An den Polen ticken die Uhren anders



Bio-News vom 31.10.2019

Innere Uhren koordinieren den Organismus mit dem Wechsel von Tag und Nacht. Wie sie in Polarregionen arbeiten, wo Tage oder Nächte auch mal Wochen dauern können, haben Wissenschaftler der Universität Würzburg untersucht.

In gemäßigten Breiten ist das richtige Timing für so gut wie alle Lebewesen entscheidend: Pflanzen treiben aus, wenn das Frühjahr naht, Bienen wissen, welche Blüten wann geöffnet sind, Menschen werden abends müde und wachen am Morgen wieder auf. Der konstante Wechsel von Hell und Dunkel, Tag und Nacht ist der Takt, nach dem sich alle Lebewesen richten müssen, wenn sie überleben und sich vermehren wollen. Innere Uhren helfen ihnen dabei, indem sie die zeitliche Organisation jedes Organismus steuern und an die jeweiligen Veränderungen anpassen.


Auch die innere Uhr geht - genau wie die physikalische Uhr - je nach Standort anders.

Publikation:


Bertolini Enrico, Schubert K. Frank, Zanini Damiano, Hana Sehadová, Helfrich-Förster Charlotte, Menegazzi Pamela
Life at high latitudes does not require circadian behavioral rhythmicity under constant Darkness
Current Biology

DOI: 10.1016/j.cub.2019.09.032



Was aber passiert in solchen Regionen, in denen der Wechsel von Tag und Nacht nicht mehr dem typischen 24-Stunden-Rhythmus folgt, wie beispielsweise in den Polarregionen? Wenn die Abenddämmerung direkt ins Morgenrot übergeht oder die Sonne nur wenige Stunden am Tag knapp über dem Horizont steht? Diese Fragen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Lehrstuhl für Neurobiologie und Genetik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) untersucht; verantwortlich dafür war Dr. Pamela Menegazzi. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Current Biology hat das Team seine Ergebnisse veröffentlicht.

„Zirkadiane Uhren mit einer Periodizität von etwa 24 Stunden ermöglichen es Tieren, sich an die Tag-Nacht-Zyklen anzupassen. Sind diese Uhren allerdings zu starr, könnte dies ein Nachteil bei der Anpassung an schwach rhythmische Umgebungen wie das Polargebiet sein“, beschreibt Menegazzi den Hintergrund der neuen Studie. Tatsächlich ist bekannt, dass viele Lebewesen, die weit im Norden beziehungsweise im Süden leben, ihre Aktivitäten nicht mehr einem 24-Stunden-Rhythmus anpassen, sondern „arrhythmisch aktiv“ sind, wie die Wissenschaftlerin sagt.

Zwei Erklärungsmodelle stehen zur Auswahl

Am Lehrstuhl für Neurobiologie und Genetik steht die innere Uhr der Taufliege Drosophila im Mittelpunkt. Die Fliege bietet Wissenschaftlern mehrere Vorteile: Ihr Genom ist für Eingriffe gut zugänglich, ihr Gehirn ist vergleichsweise einfach strukturiert und doch sind die molekularen Prinzipien die gleichen wie beim Menschen. Außerdem bilden gerade mal 150 Neurone bei ihr die Grundlage ihrer inneren Uhr, deren jeweilige Funktionen zum großen Teil bekannt sind. Drosophila –Arten sind über die ganze Erde verteilt, sogar in sehr hohen Breiten leben Exemplare und zeigen dort das typische arrhythmische Aktivitätsmuster. Auch in subarktischen Regionen sind sie zu finden. Dort sind die dazu in der Lage, ihre abendliche Aktivität der bisweilen sehr langen Dämmerung anzupassen.

Was bislang nicht bekannt war: Welche molekularen Mechanismen im Uhrensystem der Fliegen für diese regionalen Anpassungen verantwortlich sind. Zur Diskussion standen zwei Modelle: „Die Arrhythmie könnte entweder auf einen Verlust der molekularen Schwingung innerhalb der Hauptuhr zurückzuführen sein“, sagt Pamela Menegazzi. Alternativ sei auch eine fehlende Kopplung zwischen dieser Hauptuhr und den ihr untergeordneten Strukturen denkbar.

Vergleich von zwei Fliegenarten

Zur Klärung dieser Frage haben Menegazzi und ihr Team die vermutlich erste vergleichende Analyse über Gattungen hinweg durchgeführt. Neben Drosophila wurde dabei die Gattung Chymomyza mit einbezogen, eine Gattung, die sich vor etwa fünf Millionen Jahren von Drosophila getrennt und seitdem sowohl niedrige als auch hohe Breitengrade erfolgreich besiedelt hat. Auf diesem Weg wollten die Wissenschaftlerinnen die evolutionären Anpassungen der zirkadianen Uhr genauer untersuchen, die das Leben der Tiere in der Arktis und Subarktis erleichtern.

Das Ergebnis: „Beide Erklärungen sind gleichermaßen gültig“, so Menegazzi. Dafür sprechen zumindest die molekularbiologischen Befunde dieser Studie. So ist bei Drosophila ezoana der Verlust des molekularen Taktzyklus‘ in der Hauptuhr der Auslöser für die Anpassung an das Leben in hohen Breiten. Chymomyza costata kommt zu dem gleichen Ergebnis durch eine fehlende Kopplung zwischen Taktgeber und Adressat. „Dies deutet darauf hin, dass die Fähigkeit, den Verhaltensrhythmus aufrechtzuerhalten, während der Evolution der Drosophilidae mehr als einmal verloren gegangen ist“, schlussfolgert die Wissenschaftlerin.

Feste Rhythmen können von Nachteil sein

In ihrer Studie haben sich die Wissenschaftlerinnen mit einem alten Konzept der Chronobiologie befasst. Dieses besagt, dass zirkadiane Uhren gewisse Eigenschaften besitzen müssen: Einen 24-Stunden-Rhythmus, die Fähigkeit, sich mit äußeren Reizen zu synchronisieren, und eine weitere Eigenschaft, die in der Wissenschaft „selbsterhaltend“ bezeichnet wird – salopp gesagt also das Vermögen, aus sich heraus einen Rhythmus dauerhaft einzuhalten. „Tatsächlich wird immer deutlicher, dass viele Organismen, die keine klassischen Modellorganismen sind, nicht alle diese Merkmale besitzen“, sagt Menegazzi.

Gleichzeitig unterstützen die Ergebnisse die seit langem geäußerte Hypothese, dass feste Verhaltensrhythmen in Umgebungen ohne klare Rhythmen, wie beispielsweise den Polarregionen, ein Nachteil sein könnten. Zusätzlich tragen sie dazu bei zu verstehen, wie sich Tiere an verschiedene ökologische Nischen anpassen und welche Eigenschaften in extremen Umgebungen vorteilhaft sein könnten.

Nach Ansicht der Wissenschaftler werde die Identifizierung der Merkmale, die für eine erfolgreiche Besiedlung hoher Breitengrade notwendig sein könnten, im Zusammenhang mit dem Klimawandel noch relevanter.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Julius-Maximilians-Universität Würzburg via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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