Antarktis: Dünnes Eis



Bio-News vom 06.10.2020

Internationale Forschende, unter ihnen Senckenberg-Meeresforscherin Angelika Brandt, haben in einer heute im Fachjournal „WIREs Climate Change“ erscheinenden Studie auf die Wissenslücken in der Antarktis-Forschung hingewiesen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fassen in ihrem Bericht die bisherigen Erkenntnisse zum Verlust des Schelfeises in der Antarktis und den damit verbundenen Konsequenzen zusammen und geben einen Ausblick für zukünftige Forschungsstrategien.

Laut Modellierungen werden die Antarktis-Schelfeise der globalen Erwärmung noch etwa 300 Jahre standhalten, bevor sie endgültig auseinanderbrechen. „Nirgends sind die Auswirkungen des Anthropozäns, dem von uns Menschen gemachten Zeitalters, besser zu beobachten, als am Südpol. Seit den 1950er Jahren verzeichnen wir in der Antarktis einen Verlust von über 30.000 Quadratkilometern Eisfläche – das ist in etwa die Größe von Brandenburg“, erklärt Prof. Dr. Angelika Brandt vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt und fährt fort: „Die dortige Veränderung wurde erst vor drei Jahren eindrucksvoll durch das Abbrechen des 1000 Milliarden Tonnen schweren Eisbergs ‚A-68’ deutlich.“


Krebse, wie Eusirus perdentatus, könnten zu den ersten Pionierorganismen gehören, die den neuen Lebensraum, der durch das Kalben von A-68 entstanden ist, besiedeln.

Publikation:


Ingels, J, Aronson, RB, Smith, CR, et al.
Antarctic ecosystem responses following ice‐shelf collapse and iceberg calving: Science review and future research

WIREs Clim Change. 2020;e682

DOI: 10.1002/wcc.682



A-68 hatte sich im Juli 2017 vom Larsen-Schelfeis an der Ostküste der Antarktischen Halbinsel gelöst. Der 175 Kilometer lange und 50 Kilometer breite Eisberg driftete anschließend nach Norden und erreichte etwa drei Jahre später das offene Meer. Aktuell treibt er in der Nähe der Südlichen Orkneyinseln. „Zukünftig sind – bedingt durch stetig steigende Temperaturen – weitere solche Abbrüche zu erwarten. Gleichzeitig ist unser Wissen zu den Auswirkungen dieser massiven Veränderungen auf die Ökosysteme noch am Anfang“, erläutert Brandt.

Die Frankfurter Meeresforscherin und 38 weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich daher Ende 2017 auf einem Workshop in Florida zusammengeschlossen, um die Forschung rund um den Verlust des Antarktis-Schelfeises und dessen Auswirkungen voranzutreiben. Als erstes Ergebnis der interdisziplinären Gruppe wurde heute eine umfassende Zusammenfassung des derzeitigen Kenntnisstandes sowie der zukünftigen Aufgabenfelder veröffentlicht. Dringenden Handlungsbedarf sehen die Forschenden unter anderem in der Untersuchung der Auswirkungen auf die Lebewelt im, unter und in der Nähe des Eises. Brandt hierzu: „Welche Organismen reagieren wie und in welcher Zeit auf die Umweltveränderung und den neu entstandenen Lebensraum? Wie wirkt sich das Abschmelzen des Schelfeises auf deren Verbreitungsgebiete aus? Welche Organismen können sich schnell anpassen und den neuen Lebensraum besiedeln?“ Aber auch nicht-biologische Parameter, wie eine veränderte chemische Zusammensetzung des Meerwassers oder der Sedimenttransport durch das Abschmelzen des Eises, müssen laut der Studie besser verstanden werden, um Konsequenzen für die Faunengemeinschaften abschätzen zu können.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten unter anderem, dass die Meeresbodenfauna unter dem Schelfeis vor dem „Kalben“ des Larsen-C-Eisberges aus an nährstoffarme Gewässer angepasste Gemeinschaften bestanden, die denen der Tiefsee-Weddelmeerfauna ähnelte. Der Verlust des Eisberges A-68 und die damit verbundene Exposition des Meeresbodens sowie die veränderten Meeres- und Meereisbedingungen werden laut den Forschenden eine rasche Besiedlung durch neue Arten auslösen, die das benthische Ökosystem in dieser Region innerhalb kurzer Zeit erheblich verändern werden.

Das Abschmelzen des Antarktiseises wirkt sich auf die gesamte Lebewelt in den Meeren aus. Unter dem Schelfeis leben beispielsweise 1000 verschiedenen Algenarten, die wiederum Nahrung für Kleinkrebse und damit die somit die Basis für die Nahrungsnetze in den polaren Meeresgebieten sind. Die gesamte Antarktis hat zudem genug Wasser in Form von Eis gespeichert, um den Meeresspiegel um rund 58 Meter ansteigen zu lassen – dies könnte für uns zur größten Herausforderung des Anthropozäns werden“, macht Brandt die Relevanz der Forschung deutlich.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseen via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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