300.000 Jahre alter Wurfstock dokumentiert die Evolution der Jagd
Bio-News vom 20.04.2020
Eiszeitmenschen aus Schöningen setzten Holzwaffen bei der Jagd auf Wasservögel und Pferde ein.
Die eiszeitlichen Jäger waren geschickt, hocheffizient und verwendeten ein Arsenal verschiedener Holzwaffen: Dies zeigt ein rund 300.000 Jahre alter „Wurfstock“ aus der Freilandfundstelle Schöningen in Niedersachsen, den Archäologen vom Senckenberg-Zentrum für menschliche Evolution und Paläoumwelt der Universität Tübingen und der Universität Liége (Belgien) geborgen und im Detail analysiert haben. Homo heidelbergensis verwendete ihn vermutlich, um Wasservögel zu jagen und größere Säugetiere bei der Jagd vor sich her zu treiben. Die Studienergebnisse wurden im Fachmagazin Nature Ecology & Evolution veröffentlicht.
Publikation:
Nicholas J. Conard, Jordi Serangeli, Gerlinde Bigga and Veerle Rots
A 300,000-year-old throwing stick from Schöningen, northern Germany, documents the evolution of human hunting
Nature Ecology & Evolution
DOI: 10.1038/s41559-020-1139-0
Bereits vor 300.000 Jahren hätten Jäger unterschiedliche hochwertige Waffen wie Wurfstöcke, Wurfspeere und Stoßlanzen in Kombination eingesetzt, erklärt Professor Nicholas Conard. „Nur dank der fabelhaft guten Erhaltungsbedingungen in wassergesättigten Seeufersedimenten in Schöningen können wir die Evolution der Jagd und die vielfältige Nutzung von Holzwerkzeugen dokumentieren.“
Der Wurfstock stammt aus der Fundschicht 13 II-4, aus der bereits in den 1990er Jahren immer wieder sehr gut erhaltene Wurfspeere, eine Stoßlanze sowie andere Holzwerkzeuge bislang ungeklärter Funktion ausgegraben wurden. Wie fast alle diese Funde ist auch der neue Wurfstock aus Fichtenholz gefertigt. Er ist 64,5 Zentimeter lang, hat in der Mitte einen maximalen Durchmesser von 2,9 Zentimetern und wiegt 264 Gramm. Er hat einen asymmetrischen Querschnitt, wobei eine Seite leicht gebogen und die andere relativ flach ist.
Aus den Gebrauchsspuren lässt sich auf seine Herstellung und Verwendung schließen: So wurden die Astansätze abgeschnitten und geglättet.
Einschlagspuren im mittleren Bereich ähneln den Beschädigungen an australischen und tasmanischen Wurfhölzern und liefern zum ersten Mal klare Belege für die Funktion eines solchen Gerätes.
Obwohl Wurfstöcke um ihren eigenen Schwerpunkt rotieren, haben sie eine andere Flugbahn als ein Bumerang und kehren nicht zum Werfer zurück: Vielmehr seien sie dafür gemacht, sich in eine lineare Richtung zu bewegen und durch Rotation eine hohe Treffgenauigkeit zu erreichen, erklärt Dr. Jordi Serangeli, ebenfalls Grabungsleiter. „Sie sind effektive Waffen über verschiedene Entfernungen, unter anderem bei der Jagd auf Wasservögel.“ Knochen von Schwänen und Enten seien aus der Fundschicht gut belegt. „Zudem ist es wahrscheinlich, dass mit dem Wurfstock größere Säugetiere, wie beispielsweise Pferde, die häufig am Schöninger Seeufer gejagt wurden, aufgeschreckt und in eine bestimmte Richtung getrieben wurden.“ In Experimenten hätten Wurfstöcke, die in Gewicht, Form und Größe vergleichbar seien, eine Höchstgeschwindigkeit von rund 30 Metern pro Sekunde erreicht.
Die Verwendung von Wurfstöcken bei der Jagd, sogenannte „rabbit sticks“ oder „killing sticks“, ist bereits aus Nordamerika, Afrika und Australien bekannt. „Die durch die Ethnologie dokumentierten Reichweiten messen dabei von kurzen Distanzen zwischen fünf bis 30 Metern bis zu Entfernungen von mehr als 100 Metern“, sagt Dr. Gerlinde Bigga von der Universität Tübingen, die die Anatomie des Holzwerkzeugs analysiert hatte. Die detaillierte Untersuchung der Gebrauchsspuren hatte Dr. Veerle Rots von der belgischen Universität Liége durchgeführt.
„Die Chancen, bei der Ausgrabung paläolithischer Fundstätten Artefakte aus Holz zu bergen, sind normalerweise verschwindend gering“, sagt Nicholas Conard. „Die Fundstelle Schöningen liefert bemerkenswerterweise mit Abstand die zahlreichsten und bedeutendsten paläolithischen Holzwerkzeuge und Jagdwaffen.“
Förderung
Die Ausgrabungen in Schöningen werden vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur finanziert und in Kooperation mit dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege durchgeführt.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Eberhard Karls Universität Tübingen via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.