Abnahme der Artenvielfalt kann Verbreitung von Viren begünstigen
Bio-News vom 28.09.2023
Wie hängen Umweltveränderungen, Artensterben und die Ausbreitung von Krankheitserregern zusammen? Die Antwort darauf gleicht einem Puzzle. Ein Puzzlestück haben Forschende nun in einer Studie zu Auswirkungen von Regenwaldrodung auf Stechmücken und deren Viren beschrieben: Sie zeigen, dass die Zerstörung tropischer Regenwälder die Vielfalt an Stechmückenarten vermindert. Gleichzeitig werden widerstandsfähige Arten häufiger – und damit auch deren Viren. Gibt es von einer Stechmückenart viele Individuen, können sich deren Viren schnell verbreiten.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Charité und Leibniz-IZW untersuchten, wie sich die Abholzung von Regenwald und die Umwandlung dieser Flächen in Kaffee- oder Kakaoplantagen und Dörfer auf das Vorkommen und die Artenvielfalt von Stechmücken und deren Viren auswirken. Die Studie, die damit die Fachgebiete der Virologie und Biodiversitätsforschung vereint, entstand unter Federführung von Prof. Dr. Sandra Junglen, Leiterin der Arbeitsgruppe „Ökologie und Evolution von Arboviren“ am Institut für Virologie der Charité.
Publikation:
Hermanns K, Marklewitz M, Zirkel F, Kopp A, Kramer-Schadt S, Junglen S
Mosquito community composition shapes virus prevalence patterns along anthropogenic disturbance gradients
eLife 12:e66550 (2023)
DOI: 10.7554/eLife.66550
Für die Forschungsarbeit fing das Forschungsteam zunächst Stechmücken in der Gegend des Tai-Nationalparks an der Elfenbeinküste. Hier gibt es eine große Bandbreite an Landnutzungsarten – von ungestörtem Regenwald über Sekundärwald, Kakao- und Kaffeeplantagen bis hin zu Dörfern. „Die gefangenen Stechmückenarten haben wir identifiziert und auf Virusinfektionen getestet“, erklärt Kyra Hermanns vom Institut für Virologie der Charité, Erstautorin der Veröffentlichung. „Dann haben wir geschaut, wie sich in den unterschiedlichen Landnutzungstypen die Zusammensetzung an Stechmückenarten unterscheidet, wo bestimmte Viren vorkommen und wie häufig diese sind.“
Widerstandsfähige Stechmückenarten können sich durchsetzen
In einem gesunden Ökosystem wie einem intakten Regenwald gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Viren. Das liegt vor allem daran, dass es hier eine große Vielfalt an Tieren gibt, die als Träger der Viren – sogenannte Wirte – infrage kommen. Denn Viren sind immer an ihre Wirte gebunden.
Wird das Ökosystem verändert, betrifft das auch die Viren, erklärt Prof. Junglen: „Wir entdeckten 49 Virenarten. Die größte Vielfalt an Wirten und Viren haben wir in unberührten und nur leicht gestörten Lebensräumen beobachtet.“ Die meisten der 49 Virenarten kamen in den untersuchten Gebieten relativ selten vor. Neun Virusarten wurden jedoch häufig in mehreren Lebensräumen gefunden, wobei das Vorkommen von fünf Virenarten in gestörten Lebensräumen zunahm und in Dörfern am höchsten war.
„Das bedeutet, dass die Abholzung des tropischen Regenwaldes zu einer Abnahme der Vielfalt an Stechmückenarten führt und sich somit die Zusammensetzung an Wirtsarten verändert. Einige widerstandsfähige Stechmückenarten haben sich sich auf den gerodeten Flächen stark vermehrt und mit ihnen ihre Viren“, erklären Prof. Junglen und Prof. Stephanie Kramer-Schadt vom Leibniz-IZW, die die Assoziationsanalysen der Stechmücken zu Viren und Habitaten durchführte. Wie sich eine Artengemeinschaft zusammensetzt, hat also direkte Auswirkungen auf das Vorkommen von Viren.
„Wenn eine Wirtsart sehr häufig ist, dann erleichtert das die Ausbreitung von Viren“, führt Prof. Junglen weiter aus. Alle Viren, die häufiger vorkamen, wurden in einer bestimmten Stechmückenart nachgewiesen. Die Viren gehören zu unterschiedlichen Familien und haben verschiedene Eigenschaften. „Damit konnten wir zum ersten Mal nachweisen, dass die Verbreitung der Viren nicht durch eine enge genetische Verwandtschaft von Viren zurückzuführen ist, sondern auf die Eigenschaften ihrer Wirt – also insbesondere auf jene Stechmückenarten, die gut mit veränderten Umweltbedingungen in gestörten Lebensräumen zurechtkommen.“
Neue Einblicke in die Dynamik von Infektionskrankheiten
Zwar infizieren die gefundenen Viren nur Stechmücken und können – nach jetzigem Stand – nicht auf Menschen übertragen werden. Sie sind aber dennoch als Modell hilfreich, um zu verstehen, wie sich die Veränderung der Vielfalt einer Artengemeinschaft auf das Vorkommen und die Häufigkeit von Viren auswirkt. „Unsere Studie macht deutlich, wie wichtig Artenvielfalt ist und dass die Abnahme der Artenvielfalt das Vorkommen bestimmter Viren fördert, weil es die Verbreitung ihrer Wirte fördert“, betont Prof. Junglen.
„Bisher wurden solche Prozesse fast ausschließlich an einzelnen Erregern und einzelnen Wirten untersucht. Nun ergibt sich ein vollständigeres Bild, an dem weiter geforscht werden kann“, führt Prof. Junglen aus. Im nächsten Schritt plant das Forschungsteam, weitere Lebensräume in anderen Ländern zu untersuchen – auch um herauszufinden, welche Faktoren es eigentlich genau sind, die bei einer Änderung der Landnutzung die Vielfalt der Stechmückenarten beeinflussen und welche Eigenschaften die Viren mitbringen müssen, um sich mit ihren Wirten ausbreiten zu können.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V. via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.