderenten geeignete Abwehrstrategien gegen den Fuchs entwickelt haben.
Artengemeinschaften auf Inseln haben in der Regel kleinere Populationen und geografische Verbreitungsgebiete. Und sie verfügen über keine oder nur wenige Abwehrmechanismen gegen Raubtiere. Beides macht sie anfälliger für die negativen Auswirkungen von Eindringlingen als Arten auf dem Festland. Dies gilt insbesondere für am Boden brütende Vogelarten, die von invasiven Räubern bedroht sind, wie zum Beispiel die isländische Eiderente (Somateria mollissima borealis).
Etwa 16 % der weltweiten und 32 % der europäischen Eiderentenpopulation leben in Island (BirdLife International, 2019). Dort ist diese Vogelart von großer ökologischer, wirtschaftlicher und kultureller Bedeutung. In Island werden jährlich etwa 3.000 kg Eiderdaunen aus den Nestern gewonnen und zu hochwertigen Kleidungsstücken und Decken verarbeitet.
Datenschatz: 123 Jahre Daunen sammeln und Nester dokumentieren
Eiderdaunen werden in Island bereits seit Jahrhunderten gesammelt, und die Anzahl der Nester pro Insel wird jedes Jahr von den einheimischen Familien genau dokumentiert. Dies lieferte langfristige Datensätze von Nestern aus zwei Inselgruppen, die 95 Inseln über 123 Jahre bzw. 39 Inseln über 27 Jahre abdecken. „Diese ungewöhnlichen Citizen-Science-Daten sind aufgrund der langen Zeiträume, über die sie gesammelt wurden, sehr wertvoll. Die Familien, die diese Daten sammeln, kennen nicht nur ihre Inseln besser als jeder andere, sondern auch die Eiderenten, deren Feinde und andere Tiere, die auf den Inseln leben“, erklärt Jón Einar Jónsson von der Universität Island und einer der leitenden Autoren der Studie.
Die Eiderente ist an heimischen Räuber angepasst, nicht aber an den eingeschleppten Nerz
Anhand dieser außergewöhnlichen Datensätze konnte das Forschungsteam feststellen, dass die Einführung des invasiven semi-aquatischen Amerikanischen Nerzes (Neogale vison) die Populationsdynamik der Eiderenten stärker beeinflusst hat als die Folgen des Klimawandels: Der invasive Räuber hat die Zahl der Eiderenten-Nester im Brokey-Archipel um etwa 60 Prozent reduziert.
Im Purkey-Archipel hingegen dokumentierten die Forschenden eine vermutlich im Laufe der gemeinsamen Evolution entstandene Reaktion der Eiderenten auf die Rückkehr des heimischen Polarfuchses: Die Vögel bauten ihre Nester auf für den Fuchs unzugänglichen kleinen Inselchen – diese Strategie hält den rein landlebenden Polarfuchs fern, nicht aber den Nerz, der sich auch im Wasser sehr gut fortbewegen kann. „Das einzige heimische räuberische Säugetier ist der Polarfuchs. Die Eiderenten haben ihre Abwehrmechanismen im Laufe der Evolution an diesen Feind angepasst. Gegen den neuen Feind funktionieren diese aber nicht“, sagt IGB-Forscher Florian Ruland, ebenfalls leitender Autor der Studie.
Langzeitdaten zu biologischen Invasionen sind sehr wertvoll für die Wissenschaft
Die Studie zeigt, wie wichtig Langzeitdaten zur Untersuchung der Auswirkungen biologischer Invasionen sind. Zeitliche Dynamiken biologischer Invasionen und deren Auswirkungen werden seit 2015 vom Invasion Dynamics Network untersucht, das Jonathan Jeschke, Seniorautor der Studie und am IGB sowie an der Freien Universität Berlin tätig, gemeinsam mit Florian Ruland initiiert hat. „Daten über sehr lange Zeiträume sind in der Ökologie leider selten. Hochwertige Daten, welche die Jahrzehnte vor und nach der Einführung einer invasiven Art abdecken, sind daher eine wahre Fundgrube an Informationen", betont Fiona Rickowski, ebenfalls leitende Autorin der Studie und Doktorandin am IGB und der Freien Universität Berlin.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischenrei (IGB) via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.